Zukunft des Kochens und Wohnens: Vom Kult des Privaten zum Aufbruch in kollektive Lebensformen
- Zukunft des Kochens und Wohnens: Vom Kult des Privaten zum Aufbruch in kollektive Lebensformen
- Der Kult des Kochens, Stress und Speisegaststätten
- Die Kleinfamilie überschreiten
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Private Isolation verringern – unnötigen Konsum und überflüssige Arbeit vermeiden. Damit schrumpft auch die Relevanz der Märkte. Essay.
In der modernen westlichen Gesellschaft gibt es bemerkenswerte Veränderungen des Konsums. Sie betreffen die Nachfrage, die Form des Konsums und das Angebot. In Großstädten sinkt die Attraktivität des individuellen Eigentums am Auto.
Vielen ist mittlerweile bewusst geworden: Mobilität geht auch mit einem guten öffentlichen Personen-Nahverkehr. Seine Nutzer sparen sich die lästige Suche nach Parkplätzen und nervenaufreibende Staus. Städte wie Kopenhagen oder Paris haben bereits Regelungen eingeführt, die den Gebrauch des privaten Pkws einschränken.
Hauptsache etwas Neues?
Manche kaufen Billigkleidungsstücke, die nach kurzer Zeit verschleißen, und orientieren sich an einem Novitätskult ("Hauptsache etwas Neues, Hauptsache Abwechslung"). Ein anderer Teil der Bevölkerung schätzt allerdings besser verarbeitete Kleidungsstücke und ist bereit (und genügend zahlungskräftig), für das einzelne Exemplar, das länger hält und ansehnlich bleibt, einen höheren Preis zu zahlen.
Trotz der verbreiteten kritischen Aufmerksamkeit für Praktiken des geplanten Verschleißes hat sich noch keine kampagnen- und interventionsfähige soziale Bewegung formiert. Am Ausmaß des Problems kann das nicht liegen:
"Müssten die Verbraucher nicht ständig neue Produkte kaufen, weil die alten zu früh kaputtgehen, blieben ihnen im Jahr 100 Milliarden Euro übrig" (SZ).
(Vgl. dazu die umfassende Studie von Kreiß 2014, siehe Literatur am Ende des Artikels).
Collaborative consumption
Das Internet erleichtert es, Kleidungsstücke weiterzugeben oder zu tauschen. Eine Studie im Auftrag des Privatunterkunftsvermittlers Airbnb hieß "Deutschland teilt". Ihr zufolge praktizierten vor zehn Jahren bereits 12 Prozent aller Deutschen
"geteilten Konsum im Sinne des gemeinsamen Organisierens und Konsumierens über das Internet. Bei den 14- bis 29-Jährigen seien es sogar 25 Prozent. 'Die jüngere Generation hat die Vorteile einer Ökonomie des Teilens wiederentdeckt und belebt sie dank Internettechnologie neu', sagt Prof. Harald Heinrichs von Leuphana-Universität Lüneburg, der an der Untersuchung mitgearbeitet hat" (Fiedler 2013).
Die Internet-Portale dürfen nicht umständlich sein. "Wenn ich z.B. beim Nachbarschaftsportal nebenan.de täglich einen Berg von Nachrichten bekomme und nur ein oder zwei konkrete Anfragen zum Teilen dabei sind, habe ich schnell keine Lust mehr", so der Konsumexperte Carl Tillessen (zit. n. Vangelista 2023).
Klare Regeln sind erforderlich, wer im Streitfall zuständig ist.
Die Deutschen nutzen die Angebote der Sharing Economy deutlich seltener, als es in manch anderen Ländern üblich ist. In den Niederlanden sind es etwa 16 Prozent der Menschen, in Großbritannien sogar 30 Prozent und in Australien 38 Prozent
Vangelista 2023
Die Sharing-Ökonomie hat auch ihre Schattenseiten. Bspw. können die Mitglieder einer Wohngemeinschaft ihre Kosten dadurch verringern, dass sie ein Zimmer nicht mehr an ihresgleichen vermieten, sondern zu höherem Preis an Touristen oder andere Kurzzeitgäste.
Das Angebot an Autos, die man unaufwändig ausleihen kann, erleichtert die Nutzung des Autos als Verkehrsmittel, erhöht dessen Gebrauch und verringert zugleich die Zahl der Fahrzeuge.
Gute Arbeit und Konsum: Die Kernspaltung
Es verändert sich etwas in der Gesellschaft, wenn Konsumenten sich klarmachen: Die Arbeit in Fabriken und Supermärkten zur Produktion und zum Verkauf von Konsumgütern ist gegenwärtig häufig für die Arbeitenden unattraktiv.
Wir klammern an dieser Stelle mögliche Umgestaltungen der Arbeit unter anderen gesellschaftlichen Verhältnissen aus, die die Qualität der Arbeitszeit als Lebenszeit erhöhen (Vgl. dazu Creydt 2021).
In einer anstrebenswerten Gesellschaft des guten Lebens würden Konsumenten nicht nur aus ökologischen Beweggründen, sondern auch aus dem Bewusstsein für die massiv negativen Folgen der unattraktiven Arbeit für die Arbeitenden weniger Produkte nachfragen.
