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Zensur in Iran

In Irans Gefängnissen sitzen unzählige Künstler und Journalisten. Wer in der Islamischen Republik publizieren will, unterliegt strengen Regeln

In Iran gibt es die Wendung, ein Text sei "mit gebrochener Feder" geschrieben. Das bedeutet, dass der betreffende Text vom Ministerium für Kultur und islamische Führung (Ershad) in Teheran zensiert wurde. Da es aber laut der Verfassung der Islamischen Republik Iran offiziell keine Zensur gibt, darf das Kind nicht beim Namen genannt werden. Iranische Schriftsteller, Herausgeber, Filmemacher unterliegen strengen Regeln, und wenn sie in ihrem Heimatland publizieren wollen, bleibt ihnen die Schere im Kopf nicht erspart. Um Repressionen zu vermeiden, wird pausenlos Selbstzensur geübt.

Offizielle Publikationen und kulturelle Veranstaltungen ohne vorherige Genehmigung des Ershad gibt es in Iran nicht. Das Ministerium in Teheran, das dem Präsidenten untersteht, prüft jeden Text, jeden Film, jedes Veranstaltungsvorhaben akribisch und kann nach eigenem Ermessen zensieren. Texte werden gekürzt, Filme geschnitten, bei Lesungen und Theateraufführungen Passagen entfernt, die nach Ansicht des Ministeriums "unislamisch" sind. Bei zu vielen Beanstandungen kann das betreffende Werk komplett verboten werden.

Evin-Gefängnis

Viele iranische Künstler gehen daher ins Ausland, andere arrangieren sich mit der Zensur, wieder andere widersetzen sich ihr. Vor allem Letztere füllen die iranischen Gefängnisse, allen voran das berüchtigte Evin-Gefängnis im Norden Teherans, vor der Kulisse des Alborz-Gebirges. Berüchtigt deshalb, weil dort Folter, Vergewaltigungen und Willkür an der Tagesordnung sind. Im offiziellen Sprech wird all das unter "Erziehung" subsumiert. Ebensowenig existiert der Begriff "Zensur" im offiziellen Sprachgebrauch. Die Gründe hierfür liegen in der Verfassung. Dort heißt es in Kapitel 3:

Grundsatz 23
Die Inquisition der Gedanken ist verboten; niemand darf aufgrund seiner Überzeugung angegriffen und bestraft werden.

Grundsatz 24
Die Meinungsfreiheit in Publikation und Presse wird gewährleistet, es sei denn, die Grundlagen des Islam und die Rechte der Öffentlichkeit werden beeinträchtigt. Einzelheiten regelt das Gesetz.

Iranische Verfassung

Außerdem heißt es in Kapitel 1, Grundsatz 3.6, die Regierung verpflichte sich, "jede Art von Despotismus, Autokratie und Monopolismus zu beseitigen".

Das Regime missachtet die Verfassung

Das bedeutet im Klartext: Die Regierung Irans, namentlich Mahmud Ahmadinedschad, Ali Chamenei und der Wächterrat treten ihre eigene Verfassung, die unter dem Trauma des Schah-Regimes entstand, mit Füßen, wähnen sich aber dennoch im Recht, indem sie ihre brutale Machtpolitik mit der Klausel in GS 24 (die Klausel taucht in zahlreichen Verfassungsartikeln auf) begründen. Was nun islamisch ist und was nicht, und was die "Rechte der Öffentlichkeit" beeinträchtigen kann, wird nach Gusto der Machthabenden definiert. Als Chomeini 1979 von Paris nach Teheran flog, um die Regierung des Landes zu übernehmen, erzählte er einem anwesenden Reporter sinngemäß, es gehe ihm gar nicht um die Religion, sondern nur um die Macht, und auf die Frage, was er denn fühle, nach so langer Zeit im Exil in seine Heimat zurückzukehren, sagte er: "Ich fühle nichts." Diese Aussagen sind symptomatisch für die Katastrophe, die die Iraner seither heimsucht.

Seit den mutmaßlich gefälschten Präsidentenwahlen im Juni 2009 wird das Regime mutiger. Immer öfter werden auch Personen des öffentlichen Lebens inhaftiert, die internationale Aufmerksamkeit genießen. Die Oppositionskandidaten Mehdi Charroubi und Mir Hossein Mossavi wurden massiv unter Druck gesetzt, ihre direkten Freunde und Mitarbeiter verhaftet, sogar ihre Familienmitglieder wurden drangsaliert. Das Preisgeld der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi wurde konfisziert. Der Filmemacher Jafar Panahi saß im Evin, obwohl er zur Berlinale eingeladen war und Mitglied der Jury in Cannes sein sollte. Vermutlich aufgrund des Drucks der internationalen Öffentlichkeit wurde er gegen eine Kautionszahlung von 160.000 Euro vergangene Woche entlassen. Nur wenige Tage zuvor verschwand der seit Mitte der achtziger Jahre in Deutschland lebende Regisseur und Regimekritiker Daryush Shokof spurlos. Er hatte in Köln einen Zug nach Paris besteigen wollen, aber in Paris ist er nie angekommen. Exiliraner in Köln zweifeln nicht daran, dass er entführt wurde. Es wäre nicht das erste Mal, dass das Regime sich seiner Kritiker auch im Ausland entledigt.

