Zuckerbergs Faktencheck-Ende: Ein Pakt mit der Desinformation?

Philipp Fess
Marc Zuckerberg abgebildet auf einem Smartphone., dahinter der Schriftzig Meta

Bild: Algi Febri Sugita /shutterstock.com

Mark Zuckerberg ersetzt Faktenchecker durch Community Notes. Nun drohen Probleme mit dem Digital Services Act der EU und der Desinformation. Eine kritische Analyse.

Die Echokammer der deutschen Medienlandschaft ist wieder hermetisch versiegelt. Nach außen dringt nur die Botschaft, dass Mark Zuckerberg opportunistisch agiert. Mit seiner Aufkündigung der Zusammenarbeit mit Faktencheckern mache Meta-Chef Mark Zuckerberg den Kotau vor dem designierten Präsidenten Donald Trump, heißt es.

Zuckerberg spiele damit den kleinen Bruder des Multikonzernchefs Elon Musk, der in Trumps Regierung eine wichtige Stellung als Effizienzberater einnehmen wird.

Wie immer ist es nicht ganz so einfach.

Denn der Meta-Chef hatte, wie von Telepolis berichtet, bereits im August des vergangenen Jahres mit einem Zensur-Vorwurf gegen die Biden-Regierung größeres Aufsehen erregt.

Biden-Regierung: "Superharter Druck" auf Facebook während Corona

Genau diesen Vorwurf präzisierte und verschärfte Zuckerberg nun bei einem aktuellen Auftritt beim US-Podcaster Joe Rogan. Dort sprach er davon, dass Mitglieder der Biden-Regierung schreiend und drohend auf Facebook einzuwirken versucht haben, um Berichte über Nebenwirkungen der Corona-Impfung zu verhindern.

Man sei "superhart" bedrängt worden, so der Meta-Chef, sei dem Druck aber nicht gefolgt. Die Berichte Zuckerbergs über die Medienpolitik der Regierung Biden führen Tim Röhn von der Welt zur Aussage, dass sich die "nächste große Verschwörungstheorie als wahr entpuppen" und nun "goldene Zeiten für kritischen Journalismus" anbrechen würden.

Ähnliches hatten bereits die Twitter-Files – speziell in Bezug auf die merkwürdige Geschichte um den Hunter-Biden-Laptop – nahegelegt, an deren Analyse renommierte Journalisten wie der Rolling-Stone-Autor Matt Taibbi mitarbeiteten.

Das macht die eingangs erwähnte Kotau-These fragwürdig. Auch deshalb, weil Umfragen vor den ersten Aussagen Zuckerbergs zur Einflussnahme der US-Regierung auf Facebook der demokratischen Kandidatin Kamala Harris noch einen Vorsprung vor Trump attestierten.

Deutsche Leitmedien wie der Spiegel berichteten darüber scheinbar mit einer gewissen Genugtuung. So schmückte "Madam President" (immerhin aber mit Fragezeichen) im Juli das Cover des Magazins. Auch im Folgemonat blieb Harris' Vorsprung zumindest im Kosmos der deutschen Leitmedien, so auch bei der Zeit, erhalten.

Auf Zuckerbergs Ankündigung folgt Entrüstung

Ungleich der Zensur-Anschuldigung vom August (vgl. kein einziger Artikel dazu im Spiegel!) ist die neuerliche Ankündigung Zuckerbergs, die seit 2016 eingesetzten Faktenchecks fortan durch das System der "Community Notes" – wie sie auch auf X zum Einsatz kommen – zu ersetzen, auf hörbare Entrüstung gestoßen

Die deutschen Medien wussten diese Entrüstung wiederum öffentlichkeitswirksam zu begleiten. So etwa bei Markus Beckedahl, dem Gründer des Digital-Blogs netzpolitik.org. In einem Interview mit dem WDR nannte er das Faktencheck-freie X als abschreckendes Beispiel einer Plattform, die sich im Besitz eines "rechtsradikalen Verschwörungsideologen" befinde und auf der sich "Nazis" tummelten.

Die FAZ überschrieb ihren Artikel zum Thema sogar mit dem Vorwurf eines anonymen Meta-Mitarbeiters, der in Bezug auf die Diskriminierung der Rohingya, die Facebook im Faktencheck 2017 von Amnesty International vorgeworfen wurde, von einer "Einladung zum nächsten Völkermord" sprach.

Das scharfe Schwert des Digital Services Act (DSA)

Auch CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz wurde mit seiner Forderung erhört, die Europäische Union zur Regulierung des Meta-Konzerns zu mobilisieren, um – natürlich fielen diese Begriffe – "Desinformation", "Hass" und "Hetze" entgegenzuwirken.

Das scharfe Schwert, das der EU dafür zur Verfügung steht, ist bekanntlich der Digital Services Act (DSA), über dessen kontrovers diskutierte Befugnisse Telepolis mehrfach berichtete.

