Zocken für die Rente
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Die absurde Idee der "Aktienrente": Was (nicht nur) Bundesfinanzminister Lindner über Sparen und Investitionen in Sachanlagen, niedrige Zinsen und Renditen wissen müsste.
Nach der großen Finanzkrise der Jahre 2008/2009 waren für einen Moment alle klüger. Zocken, das wusste man nach den bösen Erfahrungen von damals, ist prinzipiell gefährlich. Besonders gefährlich ist es, wenn man nicht einmal mit dem eigenen Geld zockt, sondern sich verschuldet, um in den Kasinos dieser Welt sein Glück zu versuchen.
Man nimmt also Schulden auf, für die man fest vereinbarte Zinsen zahlen muss, und hofft darauf, mit der dann zur Verfügung stehenden Summe so erfolgreich zu zocken, dass man nicht nur die Zinsen zahlen kann, sondern auch noch einen Gewinn macht, weil die erzielte Rendite den Zins übersteigt. Mit diesem wunderbaren Gewinn, so die Hoffnung, kann man dann in Ruhe seinen Lebensabend genießen.
Kann es noch etwas Absurderes geben? Nein, eigentlich nicht, es sei denn, diese Aktion wird nicht von einfältigen Privatleuten gemacht, sondern vom Staat. Doch genau das plant der Bundesfinanzminister. Er will wegen der demografischen Sorgen eine Aktienrente schaffen, deren Kapitalstock zunächst mit staatlichen Schulden gefüllt wird.
Später werden dann sicher auch die Bürger in irgendeiner Weise dazu gebracht, in diesen Fonds einzuzahlen, auf dass sich das ganze Volk langfristig und unabhängig von der Demografie eine wirklich stabile und sichere Rente zusammenzockt.
Vorbild, so hört man, ist Norwegen, wo der Staat mit Öleinnahmen einen gewaltigen Fonds gefüllt hat, der auf den Märkten der Welt an so ziemlich jeder Anlageart beteiligt ist, die man sich vorstellen kann. Auch im Mittleren Osten gibt es ähnliche Fonds. Immer wenn die Staaten wirklich nicht mehr wissen, wie sie die horrenden Einnahmen aus dem Verkauf fossiler Energieträger im Inland noch verwenden sollen, versuchen sie, für die überschüssigen Einnahmen globale Investments zu finden.
Derzeit ist das wieder besonders akut, weil die Einnahmen der Ölförderländer angesichts extrem hoher Rohöl- und Gaspreise explodieren. Der saudische Ölmulti Aramco hat allein im dritten Quartal dieses Jahres über 40 Milliarden US-Dollar Gewinn gemacht. Was machen die ohnehin steinreichen Besitzer von Aramco damit?
Es gibt schon zu viel Sparen
Für die Welt schafft diese Art des Sparens ein enormes Problem, weil es einerseits die Nachfrage in den Ländern verringert, die Rohstoffe konsumieren, und andererseits das Sparen da anregt, wo ohnehin viel zu viel gespart wird.
Das hat enorme und eindeutig negative Auswirkungen weltweit auf die Investitionen, auf die es letztlich ankommt, die Investitionen in Sachanlagen nämlich. Da es nicht genug Sachinvestitionen und damit wirklich renditeträchtige, nämlich auf Produktivitätssteigerung beruhende Sachanlagen für all die Ersparnisse der Welt gibt, lagen die Zinsen im vergangenen Jahrzehnt fast überall nahe null oder sogar darunter.
Die hohen Aktienkurse waren zu einem erheblichen Teil Ergebnis einer Spekulationsblase, weil sich die Massen des anlagesuchenden Kapitals auf Aktien stürzten, da Anleihen keine oder kaum Rendite abwarfen.
Die niedrigen Zinsen waren folglich, anders als libertäre Kreise vermuten, keineswegs der Willkür der Zentralbanken der Welt geschuldet. Vielmehr waren sie Zeichen einer globalen Nachfrageschwäche, die wiederum die Investitionen in Sachkapital lähmte.
Die Unternehmen erzielten zwar durchweg ordentliche Gewinne, aber sie steckten sich nicht in den Ausbau der Kapazitäten, sondern suchten selbst mit den von ihnen erwirtschafteten Mitteln nach Finanzanlagen außerhalb ihres Betriebes.
Die Tatsache, dass in fast allen Industrieländern die Unternehmen in den vergangenen zwanzig Jahren Einnahmeüberschüsse aufweisen, also zu Sparern geworden sind, sollte eigentlich jeden stutzig machen, der darüber nachdenkt, neue renditesuchende Fonds zu schaffen. Woher soll die Rendite kommen, wenn die reale Investitionstätigkeit durch jeden neuen Fonds, durch jedes zusätzliche Sparen auf dieser Welt weiter geschwächt wird?
Doch solche Überlegungen sind dem deutschen Finanzminister und seinen Beratern fremd. Sie wollen auf keinen Fall gesamtwirtschaftlich denken und agieren, von globalen Überlegungen ganz zu schweigen.
Aber ich mache ja neue Schulden, um den Fonds anzustoßen, könnte Christian Lindner entgegnen. Das stimmt. Schulden zu machen, um zusätzlich zu sparen, ist aber leider gesamtwirtschaftlicher Unfug.
Selbst wenn der Finanzminister im nächsten Jahr zehn Milliarden Euro Schulden zusätzlich (im Vergleich zu was?) machen würde, liefe das nur darauf hinaus, dass er zehn Milliarden vom Kapitalmarkt nimmt und sie gleich dem Kapitalmarkt wieder zurückgibt. Was soll das? Zu glauben, dass man damit in dieser Welt eine nachhaltige Rendite via Aktien erzielen kann, ist absurd.
Warum diese Aktion von vorneherein kontraproduktiv ist
Der deutsche Finanzminister wird aber voraussichtlich keine zehn Milliarden Schulden zusätzlich machen. Er wird zwar die zehn Milliarden für den Aktienfonds am Kapitalmarkt aufnehmen, wird aber gleichzeitig, um die Schuldenbremse einzuhalten, an anderer Stelle die zehn Milliarden einsparen. Das ist dann besonders abwegig.
Es bedeutet nichts anderes, als dass er die Nachfrage nach Gütern und Diensten, die unmittelbar den Unternehmen zugutekommt, um zehn Milliarden kürzt in der Hoffnung, damit die Rendite der Unternehmen dieser Welt zu erhöhen.
Denn nur dadurch kann man – ohne Spekulation – am Aktienmarkt Geld verdienen. Nach Adam Riese aber vermindert man die Rendite der Unternehmen, wenn man ihre Nachfrage verringert, weswegen diese Aktion von vorneherein kontraproduktiv ist. Wenn die Bürger ebenfalls zum Sparen gezwungen werden, um in den Aktienfonds einzuzahlen, ist das Ergebnis genauso abwegig.