Die Zensur kann jeden treffen

Im Mai hatte der iranische Schriftstellerverband protestiert, weil im Zuge der Teheraner Buchmesse Werke aus dem Verkehr gezogen worden waren, obwohl das Kulturministerium ihre Veröffentlichung zuvor genehmigt hatte. Das ist keine Seltenheit. Dass ein Buch den Zensurprozess übersteht, bedeutet nicht, dass es für immer und ewig frei verkäuflich bleibt. Auch im Nachhinein können Bücher – oft mit völlig willkürlichen Begründungen – eingezogen werden. Diese Praxis hat bisher unzählige Verleger in den Ruin getrieben. Das Verbot eines Werkes bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass es nicht mehr zu haben ist. In Iran gibt es kein Urheberrecht. Für Verleger und Autoren ist das freilich ein immenses Problem. Auf der anderen Seite wird diese Tatsache von unabhängigen, der Opposition nahe stehenden Druckereien genutzt, um verbotene Werke zu vervielfältigen und zu verbreiten. Der Hunger der Menschen in Iran ist groß – dementsprechend floriert der Schwarzmarkt, auf dem relativ problemlos auch Pornographie, westliche Musik, unzensierte westliche Filme und Alkohol zu haben sind. All das ist offiziell nicht erlaubt, gilt als unislamisch. Wer erwischt wird, riskiert empfindliche Strafen.

Diwan von Hafez

Die Zensur kann jeden treffen und treibt mitunter absurde Blüten. Sogar der Nationaldichter Chadje Shams ad-Din Muhammad Hafez-e Shirazi, kurz Hafez, ist einigen der Verantwortlichen ein Dorn im Auge, den in seinen Ghasalen (klassische persische Gedichtform) preist er die Frauen und den Wein. Den Radikalkonservativen gilt er als verlotterter Trinker. Aber an ihn kommen sie nicht ran. Hafez' "Diwan" genießt unter Iranern ebenso große Verbreitung wie der Koran. Das Buch steht in jedem Haushalt.

Sadegh Hedayat (1903-1951), der mit seinem Roman "Die blinde Eule" (Buf-e Kur) als Begründer der modernen iranischen Prosaliteratur gilt und nicht zu Unrecht die Bezeichnung "Iranischer Kafka" trägt, wurde großteils vom offiziellen Buchmarkt getilgt. Der Protagonist der "blinden Eule" ist Trinker, drogensüchtig (wie Hedayat selbst) und ein Mörder. Das Buch ist international als literarisches Meisterwerk anerkannt. Für die iranischen Behörden und regimetreue Akademiker, die an den Universitäten Literatur unterrichten, gilt es als "Schund", der islamische Prinzipien verletzt.

Sadegh Hedayat

Der aktuellste Roman des iranischen Romanciers Mahmud Doulatabadi, "Der Colonel", durfte in Iran nicht erscheinen. Die Ershad bezeichnete den Roman als "Meisterwerk", das man unmöglich kürzen könne, veröffentlichen könne man es aber auch nicht. Der Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan, der zurzeit in Berlin lebt, reichte seinen letzten Roman "Teheran. Revolutionsstraße" erst gar nicht zur Prüfung ein. Das Werk ist bisher nur in Deutschland erschienen.

Wie läuft die Zensur ab?

Wie aber funktioniert der Zensurprozess, was darf geschrieben werden, was nicht? Am Beispiel eines Romans lässt sich das erläutern: Ein fertig geschriebenes Buch muss, sobald es für die Veröffentlichung vorgesehen ist, in Form der Druckfahnen beim Ershad eingereicht werden. Viele Schriftsteller arbeiten, wie bereits erwähnt, mit der Schere im Kopf. Sie kennen die Zensurkriterien und umgehen daher kritische Themen oder formulieren derart verklausuliert, dass keine eindeutige Zensurrelevanz mehr gegeben ist. Das ist einer der Gründe dafür, dass die iranische Literatur im Westen oft als "blumig" und schwierig empfunden wird. Wenn es dennoch etwas zu beanstanden gibt, wird der Autor und/oder der Verleger nicht selten ins Ministerium zitiert. Es gibt diese Variante, in der man vom Autor erwartet, dass er sich entweder plausibel verteidigt oder kopfnickend seinen Fehler eingesteht und die betreffende Passage streicht. Es kommt auch oft vor, dass einfach mitgeteilt wird, was entfernt werden muss, ohne Wenn und Aber und ohne Begründung.

Nach der Freigabe kann das Werk gedruckt werden, aber bevor es verkauft werden darf, muss es erneut zur Prüfung, damit sichergestellt wird, dass den Anweisungen Folge geleistet wurde und nicht nachträglich noch Änderungen eingebaut wurden (eine Taktik, mit der Autoren in der DDR oft um die Zensur herumgekommen sind). Selbst wenn alles stimmt kann es passieren, dass es dennoch neue Beanstandungen gibt. Hin und wieder wird so verfahren, wenn das Ministerium unliebsame Publizisten aus dem Verkehr ziehen will. Dadurch, dass sie auf den Druckkosten sitzen bleiben, werden sie ins wirtschaftliche Aus getrieben.

