Zehn zweifelhafte Faktenchecks – und wie die Politik die Wissenschaft diskreditierte

Spätestens seit der Corona-Krise gehört der Faktencheck zur "Neuen Normalität". Dabei sind Wissenschaft und absolute Wahrheit per definitionem unvereinbar. Fragwürdige Fallbeispiele und Kommentar.

In der Corona-Krise wurden Fehler gemacht, so viel ist sicher. Wie es um deren Aufarbeitung bestellt ist, steht wiederum auf einem ganz anderen Blatt. Als größter Fehler könnte es sich allerdings herausstellen, dass die Wissenschaft für politische Zwecke instrumentalisiert wurde.

Nicht nur aufgrund der allzu realen Gefahr, dass (in einer niederträchtigen Spielart des sogenannten confirmation bias) Fakten erst geschaffen werden, um ein vorherrschendes Narrativ zu bestätigen. Nein, auch weil die Wissenschaft in den Augen vieler so endgültig ihre Unabhängigkeit – beziehungsweise: Unschuld – aufs Spiel setzt.

Wenn der Institution der freien Wissenschaft niemand mehr vertraut, ist das für eine aufgeklärte Gesellschaft fatal, denn dann kehrt sie wieder zurück in den Schoß des (bedingungslosen) Glaubens. Ein wesentlicher Motor dieser fatalen Politisierung war das Kommunikationsphänomen "Faktencheck" – und das, obwohl der Faktencheck eigentlich vorgibt, die Wissenschaft zu verteidigen.

"The science is settled"

Kulturgeschichte und Strategien des Faktenchecks wurden von Kommunikationswissenschaftlern wie Michael Meyen und Sabine Schiffer bereits ausführlich beschrieben. In der folgenden Zusammenstellung soll nun aber noch einmal deutlich die Eigenschaft herausgestellt werden, mit welcher der Faktencheck in der Corona-Krise am deutlichsten dem innersten Prinzip der Wissenschaft entgegentrat: Sein (immanenter) Absolutheitsanspruch.

Denn der Faktencheck hat definitionsgemäß die fluiden und widersprüchlichen Hypothesen der Wissenschaft in eindeutige Information umzuschreiben, nach der sich die Menschen formieren konnten. Das ist nicht nur ein abgedroschenes Wortspiel, denn wahr und falsch (oder auch das vermeintlich harmlosere "unbelegt") formten sich für die Empfänger nicht selten zu "gut" und "böse", "wir" und "die". Das Uneinheitliche, Inkommensurable – wie der kluge Adorno geschwurbelt hätte – liegt dem Faktencheck daher tendenziell fern.

Hier werden nun 10 Beispiele angeführt, die das für den Diskurs in der Corona-Krise verdeutlichen. Damit soll aber nicht der Fehler wiederholt werden, sich auf letzte Wahrheiten festzulegen.

Stattdessen soll die Zusammenstellung den dialektischen Charakter der wissenschaftlichen Debatte illustrieren und dazu anregen, das in den letzten Jahren gerne bemühte Diktum "The science is settled" kritisch zu hinterfragen.

Die Beispiele sind jeweils chronologisch geordnet.

Übersicht:

  1. Sars-CoV-2 könnte aus einem Labor stammen
  2. Die Inzidenzzahl ist unzuverlässig, denn: Wo viele Tests, da viele Fälle
  3. Durch Masken(-pflichten) lässt sich die Verbreitung von Viren stark reduzieren
  4. Lockdowns waren nicht notwendig, um die Inzidenz zu senken
  5. Die durchgemachte Infektion schützt besser vor Neuinfektion als Vektor- und mRNA-Stoffe
  6. Covid-Impfungen sind keine Impfungen, sondern Gen- bzw. Zelltherapien
  7. Es gibt keine schweren Nebenwirkungen der Impfung
  8. Die Covid-Injektionen stören die Menstruation
  9. Muttermilch kann mRNA-Partikel enthalten
  10. Die mRNA der Covid-Impfungen kann in den Zellkern integrieren