Die Einstellung würde sich verändern. Meinen Genuss am Produkt setze ich dann ins Verhältnis zu dem, was ich anderen damit zumute. Damit würde eine in der bürgerlichen marktwirtschaftlichen Gesellschaft herrschende Kernspaltung sich gravierend verringern.
Die Gleichgültigkeit zwischen dem Individuum als Konsument und als Werktätiger stellt nicht nur ein Verhältnis zwischen verschiedenen Individuen dar. Es handelt sich wenigstens dann um ein Verhältnis innerhalb ein und desselben Individuums, wenn es sowohl in die Erwerbsarbeit eingespannt wird als auch als Konsument auftritt.
Einsichten zur Veränderung: Die "Kosten" unattraktiver Arbeit
Zur Veränderung des Verhältnisses zwischen Arbeit und Konsum trägt auch eine andere Entwicklung bei. Bei einem Teil der Zeitgenossen greift die Einsicht um sich, dass auch eine noch so schöne Freizeit weder die Entbehrungen und Frustrationen noch den Mangel an menschlicher Entwicklung innerhalb der Arbeitszeit zu kompensieren vermag.
Der soziale Bezug auf andere Menschen verändert sich auch durch geteilten Konsum. Wenn in einem Wohnblock die Nachbarn gemeinsam bestimmte Werkzeuge verwalten oder entsprechende Ausleihstationen frequentieren, sparen sie nicht nur Kosten, sondern kommen auch anders untereinander in Kontakt.
Und es verringert sich der Besitzindividualismus, mit dem jeder sich ein teures Kleinreich privaten Eigentums einrichtet und es eifersüchtig vor den Nachbarn hütet. Gewiss braucht es für die gemeinsame Verwaltung gemeinsamer Güter kollektive Regeln und Sanktionen bei Zuwiderhandlung.
Vor allem aber bedarf es eines Bewusstseinswandels. Die Vorteile privater Verfügbarkeit werden ins Verhältnis gesetzt zu den materiellen und immateriellen "Kosten" an unattraktiver Arbeit.
Der Geräte-Park der Nachbarn
Sie wird so lange in einem absurden Übermaß erforderlich, wie jeder Haushalt meint, sich privat Gerätschaften und Maschinen zulegen zu müssen, die in der Nachbarwohnung oder im Nachbarhaus ebenfalls in 95 Prozent der Zeit ungenutzt herumstehen. Die Bohrmaschine bringt es in US-amerikanischen Haushalten in ihrer "Lebenszeit" auf 14 Minuten Aktivität.
Die für die Arbeitenden unattraktive Arbeit sowie die Sozialverhältnisse von Konkurrenz, Neid, unten/oben-Statusvergleich und gegenseitiger Isolation sind belastend bzw. schädlich. Das Ansinnen, diese Misere individuell per überkompensatorischem Konsum und exquisiter Freizeitgestaltung vergessen zu wollen, gleicht der Münchhausiade, sich selbst am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.
In dem Maße, wie dies bewusst wird, wandelt sich auch das Bewusstsein für das, was im Leben wichtig ist. Der Drang verringert sich, immer wieder andere Novitäten wertzuschätzen, nach Events süchtig zu werden und immer stärkere Reize nachfragen zu müssen.
Welchen Stellenwert sollen Märkte haben?
Eine stark umstrittene Frage in der Diskussion um Alternativen zur modernen bürgerlichen Gesellschaft mit kapitalistischer Ökonomie lautet: Welchen Stellenwert sollen bzw. müssen Märkte in ihr haben?
Die einen sagen: Marktwirtschaft ist als Regulationsmechanismus unvermeidbar. Andere weisen auf das "Marktversagen" hin und auf die psychosoziale Bilanz von Märkten: Sie erziehen zu Konkurrenz, zur Gleichgültigkeit zwischen Konsumenten und Produzenten sowie zur Ausblendung desjenigen, was nicht bepreisbar ist.
Ohne diese Kontroverse hier direkt zu diskutieren, nähern wir uns ihr indirekt: Werden Güter gemeinsam genutzt, so verringert sich die Nachfrage nach ihnen und damit auch die Relevanz von Märkten. Über Gemeingüter wird gemeinsam oder öffentlich entschieden.
Das setzt eine Ökonomie voraus, in der die Arbeitsplätze davon abhängig sind, dass gesellschaftlich Sinnvolles geschaffen wird. In der kapitalistischen Wirtschaft lässt sich den produzierten Gebrauchswerten anmerken, dass sie immer mehr nur deshalb produziert werden, um das Kapital zu verwerten.
Dann kommen die Produzenten schon insofern in eine perverse Interessenidentität zum Kapital, als eine vernünftige Neustrukturierung des Konsumierens und des Arbeitens erst einmal viele der bestehenden Arbeitsplätze unnötig macht.
Nur unter der Herrschaft der kapitalistischen Kriterien des Reichtums entsteht damit Arbeitslosigkeit.