Zensurrelevant sind zahlreiche Themen. Dazu gehört jegliche Form der Kritik an der Regierung, auch in verschleierter oder symbolischer Form. Wenn ein Prüfer etwas als Regierungskritik interpretiert, auch wenn der Autor es gar nicht so gemeint hat, kommt die Schere zum Einsatz. Das hat eine lange Tradition, die bis zum Schah-Regime zurückreicht. Samad Behrangi (1939-1968) formte seine politische Kritik in Tierfabeln (sein berühmtestes Werk "Der kleine schwarze Fisch" wird bis heute illegal vertrieben). Er soll bei einem Badeunfall gestorben sein, inoffiziell wird aber davon ausgegangen, dass er aufgrund seiner Arbeit ermordet wurde.

Ebenfalls zensiert wird jegliche Kritik am Islam, seinen Symbolen, Regeln und Vertretern, sowie alles, was im Auge des Regimes als "unislamisch" gilt. Diese Regeln sind sehr weitreichend, daher zur Veranschaulichung nur zwei Beispiele: Da Alkohol in Iran verboten ist, gilt dasselbe für seine Erwähnung. Wer Bier erwähnt, muss betonen, dass er von alkoholfreiem Bier spricht (das bekommt man auch in Iran überall). Tanzen gilt als etwas Erotisches, der Begriff "Tanz" ist daher grenzwertig und kann zensiert werden.

Überhaupt ist das weite Feld der Erotik ein Tabu. Sex darf grundsätzlich keine Erwähnung finden, erst recht nicht in anregender Weise. Die Behandlung dieses Themenkomplexes erreicht bisweilen Züge, über die man lachen könnte, wäre die Situation nicht so tragisch. So ist die Erwähnung von Geschlechtsorganen oder entblößten Körperteilen (außer unter strengen Bedingungen im medizinischen Bereich) ein Tabu. Berührungen zwischen Mann und Frau werden allerhöchstens dann gestattet, wenn die betreffenden Charaktere verheiratet oder verwandt sind. Obwohl die Liebe seit jeher ein zentrales Thema in der iranischen Literatur ist, kann ein simpler Kuss die Gemüter der Zensoren erregen. Ebenso eine Frau mit wehendem Haar. Diese Haltung spiegelt übrigens durchaus die Lebensrealität in Iran wider. Frauen müssen den Hijab tragen, und ein junges Paar, das sich küsst, riskiert Gefängnis, wenn es von den Sittenwächtern ertappt wird. In vielen öffentlichen Bereichen herrscht Geschlechtertrennung. Man darf bei aller Empörung aber nicht vergessen, dass es noch gar nicht wirklich lange her ist, dass in Deutschland der Kuppelparagraph abgeschafft wurde.

Film und Presse

Im Filmbereich läuft es ähnlich. Drehbücher und Drehpläne müssen eingereicht werden. Ohne Freigabe gibt es keine Drehgenehmigung, und fertige Filme müssen erneut durch die Prüfung, bevor sie gezeigt werden dürfen. Sowohl bei Büchern als auch bei Filmen ist die Dauer der Prüfung willkürlich und reicht von wenigen Tagen bis zu mehreren Jahren (in seltenen Fällen gar Jahrzehnten). Bei der Tagespresse funktioniert das freilich nicht. Die Redaktionen sind angehalten, sich den Regeln zu beugen. Tun sie es nicht, werden die Publikationen verboten und die Redaktionen geschlossen. Mutige Redakteure machen kurz darauf unter neuem Namen weiter, nur um sich erneut ein Verbot einzufangen.

Zensierte Medien finden daher mehr und mehr im Internet Verbreitung. Zwar versucht das Regime auch dort die Schere anzusetzen, bisher aber mit mäßigem Erfolg. Websites, die gesperrt werden, wandern auf ausländische Server. Bei Demonstrationen vernetzen sich die Teilnehmer per Handy und über Social Networks. Das Arbeitsverbot für ausländische Journalisten während der letzten Proteste war nahezu wirkungslos, da die Demonstranten selbst via Youtube, Facebook und Twitter live ihre Bilder um die Welt sendeten.

In Kürze steht der Jahrestag der Wahlen an. Bereits jetzt formiert sich die Opposition online, plant Demos und Veranstaltungen. Es wird sich zeigen, wie lange das Regime in Teheran noch gegen die überwiegende Mehrheit der eigenen Bevölkerung agieren kann.

Wer mehr über die Details der Zensurpraxis in Iran und die Methoden der Ershad erfahren möchte, dem sei der Roman "Eine iranische Liebesgeschichte zensieren" von Shahriar Mandanipur empfohlen. Das Buch zeigt anhand einer zensierten Beispielgeschichte, kommentiert vom Autor, wie das Ministerium vorgeht, und behandelt auch weitere Zensurbereiche. Freilich konnte es in Iran nicht erscheinen. Mandanipur lebt und arbeitet in den USA:


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