Zukunftstüchtig? Was wir bei Konflikten sehen müssen
Seite 2: "Es wird viel Konflikt genannt, weil man nicht genau weiß, was es ist"
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Dass die Konflikte auf uns aus der Zukunft zukommen und dass in vielen politischen Beschreibungen diese Konflikte aus der Vergangenheit erklärt werden, stellt doch sicher ein weiteres Problem dar?
Armen Avanessian: Es wird viel Konflikt genannt, weil man nicht genau weiß, was es ist. Der Ukraine-Konflikt, der Nahost-Konflikt. Kriege, bewaffnete Auseinandersetzungen, spezielle Operationen, Raufereien, Meinungsverschiedenheiten in der Familie, alles angeblich Konflikte.
Ich halte diese verschwommene Terminologie nicht für zielführend, sondern problematisch, ja sogar gefährlich. Ich schlage vor, den Begriff "Konflikt" enger zu fassen und produktiver. Es wäre wichtig, den eigentlichen Konflikt zwischen den jeweiligen Kontrahenten, und dass es meist mehr als zwei sind, zu benennen.
Den sich bekriegenden Parteien gelingt es aber nicht, sich die wechselseitige Verstricktheit in den Konflikt, und dass sie Teil davon sind, verständlich zu machen. Statt einer gemeinsamen Teilnahme in einem Konflikt gibt es jedoch in der Realität allzu oft eine kriegerische Eskalation des Einen gegen den Anderen, die vermeintlich nichts miteinander zu tun haben oder nichts miteinander zu tun haben wollen.
Eine gemeinsame Teilnahme an einem Konflikt wird damit gerade vermieden. So wird die Position des oder der anderen ausgelöscht, während man der Gegenseite vorhält, einen auslöschen zu wollen.
"Wir müssen vor der Zeit handeln"
Und was meinen sie mit der Zukunftsdimension von Konflikten oder dass uns die Probleme aus der Zukunft entgegenkommen?
Armen Avanessian: Wir haben ja inzwischen ein enormes Wissen von oder über die Zukunft. Dank diverser Technologien und Algorithmen, dank KI. Dieses Näherkommen aus der Zukunft ist sehr deutlich bei der Klimaveränderung. Wir wissen, dass sich Dinge verändern werden, und wenn wir nicht jetzt handeln, wenn sie sich verändert haben, dann ist es zu spät! Wir müssen vor der Zeit handeln.
Das ist eine neue Herausforderung für unsere Gattung, die sich schwer mit exponentiellen und nicht-chronologischen Zeitmodellen tut. Hinzu kommt, dass unser Wissen über die Zukunft sehr groß ist. Das motiviert auch etwas die Rede davon, dass die Zeit aus der Zukunft kommt, das ist nicht nur metaphorisch gemeint!
Computer und Algorithmen wissen sehr viel über uns, bevor wir es wissen. Sie haben auch ein großes Wissen über unser zukünftiges Verhalten, was wir von bloßem Mutmaßen und Spekulieren unterscheiden sollten.
Hyperantizipation: Was wir schon über die Zukunft wissen und was uns überfordert
Und was daran ist die planetarische Dimension dieses Zukunftswissens?
Armen Avanessian: Neben KI und anderen Computertechnologien sind es ja durchaus planetarische Wahrnehmungsorgane und Sensorien, die Milliarden von Informationen mikrosekündlich einfangen und verarbeiten, dank derer wir nicht nur wissen, wie das Wetter in zwei Tagen wird, sondern auch, wie sich das Klima insgesamt möglicherweise verändert in den nächsten Jahrzehnten, oder wie sich Pandemien ausbreiten in den nächsten Tagen und Wochen.
Diese Fülle an Wissen und Antizipationen haben wir in unserem Buch als "Hyperantizipation" beschrieben, mit der wir ständig bombardiert und wohl auch überfordert werden: 2030 wird dies und jenes geschehen sein, 2040 wird sich die Erde so und so viel erwärmen, 2070 sind die Meeresspiegel auf diesem und jenem Stand.
Ob die Prognosen jetzt im Detail haargenau stimmen oder nicht, ist noch einmal eine gesonderte Frage. Jedenfalls sind wir in einem historischen Moment, wo die Zukunft wissbar ist und auf die Gegenwart einwirkt und unser gegenwärtiges Handeln nicht nur beeinflusst, sondern mitunter sogar entscheidet.
In diesem Sinne ist die Zukunft schon Teil der Gegenwart. Oder wie William Gibson bekanntlich gesagt hat: Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleichmäßig verteilt.
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