Zeitweilige Okkupation
Das Netzwerk US-amerikanischer Militärstützpunkte stellt einen global-nebulösen Nicht-Ort dar, der ständig seine Koordinaten abhängig vom ökonomischen und politischen Klima wechselt
Mit dem Phänomen der US-amerikanischen Militärstützpunkte beschäftigt sich der unabhängige Forscher Sean Synder. Im Zentrum seiner Recherche stehen nicht zuletzt Organisationen wie das US Army Corps of Engineers, das unter anderem für den Bau von militärischen Einrichtungen zuständig ist und seinen Operationsradius längst der globalen Präsenz des US-Militärs angepasst hat. In 93 Ländern werden Militärstützpunkte unterhalten, darunter in Deutschland, Italien, Südkorea oder Saudi Arabien. Und in all diesen Ländern sind sie der Ausgangspunkt für die Einflussnahme von Seiten der USA, die sich nicht nur auf ökonomischer und politischer, sondern auch auf kultureller Ebene bemerkbar macht.
Ein Fallbeispiel für die über die Militärbasen ausgeübte kulturelle Dominanz der USA weltweit ist Japan, insbesondere Okinawa. Ein Inselreich, das 1879 von Japan annektiert und 1945, mit dem Einverständnis des japanischen Kaisers, von den USA okkupiert wurde. Wie der Kulturwissenschaftler und Medienaktivist Toshimaru Ogura anhand der auf dortigen US-amerikanischen Militärstützpunkten herangereiften Kultur beobachtet, sind Jugendkulturtrends der Hippie-Ära, amerikanische Popmusik, insbesondere Rock, auf der tropischen Insel gefiltert worden, um dann ihr Massenpublikum auf dem japanischen Festland zu erreichen. Beispielhaft dafür ist eine Band wie Murasaki, die sich zunächst als Coverband in ausschließlich für US-amerikanische GIs vorbehaltenen Clubs verdingte und dort einen extrem harten und animalischen Stil entwickelte, der später die Kids in Tokio, Osaka und Sapporo schocken sollte.
Die Militärstützpunkte in Okinawa sind allerdings nicht nur bezeichnend für die kulturelle Dimensionen der postkolonialen Kondition. Snyder untersucht auch die sozio-ökonomischen Zusammenhänge, die auf Militärstützpunkten zum Tragen kommen. Dabei beschäftigt ihn nicht zuletzt folgende Frage: Wie werden Military Bases zu Enklaven, die einem Soldaten das Gefühl der medialen, kulturellen und mentalen Rundumbetreuung vermitteln? In der "Sample List of facilities on Military Bases" tauchen Bibliotheken, Optiker, Toylands, Blumenläden, Fitnesscenter, Schwimmbäder, Safari Parks, ein 24 Stunden Kino und vieles mehr auf. Diese Einrichtungen sorgen dafür, dass sich der Hard-Rock-Cafe-Effekt einstellt - die Soldaten fühlen sich immer zu Hause. Gleichzeitig geht es aber auch darum, dass sie dort ihr schwerverdientes Einkommen ausgeben.
Die Freizeitangebote auf Militärbasen sind aber auch deshalb so symptomatisch, weil der Stützpunkt selbst zu einem gewissen Zeitpunkt seine militärische Funktion einbüssen kann. In Folge dessen wandelt er sich etwa zum Ausgangspunkt der so genannten operations other than war, im Fachjargon OOTW abgekürzt. Operationen wie "Provide Comfort" in Kurdistan, "Sea Angel" in Bangladesch, "Restore Hope" in Somalia, "Uphold Democracy" in Haiti und "Support Hope" in Goma, Zaire, stellten in den 1990ern ein Beschäftigungsprogramm für das US-Militär dar, das deutlich zeigt, wie anpassungsfähig es angesichts Veränderungen im militärischen Sektor ist, zuletzt etwa die neue Art der Kriegsführung, wie sie auch in Afghanistan Anwendung gefunden hat, die üppige Truppenerhaltung schlichtweg überflüssig erscheinen lässt.
Die vielleicht bislang seltsamste Langzeitmission in der OOTW-Kategorie bestand darin, aus der US-Marine einen Umweltschutzverein zu machen: Aus Radaranlagen wurden so genannte ökologische Frühwarnsysteme, die die Marines bei grenzüberschreitenden Umweltkatastrophen in Alarmbereitschaft versetzen sollten. Vor allem Probleme wie die Erderwärmung legten nahe, dass das Einsatzgebiet der Marines sich nicht nur auf Nordamerika beschränken konnte. Doch auch Erdbeben in Südamerika, Reaktorunfälle in Südostasien und Epidemien in Afrika rechtfertigten eine globale Truppenpräsenz. Damit wurde nicht nur die Grundlage dafür geschaffen, wo immer es gerade notwendig scheint, militärische Einsätze im Namen der Natur und Entwicklungshilfe zu initiieren, sondern auch dafür Sorge getragen, dass das Budget des US-Militärs nicht gekürzt werden musste und die umfangreichen Forschungskapazitäten aufrechterhalten werden konnten.
Es kommt aber auch zu Zweitnutzungen:
The post-usage restructuring of foreign bases has become a difficult predicament as well as a secondary industry. Bases that are given back to local authorities are redeveloped into a number of facilities and uses, such as housing areas, vacation communities, temporary concert venues, industrial parks, budget airline hubs, etc. Many facilities such as housing, administrative offices and storage areas may be reused immediately, while facilities like helicopter airfields and ammunition dumps lack realistic conversion options.
Sean Snyder