1. Sars-CoV-2 könnte aus einem Labor stammen

Die 15 häufigsten Gerüchte und Theorien zum Coronavirus im Faktencheck, Correctiv, 23. April 2020:

Diese Verschwörungstheorie [Corona als Biowaffe oder Laborunfall] hält sich hartnäckig, obwohl bereits im Februar zahlreiche Wissenschaftler betonten, alles deute auf einen natürlichen Ursprung des Virus hin. Autoren einer neueren Studie im wissenschaftlichen Journal Nature kommen nach einer genetischen Analyse des Coronavirus ebenfalls zu dem Schluss: "Sars-CoV-2 ist kein Labor-Konstrukt oder absichtlich manipuliertes Virus."

Thomas C. Mettenleiter im Gespräch: Er leitet Deutschlands gefährlichstes Viren-Labor – nun äußert er sich zum Corona-Ursprung, Focus, 7. Juli 2021:

Covid-Ursprung: Immer mehr Experten halten Labor-Theorie für möglich [...]Während die Labor-These bisher häufig also als Spinnerei oder Verschwörungstheorie vom Tisch gewischt wurde, auch von Virologe Christian Drosten, scheint sie im Moment immer mehr Anhänger zu finden. So halten mittlerweile auch Experten wie der Virologe Alexander Kekulé eine versehentliche Freisetzung aus dem Labor für durchaus möglich.

The Lab Leak Deception, Reason, 11. März 2022:

E-Mails, die durch den Freedom of Information Act veröffentlicht wurden, haben gezeigt, dass [Anthony] Fauci, der Direktor der National Institutes of Health (NIH), Francis Collins, und andere prominente Beamte die Möglichkeit eines Laborursprungs viel ernster nahmen, als sie zugaben. "Top-Virologen, Giganten auf diesem Gebiet, sahen sich das Genom an und flippten im Grunde aus", sagt die Gesundheitsreporterin Emily Kopp, die bei der gemeinnützigen Organisation U.S. Right to Know arbeitet. Sie hat Tausende von Seiten offizieller Dokumente und Korrespondenzen erhalten, von denen einige die orchestrierte Absicht von Wissenschaftlern offenbaren, die Labor-Theorie herunterzuspielen.

Anmerkung: Die Labor-Theorie gilt deshalb natürlich noch nicht als bewiesen. Ebenso wenig aber das Gegenteil, was durch den Faktencheck zumindest suggeriert wurde.

2. Die Inzidenzzahl ist unzuverlässig, denn: Wo viele Tests, da viele Fälle

#Faktenfuchs: Mehr Corona-Tests, mehr Infizierte?, BR, 7. August 2020:

Zugleich betont das RKI, dass man die Anzahl der Tests nicht mit dem Anstieg der Fallzahlen ins Verhältnis setzen kann. Man kann also nicht sagen: "Je mehr getestet wird, desto mehr Corona-Fälle gibt es." Aktuell gibt es mehr Corona-Fälle, da, wie RKI und Spahn übereinstimmend berichten, sich weniger Menschen an die Abstands- und Hygieneregeln halten oder es beispielsweise am Arbeitsplatz zu Infektionen kommt.

weiter heißt es im Beitrag:

Corona-Relativierer wittern einen Zusammenhang, eine Verschwörung.

Corona-Studie an der Uni Würzburg: R-Wert nicht exakt berechnet, BR, 19. Oktober 2022:

Der R-Wert wurde gerade zu Beginn der Pandemie häufig herangezogen, um über schärfere Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie zu entscheiden […] All diese Schätzungen und Berechnungen beruhen laut dem Virologen Scheller auf der Inzidenz von Corona-Infektionen, die mit einem PCR-Test nachgewiesen wurden. Daher das Problem: Die Zahlen hängen davon ab, welche und wie viele Menschen entsprechend getestet wurden oder werden konnten.