Die sogenannten Faktenchecker selbst – die in Deutschland durch die mit zahlreichen staatlichen Förderungen bedachte Deutsche Presse Agentur (dpa) und das seinerseits mit dem Vorwurf der Falschbehauptung konfrontierte Correctiv vertreten werden – zeigten sich in einer Befragung durch das Branchenmagazin Kress zwar allgemein beunruhigt durch den Schritt Zuckerbergs, nicht aber im konkreten Bezug auf "laufende Verträge", die im Falle von Correctiv bis mindestens Ende 2025 gelten sollen.

Angesichts dieser allgemeinen Verunsicherung und kund getanen Beunruhigung, dass Meta mit den "Community Notes" in die Fußstapfen von X tritt, stellt sich erneut die Frage, was jene schweren Geschütze der EU leisten können, die nicht nur Friedrich Merz aufzufahren gedenkt.

Anders gefragt: Sieht der DSA zumindest eine indirekte Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit sogenannten Faktencheckern vor?

Die Abgrenzung von Desinformation

Und noch eine weitere Frage stellt sich, die nach Meinung des Autors innerhalb unserer angeblich aufgeklärten, demokratischen Gesellschaft künftig immer häufiger stellen wird: Was ist überhaupt die gesetzliche Grundlage dafür, Desinformation in Abgrenzung von eindeutig definierten Straftaten juristisch zu sanktionieren, ohne das Recht auf Meinungsfreiheit zu verletzen?

Auf dem Verfassungsblog, einer auf konstitutionelle Rechtsfragen spezialisierten Website, deren Unterstützer sich zuweilen klar zu ihrer politischen Tendenz bekennen, hat sich Marc Bovermann vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht zum Thema geäußert, inwiefern Plattformen durch die Einführung von Community Notes Verpflichtungen nachkommen, wie sie im DSA vorgesehen sind.

Aber wie funktionieren diese Community Notes überhaupt?

Community Notes bei Meta: Wie Wikipedia, aber bedenklicher?

Community Notes sind eine Art dezentraler Faktencheck, bei denen Mitglieder einer Community selbst Inhalte überprüfen und kommentieren. In einem von der Hauptplattform abgekoppelten Bereich erstellen die Nutzer Anmerkungen zu Posts, die sie als falsch oder irreführend erachten. Diese Anmerkungen werden dann von anderen Nutzern bewertet. Allerdings nach einer besonderen Gewichtung, dem sogenannten "bridging based ranking system".

Im Unterschied zu einem "engagement based ranking system", welches nur die reine Interaktion unabhängig von ihrer (negativen) Qualität (bspw. Aufregung, Angst, Sorge) fördert, soll das "Anti-Spaltungs-System" Beiträge favorisieren, die eine Überbrückung ("bridging") diskursiver Gräben fördern und einen positiven Austausch auch zwischen konträr eingestellten Gruppen anregen.

Um einen Beitrag liefern zu können, muss ein Nutzer als vertrauenswürdig gelten und bestimmte Kriterien wie eine Mindestanzahl von Beiträgen erfüllen. Zur argumentativen Untermauerung der Beiträge müssen diesen zudem Quellen hinzugefügt werden. Sichtbar werden die Beiträge erst dann, wenn genügend Nutzer diese als hilfreich bewertet haben. Die vorläufigen Bewertungen können auch überstimmt werden.

Oder, wie es die deutsche Wikipedia festhält: Die Funktionsweise der Community Notes ähnelt der von Wikipedia. Was soll dann aber das Problem mit den Community Notes sein?

Probleme der Community Notes

Bovermann argumentiert, dass Community Notes nicht das "Allheilmittel" seien, als das Elon Musk sie preise. Das liegt für den Juristen daran, dass die Notes nicht geeignet seien, die Risikominderungspflicht gegenüber dem "Systemrisiko" der Desinformation aus Artikel 35 des DSA zu erfüllen sowie der mangelnden Eignung des Empfehlungssystems, dieses Risiko zu minimieren.

Bovermann argumentiert, die Notes seien im Unterschied zu ihrem Vorgängermodell nicht reaktionsstark genug. Beiträge würden von einer Vielzahl von Nutzern wahrgenommen, während nur interagierende Nutzer über nachträglich eingefügte Anmerkungen informiert würden.

Wie groß die Verschlechterung gegenüber dem Vorgänger-Modell sein soll, ist allerdings schwer herauszufinden, weil der teilweise algorithmenbasierte Umgang etwa von Facebook mit klassifizierter Desinformation nie transparent einsehbar war.

Weiterhin sieht Bovermann die Gefahr der Manipulation des Ranking-Systems durch eine "abgesprochene Koordinierung des Abstimmungsverhaltens" der Nutzer. Diese Gefahr sieht der Jurist speziell in Bezug auf die zumeist politischen Inhalte, die Gegenstand der Community Notes sind.

Eine Antwort auf die Frage, warum das Wikipedia-ähnliche System Desinformations-gefährdeter ist als die nicht im Licht der kritischen Öffentlichkeit stehende Wikipedia selbst, bleibt Bovermann allerdings schuldig.

Zumal der oftmals als absolutistischer Herrscher dargestellte Elon Musk selbst wiederholt durch die Community Notes korrigiert wurde, etwa zuletzt im Zusammenhang mit dem von ihm erneut thematisierten Skandal um die sogenannten "grooming gangs" im britischen Königreich.

