Zeitenwende verpasst? Warum sich ein sozial-ökologischer Wandel nicht durchsetzte
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Das 21. Jahrhundert brachte bisher Umbrüche. Krisen häuften sich, Hoffnungen schwanden. Doch warum konnte sich kein sozial-ökologischer Wandel durchsetzen? (Teil 2)
Eine Zeitdiagnose muss in einer solchen Situation vor allem fragen, wie die Gesellschaft, ihre Subjekte und Akteure mit dieser Umbruchsituation, mit dieser historischen Herausforderung umgehen. Werden diese überhaupt wahrgenommen und gelingt es, diese Wandlungs- und Umbruchprozesse friedlich, im Konsens und transformativ gestaltend sowie mit sicherer Zukunft zu bewerkstelligen oder vollziehen sich diese Prozesse eher zwangsläufig, chaotisch, gar gewaltsam und ohne echte Perspektive.
Dieser Frage nachzugehen, erfordert erst einmal, den Blick auf die Welt des 21. Jahrhunderts und auf die Verfasstheit der darin "eingebetteten" Gegenwartsgesellschaften zu richten. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Welt eine andere geworden, global und auch hierzulande. Eine lange Welle des Wechsels und der Abfolge sozioökonomischer und soziopolitischer Entwicklungszyklen findet vorerst einen (zumindest relativen) Abschluss.
Für die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lassen sich im Prinzip für alle westlichen Gesellschaften zwei solche aufeinanderfolgende Entwicklungszyklen/-Pfade identifizieren: Zum einen der, der mit der New Deal-Transformation (beginnend in den USA der 1930er Jahre und nach dem 2. Weltkrieg sich in allen entwickelten kapitalistischen Ländern verbreitend) vollzogene Übergang zu einem "Teilhabekapitalismus" (Busch/Land) bzw. zur "Sozialen Moderne" (Nachtwey); zum anderen der, der sich seit Mitte/Ende der 1970er Jahre durchsetzte und als ein "Marktradikaler/Neoliberaler Pfad" bezeichnet wird.
Von der Aufstiegsgesellschaft zur umkämpften postneoliberalen Übergangsphase
Die heutige Zeit ist nun charakterisiert durch die Erosion dieses jahrzehntelang dominierenden neoliberalen Regulations- und Entwicklungspfades und die Entstehung einer sogenannten Zwischen- bzw. Übergangszeit.
Zeitdiagnostisch können diese Entwicklungszyklen auch als "Aufstiegsgesellschaft" (nach 1945), als neoliberale "Marktgesellschaft" (seit den 1980er/90er Jahren) und heute als eine umkämpfte postneoliberale Übergangs- bzw. Umbruchgesellschaft definiert werden. All dies waren Wandlungen innerhalb der bestehenden Gesellschaftsformation, aber doch mit beachtlichen Veränderungen von Produktion, Arbeit, Kultur und Lebensweise verbunden (s. auch Reißig 2019).
Doch immer deutlicher wurde, dass jetzt im 21. Jahrhundert grundlegendere sozioökonomische und soziopolitische Wandlungen und gesellschaftliche Veränderungen anstehen. Den Schnittpunkt dieser Entwicklung bildet die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008, die den finanzmarktgetriebenen Entwicklungspfad in ein tiefes Dilemma stürzte. Im Rückblick erweisen sich die vergangenen eineinhalb Jahrzehnte als eine neue gesellschaftliche Entwicklungsperiode, als ein beginnendes "post-neoliberales Zeitalter", das mit neuen Chancen und Risiken einhergeht.
So eröffnete die einsetzende Erosion des bislang global und national dominierenden marktliberalen Entwicklungspfades neue Möglichkeiten hin zu einem Weg sozial-ökologischer Wandlungen. Denn die Reserven des Neoliberalismus waren erschöpft, seine Versprechungen nach mehr Freiheit und Wohlstand verloren an Wirkung.
Der Markt, auf den alles konzentriert war, versagte. Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise mit ihren Folgen wurde nun auch physisch wahrnehmbar und spürbar. Ein gesellschaftliches Gefühl, dass etwas endet und etwas Neues erforderlich, aber auch möglich wird, machte sich breit.
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Die gesellschaftlichen Protestbewegungen wuchsen mehr und mehr an und erlangten erstmals wieder globalen Charakter (u. a. Weltsozialforen, weltweite Occupy Wall-Street-Bewegung). Nachhaltigkeit, Ökologie, Umwelt wurden zu wichtigen gesellschaftlichen Themen. Das Magazin Die Zeit erschien im August 2007 unter dem Aufmacher "Deutschland rückt nach links" und begründete dies mit der Zustimmung von Mehrheiten für soziale Gerechtigkeit, für einen Sozialstaat, für Erweiterung des Gemeineigentums.
