Zero Migration
Die EU bringt Nachbarstaaten auf Linie, um sich künftig vor Flüchtlingen und Asylbewerbern zu schützen
Europas geostrategische Interessen greifen immer weiter aus. Dabei steht das Thema „Migration“ ganz oben auf der EU-Agenda. Schon lange wird an einem gemeinsamen Konzept aller Mitgliedsländer gearbeitet, wie künftig Flüchtlinge und Asylbewerber von Europa ferngehalten werden können. Sie sollen möglichst im Ursprungsland, spätestens auf dem Transitweg nach Europa oder in einem „sicheren Drittstaat“ festgesetzt werden. Bis nach Pakistan, Afghanistan und Tansania reicht die EU-Einflusssphäre, um Migration abzuwehren und dem europäischen Schutzbedürfnis Rechnung zu tragen. Auch den Nachbarregionen der EU wird derzeit ein intensiver Dialogprozess aufgezwungen, der die „Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union“ zum Ziel hat. Die Missachtung der Menschenrechte wird dabei in Kauf genommen.
Vor knapp zwei Wochen bat man in Brüssel zu einer ersten hochkarätigen Pan European Migration Managment Conference. Unter der Schirmherrschaft der österreichischen EU-Ratpräsidentschaft trafen sich 200 hochrangige Vertreter aus 45 Staaten und Abgesandte von internationalen Organisationen. Vorbereitet wurde die Konferenz durch ein Treffen der EU-Innen- und Justizminister einige Tage zuvor. Sie beschlossen unter anderem die baldige Erstellung einer Liste „sicherer Drittstaaten“, in die künftig problemlos abgeschoben werden kann.
„Regionale Schutzzentren“ außerhalb der EU
Viele dieser „sicheren Drittstaaten“ waren dann auch zu Gast auf der Konferenz, um die europäische Interessenlage nahe gebracht zu bekommen. In Brüssel standen die Themen „Migration und Außenbeziehungen“, Sicherheit und Migrationspolitik“, „Recht und Migrationspolitik“ sowie „Wohlstand und Stabilität durch gemeinsame Verantwortung im Migrationsmanagement“ im Zentrum. Im Klartext heißt das: die Einrichtung von Auffanglagern, die verstärkte Kontrolle und Eindämmung der Migrationsströme und die Aufrüstung des Grenzschutzes in den Drittstaaten. Schon jetzt wird das Programm für „Regionale Schutzzentren“ vorangetrieben , Pilotprojekte für Auffanglager entstehen in der Ukraine, in Moldawien und Weißrussland (Das Lagersystem für Flüchtlinge). Darüber hinaus sollen im Mai auf der Folgekonferenz in Wien weitere konkrete Projekte verabschiedet werden. Organisiert wird der ambitionierte Konferenzmarathon von der umstrittenen IOM (International Organisation for Migration).
Für die EU hat die Abschottung ihrer Außengrenzen äußerste Priorität. Dafür setzt man sich sogar dem Vorwurf aus, auch diktatorisch regierte Staaten wie Weißrussland direkt in die Planung einzubeziehen. Noch vor zwei Jahren wurde der Staat ausdrücklich von der Europäischen Partnerschaftspolitik ausgeschlossen. Auf der Brüsseler Konferenz vor zwei Wochen war das Land dagegen ganz selbstverständlich durch seinen Außenminister vertreten.
Diese Haltung hat Methode: Seit zwei Jahren unterhält Italien in Libyen Auffanglager für Flüchtlinge und Asylbewerber, es wurden bereits Tausende Flüchtlinge dorthin ausgeflogen. An internationale Abkommen zum Schutz der Flüchtlinge ist der nordafrikanische Staat dabei nicht gebunden: Die Genfer Flüchtlingskonvention hat Libyen nie unterzeichnet. Zudem wurden in der Vergangenheit mehrfach Flüchtlinge von Spanien und Italien nach Nordafrika abgeschoben, ohne dass sie die Möglichkeit bekamen, Asyl zu beantragen.
