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Zwei Filme und zwei Zeitungen

Igor Dyatlov. Foto: Archiv Claus Jahnel

Ein paar Wochen zu spät, aber dafür mit neuen Einsichten: Hier der dritte Teil der Serie zum Dyatlov-Pass

Zu Teil 1: "Der höchste Schwierigkeitsgrad" [1]

Zu Teil 2: Außerirdische Yetis auf Fliegenpilz [2]

Zu Rakitins "Die Toten vom Dyatlov Pass" und der Quellenlage

Die mit großer Spannung erwartete deutsche Übersetzung des 2014 von einem russischen Journalisten unter dem Pseudonym "Aleksej Rakitin" veröffentlichten Buches "Die Toten vom Dyatlov-Pass" (Random House/btb) ist mittlerweile erschienen. Der Autor habe sich sechs Jahre lang eingehend mit der Materie beschäftigt, hieß es im Vorfeld, und dabei alle möglichen "Verbindungen" aktiviert, um an bisher ungesehene Akten zu kommen.

Bereits zu Beginn wird dem Leser bewusst, um welch gewaltige Rechercheleistung es sich hier handelt. Die Fülle der Details ist so überbordend, dass man jeden Moment damit rechnet, bald auch die Hutgrößen von Igor Dyatlov und seinen Freunden zu erfahren.

Einen klassischen Quellenapparat im akademischen Sinn weist aber auch Rakitin nicht auf. In dem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf die ein wirklich umfassendes Archiv von Fotos, Obduktionsberichten, Zeugenaussagen und ähnlichem mehr anbietende Seite www.dyatlovpass.com [3] hinweisen.

Diese großartige Website wird von der in Österreich ansässigen bulgarischen Webdesignerin Teodora Hadjiyska gestaltet, die eine interessante persönliche Motivation [4] für diese bewunderungswürdige Fleißarbeit beschreibt. Zumindest für jeden Interessierten, der nicht des Russischen mächtigen ist, handelt es sich um eine ultimative Ressource, nicht nur wegen der beinahe erschlagenden Fülle an Originaldokumenten, sondern vor allem, weil Hadijyska die meisten auch in englischer Übersetzung anbietet.

Zwei Trailer und ein Film - oder doch zwei?

Der aus Finnland stammende Regisseur Renny Harlin wurde zunächst durch Action- und Horrorfilme bekannt, die er zumeist mit einigem Radau, aber auch sehr gekonnt inszenierte. Zu seinen bekannten Werken zählen "A Nightmare on Elm Street 4", "Stirb Langsam 2", "Ford Fairlane" oder "Cliffhanger".

Im Jahr 2013 brachte er den Film "The Devil's Pass" (Originaltitel "The Dyatlov Pass Incident") heraus - ein mit eher geringem Budget ausgestatteter Film im Stil des Found Footage-Genres [5]. Wie der Titel nahelegt, befasst sich Harlin hier mit unserem Thema, allerdings auf indirekte Weise:

Es geht vordergründig nicht um die originale Skiwanderergruppe um Igor Dyatlov, sondern um eine Gruppe amerikanischer Filmstudenten, die beschließt, sich zwecks Erstellung einer Dokumentation auf die Spuren der Toten zu begeben und selbst die Reise zum Cholat Sjachl zu unternehmen.

Das Ganze gestaltet sich leidlich unterhaltsam, es fallen aber immer wieder Fehler in den Beschreibungen des ursprünglichen Geschehens auf; So wurden etwa die Fundorte der Leichen offensichtlich vertauscht. Trotzdem folgt der Film einem nicht uninteressanten Grundgedanken - die Skiwanderer von 1959 sind in eine Zeitabnormität geraten. Wie es sich in einem Horrorfilm gehört, passiert ihren amerikanischen Epigonen dasselbe Malheur. Im Zusammenhang damit und den notorischen orangen Sphären gelingt Harlin sogar ein wirklich schöner, für seine meist Action-lastige Filmsprache ungewöhnlich ruhiger Gänsehaut-Moment.

Im letzten Drittel wird dagegen eher die grobe Keule hervorgeholt, und der Film versteigt sich in ein überdrehtes Finale um unterirdische Labore voll zeit- und dimensionsreisender, kannibalischer Zombie-Übersoldaten. Langweilig wird es dabei sicherlich nicht. Die von Renny Harlin präsentierte Auflösung ist allerdings sogar für Dyatlov-Verhältnisse zu aberwitzig, um ernsthaft in Betracht gezogen zu werden. Hier finden Sie den Trailer des Films [6].