Verpasste Chancen: Warum sich kein öko-sozialer Entwicklungspfad durchsetzte
Das Thema "Transformation" – jetzt aber als Suche nach einem zukunftsfähigen Entwicklungsmodus in der westlichen und globalen Welt – kehrte in die Zeitgeschichte zurück (u. a. Reißig 2009; WGBU 2011; Club of Rome 2012).
Wie sich inzwischen jedoch zeigt, konnte sich trotz der zunächst gegebenen Öffnungschancen ein solch neuer, öko-sozialer Entwicklungspfad nicht durchsetzen. Das 21. Jahrhundert bekam ein anderes Gesicht. Die Dringlichkeit gesellschaftlicher Umwandlungen nahm mit der neuen Krisen- und Konfliktsituation weiter zu, doch zugleich verstärkten sich auch die diesen entgegen gesetzten Blockaden.
Die Frage ist, wie es kommt, dass eine hochgradig von Widersprüchen, Krisen, Pandemien, sozialen und ökologischen Gefährdungspotenzialen geprägte Gesellschaftsform sich immer wieder von Neuem reproduzieren kann. Dies steht – und jetzt mehr denn je – im Raum und bedarf neuer Überlegungen und Forschungen.
Multiple Krisen prägen die post-neoliberale Entwicklungsperiode
Gut, dass auch das renommierte – einst von Horkheimer, Adorno und Marcuse geprägte – IfS Frankfurt Main sich dem ernsthaft annehmen wird. An dieser Stelle soll und kann nur in Stichworten zeitgeschichtlich angedeutet werden, wo der Verfasser dieser Zeilen Ursachen einer solch regressiven Entwicklung, eines solch veränderten Gesellschaftszustandes sieht:
• In den Mittelpunkt dieser neuen post-neoliberalen Entwicklungsperiode rückten dann jedoch nicht die sozial-ökologischen Transformationsvorschläge und -schritte, sondern eine Krisenpolitik. Denn die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 wurde zum Auftakt neuer Krisen in der Folgezeit: Eurokrise, Migrationskrise (2015), Coronakrise (2020 ff.), Energie- und Rohstoffkrise und die alles überwältigende Ökologie- und Umweltkrise. In dieser aufbrechenden, neuartigen "multiplen Krise" bzw. "Polykrise" (Adam Tooze) gewannen vor allem konservative und regressive Kräfte mit ihrer Art der Krisenpolitik, d. h. Versuche einer Stabilisierung des Alten vor Umbau zum Neuen, national und international die Dominanz.
• Die später in Regierungsverantwortung gelangten sozialdemokratischen und grün-liberalen Kräfte vermochten es nicht, ihr Vorhaben im Koalitionsvertrag 2021 (Transformation, Grüne Modernisierung, Respekt als Anerkennung und Teilhabe) als ein Konzept ökologisch-sozialer Transformation zu entwerfen, zu kommunizieren und schrittweise in die Praxis umzusetzen. Statt Steuerung und Regulierung des zugegebenermaßen schwierigen Umbaus zunehmende Verunsicherung, Konfusion, Rückwärtsgang.
• Die Transformationskräfte brachten schließlich kein breites gesellschaftliches Transformationsbündnis zustande und gerieten mit ihrem Projekt und ihren Botschaften allmählich in die Defensive.
• Mit dem Ukraine-Krieg und der damit einhergehenden globalen und insbesondere Ost-West-Konfrontation, Militarisierung und Aufrüstung entstand das Gegenstück und der Bremsklotz für eine Nachhaltigkeits-Transformation im globalen und nationalen Maßstab – und das nicht als allgemeine Annahme, sondern als täglich zu erlebende Praxis.
• Schließlich, doch nicht zuletzt, vollzog sich ein tiefgreifender Wandel der geistigen Situation (vgl. auch Habermas 1979) in der Gesellschaft, nur dieses Mal viel gravierender: Klimakrise und sozialökologische Wende gerieten in der öffentlichen Debatte in den Hintergrund, Migration und Sicherheit in den Vordergrund; Aufstieg des Rechtspopulismus im nationalen, europäischen und internationalen Maßstab; angesichts von Krisen, Pandemien und Kriegen zunehmende Ängste und Verunsicherungen in der Bevölkerung bei gleichzeitiger Einengung des öffentlichen Diskussionsraumes; der historisch-soziologisch bestimmte Begriff der "Zeitenwende" (s. auch Sabrow 2024) als Epochen- und Gesellschaftsumbruch wurde infolge des Ukraine-Krieges strategisch-politisch umgedeutet und so u. a. anstelle von "Transformationsfähigkeit" "Kriegsfähigkeit" gesetzt; statt Green Deal (EU) globale Konkurrenz; und nicht zu übersehen die Wandlungen in der politischen Kultur, wo der politische Gegner zum Feind erklärt wird (u. a. und besonders USA).