Es zeigt sich, dass die EU vor allem an sich denkt, wenn sie von „Schutz“ und „Sicherheit“ redet. Für Flüchtlinge und Asylbewerber bedeuten die derzeitigen Verhandlungen ein faktisches Ende der bisherigen Migrationspolitik. Der Strom von Hilfsbedürftigern soll schon weit vor den europäischen Grenzen gestoppt werden. Oder wie es in der Sprache der EU Kommission heißt: „Die Länder in den Herkunfts- und Transitregionen werden darin unterstützt, Anstrengungen im Hinblick auf einen Aufbau der Kapazitäten für den Schutz von Flüchtlingen zu unternehmen.“
Afrika als überwachter Raum: der wachsende militärische Einfluss der EU
Insgesamt lässt sich die EU die Migrationspolitik dreistellige Millionenbeträge kosten. Dafür wird auch militärisch aufgerüstet, wie Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung beschreibt: „Es gibt eine Menge Verbindungen zwischen der europäischen Migrationspolitik und einer militärischen Aufrüstung der Drittstaaten. Das geht von Überwachungssystemen, Schnellbooten und Nachsichtgeräten bis hin zu unbemannten Flugzeugen, die gegen illegale Migranten eingesetzt werden. Dafür werden Millionenbeträge bereitgestellt.“
Um die europäischen Küsten abzuschotten, wurde selbst der ehemalige „Schurkenstaat“ Libyen zum offiziellen Partner der EU. Das bestehende Militärembargo wurde 2004 aufgehoben (Libyen wird zum hofierten Partner der westlichen Staaten), Italien lieferte umgehend umfangreiches militärisches Material zur Küstenüberwachung und entsandte militärische Ausbilder. Die Bundeswehr schickte zur gleichen Zeit Libyens Nachbarstaat Tunesien sechs Schnellbooten. Auch anderes Gerät wurde in die Region geliefert, wie Helmut Dietrich von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration in seiner Studie über „Das Mittelmeer als neuer Raum der Abschreckung“ schreibt:
Im Jahr 2002 erhielt Algerien Überwachungssysteme für 10,5 Mio. Euro, Tunesien Kommunikationsausrüstung und Radargeräte für rund eine Mio., Marokko Militär-LKWs für 4,5 Mio. Euro.
Zudem wurde im April 2004 von der EU-Kommission eine „Peace Facility for Africa“ ins Leben gerufen. Sie stellt der Afrikanischen Union (AU) bis 2007 insgesamt 250 Millionen Euro für die militärische Krisenbewältigung bereit. Das Budget stammt pikanterweise aus dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF), der eigentlich für entwicklungspolitische Aufgaben eingerichtet wurde. Dadurch ist es zwar verboten, Waffen, Munition oder Soldaten zu finanzieren, doch dient der neue Finanztopf dem Aufbau von logistischen Strukturen für eine neue „Sicherheitsarchitektur“ und verstärkt die militärische Kooperation zwischen AU und EU. So wurde beispielsweise ein gemeinsames „Peace and Security Council“ ins Leben gerufen, das die konkreten „friedenssichernden“ Aktivitäten der AU koordinieren soll. Die Kooperation ist auch vor dem Hintergrund der „Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (ESVP) zu verstehen. Eine EU-freundliche Studie zur „Peace Facility“ schreibt dazu:
Zwar setzt man innerhalb der ESVP grundsätzlich auf den politischen Führungsanspruch der Afrikaner und lässt sie nach außen als die Herren des Verfahrens erscheinen. Jedoch eröffnet die operative Unterstützung der AU [...] in verstärktem Maße direkte Gestaltungs- und Einsatzmöglichkeiten quasi über die Hintertür einer partnerschaftlichen EU-AU-Diplomatie. Diese Möglichkeiten für ein pro-aktiveres ESVP-Handeln sollen künftig von der EU offensichtlich auch offensiver genutzt werden.
