Zurück in die Nahrungskette
Die EU-Kommission befasst sich mit einer Studie über illegale Tiermehlexporte
Die deutsche Fleischindustrie verfügt über eine nahezu optimale Verwertungs- und Wertschöpfungskette. Was in einheimischen Großschlachtereien an ungenießbaren Abfällen abfällt, wird vielerorts nicht etwas entsorgt, sondern zu Tiermehl verarbeitet und für gutes Geld exportiert. Die Branche boomt: Tiermehle sind preislich unschlagbar günstige Proteinlieferanten. Einer foodwatch-Studie zufolge wurde das Tiermehl im Ausland aber nicht nur zu Haus-, sondern auch zu Nutztierfutter verarbeitet und gelangte über Rinder, Hühner und Garnelen auch in menschliche Nahrung
Ihre Verwendung als Futtermittel für Lebensmittel liefernde Tiere wurde von der EU und in vielen anderen Staaten zu Beginn des Jahrtausends verboten, da ihre Verwendung als Futtermittel als wichtigster Übertragungsweg für die in abgewandelter Form auch auf den Menschen übertragbare Rinderseuche BSE erkannt wurde. Tiermehle der BSE-Risikokategorie 3 (Kat 3), zu der beispielsweise Knochen von Wiederkäuern gehören, dürfen seitdem laut EU-Verordnung ausschließlich als Düngemittel und für die Fütterung von nicht Lebensmittel liefernden Tieren eingesetzt werden, um das Einsickern potenziell gefährlicher Stoffe in die menschliche Nahrungskette zu verhindern. Exporte in Nicht-EU-Länder sind nur dann gestattet, wenn es bilaterale Abkommen mit den Empfängerstaaten gibt, in denen die bestimmungsgemäße Verwendung der Kat-3-Tiermehle garantiert wird.
Doch derlei Profit schmälernden Restriktionen wollten sich viele deutsche Fleischproduzenten einer Studie der Verbraucherorganisation foodwatch zufolge nicht beugen. Danach wurden allein aus Niedersachsen Jahr für Jahr zehntausende Tonnen Kat 3-Tiermehl illegal ausgeführt.
Zu den Beteiligten gehören der Foodwatch-Studie zufolge die ersten Adressen der deutschen und europäischen Lebensmittelindustrie wie z.B. die PHW-Gruppe (Wiesenhof) und der Großkonzern Vion (Südfleisch, Moksel u.a.). Der Verbraucherorganisation zufolge drückten die örtlichen Kontrollbehörden, in der Regel Kreisveterinärämter, nicht nur ein Auge zu, sondern unterstützten den rechtswidrigen Handel mit der Erteilung von Exportgenehmigungen. Selbst das Statistische Bundesamt erfasste der Studie zufolge illegale Tiermehlexporte in über 30 Länder, ohne dass bisher irgend jemand daran Anstoß nahm. Die Bundesregierung wäscht ihre Hände auf Nachfrage in Unschuld: Lebensmittellkontrolle sei ausschließlich Ländersache, heißt es gebetsmühlenartig aus dem zuständigen Ministerium .
Das stimmt allerdings nicht ganz, denn besagte EU-Verordnung verpflichtet die Mitgliedsstaaten, Kat-3-Materialen - egal ob Rohware oder Tiermehle – zu vergällen oder farblich zu kennzeichnen, um missbräuchliche Verwendung auszuschließen. Aber weder die grüne Verbraucherschutzministerin Renate Künast, noch ihr CSU-Nachfolger Horst Seehofer fühlten sich bemüßigt, diese Vorgabe umzusetzen, was nicht nur von Verbraucherschützern, sondern auch von der bayrischen Landesregierung im Jahr 2005 scharf kritisiert wurde.
Zu den Empfängerländern der Tiermehle gehörte in den vergangenen Jahren auch Vietnam. Mit diesem Staat existiert nicht nur kein entsprechendes bilaterales Abkommen; die Einfuhr von Tiermehlen ist in dem südostasiatischen Land sogar ausdrücklich verboten. Recherchen vor Ort führten foodwatch unter anderem zu der Firma Rural Technology Development Joint Stock Co (RTD), die den Ermittlungen der Verbraucherschutzorganisation zufolge von der im niedersächsischen Beckeln ansässigen Firma Beckmann im Jahr 2005 als Haustierfuttergrundstoff deklarierte Tiermehle erworben hatte. Das Geschäftsfeld von RTD ist den foodwatch-Recherchen zufolge aber nicht die Produktion von vietnamesischem Chappi oder Whiskas, sondern die Herstellung und der Vertrieb von Futtermitteln für Hühner-, Garnelen-, Fisch- und Rinderfarmen.
Laut foodwatch handelt es sich bei den ermittelten Tiermehlexporten aber nur um die Spitze eines Eisberges. So darf Kat-3-Rohware – anders als Tiermehle - ohne Beschränkungen exportiert werden, sofern sich die Abnehmer verpflichten, diese nicht zur Herstellung von Nutztierfutter zu verwenden oder gar für den menschlichen Verzehr bestimmten Nahrungsmitteln beizumengen. Zu kontrollieren ist das – auch wegen der Nichteinhaltung des Vergällungsgebots – kaum. Die Firma Josi Fleisch steht am 26. April im schwäbischen Biberach vor Gericht. Sie soll Kat-3-Rohware reimportiert und zu Hackfleisch verarbeitet haben.
Bei den betroffenen Behörden löste die foodwatch-Veröffentlichung zunächst die üblichen Reflexe aus. Von "aufbauschen" und "Übertreibungen" war die Rede. Doch weil die von der Verbraucherorganisation vorgelegten Dokumente mittlerweile durch Strafanzeigen gegen mehrere Betriebe und Kreisbehörden flankiert wurden, sind nicht mehr so einfach vom Esstisch zu wischen. Die niedersächsische Landesregierung hat mittlerweile die Reißleine gezogen, und alle Tiermehlexporte in Nicht-EU-Länder bis auf weiteres untersagt. Auch der zuständige Bundestagsauschuss will sich mit dem Thema beschäftigen. Selbst die EU-Kommission ist hellhörig geworden und hat für Dienstag den 20. März ein Treffen zum Thema Tiermehlexporte anberaumt.
Doch für foodwatch ist die Sache damit beileibe nicht erledigt. Die Organisation verlangt beim Umgang mit gefährlichen Nebenprodukten der Tierverwertung, neben Sofortmaßnahmen wie der ausnahmslosen Vergällung, einen grundlegenden Paradigmenwechsel. "Fleischabfälle sind Abfälle und müssen Abfälle bleiben", so der für foodwatch tätige Veterinär Matthias Wolfschmidt. Sie gehörten "dauerhaft und nachprüfbar entsorgt" und dürften auf keinen Fall zurück in die menschliche Nahrungskette gelangen