Anmerkung: Ein Zusammenhang zwischen Ausweitung der Tests und einem Anstieg der Inzidenzen wurde selbst zu Anfang der Corona-Krise weitgehend nicht bestritten. Allerdings wurden entsprechende Behauptungen Faktenchecks unterzogen, indem man deren Aussage veränderte. So etwa bei Correctiv: "Nein, die Fallzahlen steigen nicht nur [!], weil mehr getestet wird". Eine solche direkte Korrelation konnte bisher tatsächlich nicht bewiesen werden.

3. Durch Masken bzw. Maskenpflichten lässt sich die Virenverbreitung nicht stark reduzieren

WHO stands by recommendation to not wear masks if you are not sick or not caring for someone who is sick, CNN, 31. März 2020:

Der Artikel zititert den Direktor des Gesundheitsnotfallprogramms der World Health Organization (WHO), Michael J. Ryan, mit den Worten:

Es gibt keine konkreten Hinweise darauf, dass das Tragen von Masken in der breiten Bevölkerung einen potenziellen Nutzen hat. Es gibt sogar einige Hinweise, die auf das Gegenteil hindeuten, wenn eine Maske nicht richtig getragen wird oder nicht richtig sitzt.

Universal Masking in Hospitals in the Covid-19 Era, New England Journal of Medicine, 21. Mai 2020:

Wir wissen, dass das Tragen einer Maske außerhalb von Einrichtungen des Gesundheitswesens, wenn überhaupt, nur einen geringen Schutz vor Infektionen bietet.

Talk aus Berlin mit Christian Drosten, RBB, 29. Januar 2021:

Christian Drosten, angesprochen auf die Möglichkeit, durch Maskentragen andere zu schützen:

Damit hält man das nicht auf […] die technischen Daten dazu sind nicht gut für das Aufhalten mit der Maske.

Wissenschaftliche Studien und Forschende belegen den Virenschutz durch Masken, AFP, 13. Juli 2021:

Eine Modellierungsstudie in Jena aus dem Jahr 2020 zeigte etwa eine um 75 Prozent geringere Häufigkeit an Neuinfektionen 20 Tage nach Einführung einer Maskenpflicht. Die thüringische Stadt wurde zum Vergleich mit einer Kontrollstadt abgeglichen, in der es keine Maskenpflicht gab. […] Die Behauptung, dass Masken nicht vor Viren schützen würden, ist falsch.

There Is Little Evidence That Mask Mandates Had an Important Impact During the Omicron Surge, Reason, 18. Februar 2022:

Als Begründung für die Aufhebung der Maskenpflicht haben die Gouverneure und die Gesundheitsbehörden im Allgemeinen den drastischen Rückgang der täglichen Neuerkrankungen seit Mitte Januar angeführt. Es gibt jedoch kaum Beweise dafür, dass die Maskenpflicht viel mit diesem Rückgang zu tun hatte. […] Insgesamt gibt es keinen offensichtlichen Unterschied zwischen Staaten mit Maskenpflicht und Staaten ohne Maskenpflicht.

Anmerkung: Hier kann das bekannte Argument angeführt werden, dass die Diskrepanz zwischen den Einschätzungen lediglich mit dem fortschreitenden Wissensstand zu tun hat. In einem Interview mit Cicero bemerkte so auch der ehemalige Leiter des globalen Influenzaprogramms der WHO, Klaus Stöhr, dass man den Jahre zuvor geltenden Konsens zur Gesichtsmasken aufgrund neuer Erkenntnisse habe revidieren müssen. Das wiederum spricht eher gegen einen Faktencheck als Momentaufnahme einer immer unübersichtlicheren Anzahl sich teilweise widersprechender Studien, die sich nicht zuletzt – und das soll das letztgenannte Beispiel zeigen – an den Ergebnissen "im Feld" messen müssen. Die (gesonderte) FFP2-Debatte wurde hier bewusst nicht aufgegriffen.