Kommen wir aber auf die grundlegende Frage zurück: wie kann Desinformation grundsätzlich als Rechtsbruch eingestuft werden – zumal dann, wenn ihre Definition, wie von Telepolis mehrfach geschildert (etwa hier oder hier), nicht nur unscharf, sondern zugleich zweifellos politischen Interessen unterworfen ist?

Desinformation: Der unscharfe Begriff

Wie von Bovermann erwähnt, bezieht sich die Strafandrohung gegenüber "sehr großen Online-Plattformen" (very large online platforms, VLOP), welche sich laut DSA dadurch auszeichnen, monatlich mindestens 45 Millionen Nutzer in der EU zu haben, auf die Risikominderungspflicht. Konkret belangt werden können solche Plattformen laut Artikel 34 DSA für

1) die Verbreitung rechtswidriger Inhalte
2) Auswirkungen auf Grundrechte (z.B. Menschenwürde, Privatsphäre, Meinungsfreiheit [sic])
3) Einflüsse auf gesellschaftliche Debatte, Wahlprozesse und öffentliche Sicherheit (Art. 26)
4) Auswirkungen bezüglich geschlechtsspezifischer Gewalt, Gesundheitsschutz und Schutz von Minderjährigen

Im Falle der in Rede stehenden Desinformation ist interessant, dass in Bezug auf deren Rechtswidrigkeit keine verbindliche Definition existiert. Allenfalls mittelbar kann die Definition des 2020 verabschiedeten "Europäischen Aktionsplans für Demokratie" in Geltung gesetzt werden.

Demnach fallen unter den Begriff "falsche oder irreführende Inhalte, die der Öffentlichkeit schaden können (Absicht, andere zu täuschen oder aus der Täuschung wirtschaftlich/politisch Kapital zu schlagen)". Die Unschärfe des Begriffs und die wiederholt artikulierte Absicht zu dessen Verfolgung auch "unterhalb der Strafbarkeitsgrenze" hat Telepolis ebenfalls mehrfach diskutiert.

Was die Einflussnahme auf die gesellschaftliche Debatte und Wahlprozesse angeht, dürfte sich der DSA an dem zuletzt stattgefundenen (und wenig erhellenden) Zwiegespräch zwischen Musk und der Ko-Fraktionsvorsitzenden der AfD, Alice Weidel, zu bewähren haben. In diesem Gespräch betonte Musk vor einem Millionenpublikum mit Nachdruck seine klare Wahlempfehlung für die Rechtsnationalen.

Die in Art. 26 DSA benannten "nachteiligen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Debatte (und) Wahlprozesse" sind aber ebenso unscharf gefasst wie der Begriff der Desinformation. Ein Vergleich mit der sanktionierten Wettbewerbsverzerrung durch das Ausnutzen einer Monopolstellung wie bei Google 2021 dürfte hier nicht ohne weiteres angestellt werden.

Prekäre Gratwanderung

Die gesamte Debatte um eine moderierte Öffentlichkeit, die nicht wenige Kommentatoren mit einer Form der Zensur gleichsetzen, spielt sich in erster Linie aber vor dem Hintergrund ab, dass die Fähigkeit, sich im aufklärerischen Sinne seines eigenen Verstandes zu bedienen, unter Vorbehalt gestellt wird.

Der DSA geht mindestens zu einem gewissen Grad von der Unmündigkeit der Gesellschaftsmitglieder aus, über die er verfügt, und stellt damit auch das Recht auf die freie (und eben auch: falsche, irrsinnige) Meinungsäußerung selbst unter Vorbehalt. Versetzt man sich in die Prä-Internet-Ära zurück, mutet die Strafverfolgung etwa für das zumindest in Teilen vergleichbare Streuen von Gerüchten undenkbar an.

Ganz anders wiederum verhält es sich mit der bis vor einiger Zeit wohl einzigen Meinungsäußerung, die in Deutschland selbstverständlich den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt, ohne zwingend mit einer expliziten (wenngleich meist implizierten) Diskriminierung oder einem Aufruf zur Gewalt an einer Gruppe von Menschen verbunden zu sein: der Leugnung des Holocaust.

Vor einiger Zeit: denn im Oktober 2022 hat der Deutsche Bundestag bekanntlich den Beschluss gefasst, den Straftatbestand der Volksverhetzung auch auf das Leugnen und Verharmlosen von Kriegsverbrechen und Völkermorden allgemein auszuweiten.

Das vermeintlich entscheidende Kriterium für die Einleitung eines Strafverfahrens: Die "gröbliche" Verharmlosung muss geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören, zur Gewalt aufzurufen – oder zu Hass.

Die Strafverfolgung von als falsch bzw. gefährlich erachteten Meinungen bzw. Desinformationen, sofern ihnen nicht ohnehin eine politische Absicht nachgewiesen werden kann, wird sich in Deutschland in der ein oder anderen Form – vor allem aber in Bezug auf deren Tatschwere – wohl an dieser Gesetzeslage zu bemessen haben.