Schon die Genese der Peace Facility weist darauf hin, dass mit einer pro-aktiven Komponente des Ownership-Konzepts die EU über die AU in der Lage ist, über eine Art »Hintertürdiplomatie« eigene sicherheitspolitische Ziele zu lancieren. Praxis und Konzepte der EU belegen, dass schon heute kaum noch von einem bloß indirekten, sondern vielmehr von einem »indirekt-direkten« Afrika-politischen Engagement der EU gesprochen werden muss. Dieser Ansatz, über das Vehikel einer Regionalorganisation wie der AU eigene politische Ziele zu transportieren, ist bisher einzigartig [...].
Sebastian Wadle, Corina Schukraft: Die Peace Facility for Africa – Europa Antwort auf die Krise in Afrika?
Der direkte Einfluss der EU in Afrika soll auch gestärkt werden, um die unkontrollierte Migration schon in weit vorgelagerten Räumen einzudämmen. Dafür werden auch auf der zivilen Ebene die Beziehungen mit den afrikanischen Staaten derzeit intensiviert, was ein europäisch-afrikanisches Ministertreffen im Dezember 2005 in Mali positiv vermerkt: „Ministers recognised the remarkable efforts that have been made in recent months to revitalise and redynamise the partnership between Africa and the EU.” Schon in diesem Jahr wird sich, auf Vorschlag der EU, eine weitere Ministerkonferenz ausschließlich mit Migrationsthemen befassen.
Afrikanische Lager
Als die britische Regierung vor knapp drei Jahren in ihrem Konzept "New visions for refugees" exterritoriale Lager als Lösung des Migrationsproblems vorschlug, gab es von vielen EU-Kollegen noch Widerspruch (Die Festung EU will auch militärisch globaler Akteur werden). Neben Griechenland und Schweden soll sich damals auch Deutschland gegen die Einrichtung solcher Lager ausgesprochen haben, da die Internierung von Personen nicht mit den Menschrechten vereinbar sei. Allerdings hat sich gerade die deutsche Haltung in kürzester Zeit gewandelt und auch die meisten anderen EU-Staaten haben sich längst mit der Idee der exterritorialen Lager angefreundet. Gegenüber der Öffentlichkeit wird das allerdings sehr verschleiert kommuniziert. Der Schutz der Menschrechte wird stets gerne betont und noch im November 2005 sprach sich EU-Innenkommissar Franco Frattini in einem Interview gegen die Errichtung von Lagern aus. Zugleich sprach er davon, dass die EU vermeiden müsse, "dass Menschen aus diesen Problem-Regionen versuchen, in den Norden zu gelangen". In der realen politischen Umsetzung heißt dass eben doch: Lager bauen. Vier Millionen Euro wurden für das Pilotprojekt in Tansania bewilligt, zusätzlich sogar fünf Millionen Euro für ein begleitendes "Migrationsmanagement", mit dem in Zentralafrika Flüchtlingsströme reguliert werden sollen.
Für Karl Kopp von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl ist das Programm allerdings völlig unterfinanziert:
Die EU macht schöne Worte, aber die Realität in Afrika sieht ganz anders aus. Die UNHCR wird nicht ausreichend unterstützt, so dass die Essenrationen von Millionen Flüchtlingen reduziert werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist das Programm ein zynischer Ansatz. Im Kern geht es nicht um humanitäre Verbesserungen, sondern darum, Zonen zu schaffen, in denen die EU Asylbewerber abladen kann.
Auch der Präsident der Afrikanischen Union (AU) Alpha Oumar Konaré lässt keinen Zweifel daran, was von der angeblich intensivierten „Partnerschaft“ mit Afrika zu halten ist. Er weist darauf hin, dass beispielsweise die EU-Agrarsubventionen in Afrika verheerende Auswirkungen haben und den einheimischen Bauern die Existenzgrundlage entzieht. Armut sei immer noch der wichtigste Grund für die Migration in Richtung Europa:
Wir reden hier von Verelendung. Das Problem lässt sich nicht regeln, wenn man Gefängnisse und Mauern auf unserem Territorium errichtet.