"The Devil's Pass" wurde im Jahr 2013 veröffentlicht, dasselbe gilt auch für den oben verlinkten Trailer. Da schien es erstaunlich, dass bei YouTube ein weiterer Trailer gesichtet wurde, der jedoch bereits zwei Jahre vorher, im Jahr 2011 angeboten wurde. Obwohl man auch hier eine Art Zombie-Soldat erblickt, weisen die präsentierten Szenen eine deutlich andere, recht bedrohliche Bildsprache auf [7].

Nun verbeitete sich folgende Geschichte: Renny Harlin hätte sich selbst intensiv mit dem authentischen Geschehen befasst und zur Recherche selbst einige Wochen im Uralgebirge verbracht, um später mit seinem Team zurückzukehren und den Film zu drehen. Im Jahr 2011 wohlgemerkt. Noch im August dieses Jahr wurde der Trailer veröffentlicht - der damit beworbene Film kam jedoch nie in die Kinos.

Was war geschehen? "Die Russen", so heißt es, hätten Harlin mit einer gewissen Deutlichkeit mitgeteilt, dass der Film in dieser Form nicht in die Kinos kommen kann, und ihm zugleich angeboten, auf Moskaus Kosten einen zweiten Film zu drehen, worauf sich der Finne eingelassen habe. Das ist natürlich eine tolle Geschichte. Stimmt sie aber auch?

Hier lohnt ein Blick auf den YouTube-Kanal [8] von "Tolling Bell Films", von dem der ominösen Trailer von 2011 veröffentlich worden war. Neben diesem findet sich hier nur noch ein Teaser für den Kurzfilm "Pluto - A Father's Tale" von 2008, sowie die fünfminütige Fingerübung "Dark Times".

Die gesamte Präsentation (mit 78 Abonennten) wirkt wie der Auftritt eines hoffnungsvollen Teams von jungen Independent-Filmern, aber nie und nimmer wie der einer Produktionsfirma, mit der ein ausgewiesener Hollywood-Routinier wie Harlin zusammenarbeiten würde.

Interessant in unserem Zusammenhang scheint auch, dass mit einer Ausnahme sämtliches Material auf dem Kanal im Jahr 2011 hochgeladen wurde. Die Ausnahme besteht aus dem Trailer für den 2008er Kurzfilm "Pluto - A Father's Tale".

Nüchtern betrachtet lässt sich also folgender Hergang mit denkbar hoher Wahrscheinlichkeit ableiten: "Tolling Bell" hatten zwischen 2008 und 2010 zwei Kurzfilme produziert, um anschließend einen ersten Langfilm zu projektieren: "The Dyatlov Pass".

Nun wurde den Trailer realisiert und veröffentlicht, um Investoren für das Projekt zu begeistern. Dies ist offensichtlich nicht gelungen, was angesichts der Qualität der filmischen Kostprobe ein wenig verwundert. Man muss sich nicht sehr weit aus dem Fenster lehnen, um zu bemerken, dass Hollywood-Produzenten schon des öfteren absolute Unsummen in weitaus dümmere Konzepte investiert haben.

Eventuell hatte sich in den entsprechenden Kreisen bereits herumgesprochen, dass auch Renny Harlin einen Film zu dem Thema plant. Auch eine "Inspiration" des Finnen durch den "Tolling Bell"-Trailer ist im Bereich des Möglichen.

Letzten Endes steht zu vermuten, dass die Jungfilmer aus Tallahassee bei der Produktion ihres tatsächlich sehr vielversprechend aussehenden "The Dyatlov Pass"-Teasers alles auf eine Karte gesetzt haben - und die Bank, wie so oft, gewonnen hat.

Die Geschichte von "Tolling Bell Films" endet hiermit offensichtlich. Neben dem YouTube-Kanal findet sich als weitere Spur der Firma noch eine Facebook-Präsenz aus dem Jahr 2006, die keine Beiträge aufweist und momentan lediglich 14 Abonnenten erreicht. Meine Anfrage zum aktuellen Status der Firma bleibt seit gut einem Monat unbeantwortet.

Renny Harlin wiederum war im Jahr 2011 damit beschäftigt, für die legendäre, von "Big Brother"-Produzent Jon de Mol gerade mit einem überraschendem Coup wiederbelebte Gruselfilmschmiede Hammer [9] den Streifen "The Resident" mit Christopher Lee und Hillary Swank zu produzieren.

Darüber hinaus führte er bei zwei Folgen der TV-Serie "Burn Notice" sowie bei dem Kriegsdrama "Five Days of War" Regie. Es ist also nicht sehr wahrscheinlich, dass er noch die Zeit gefunden hat, im selben Jahr wochenlang in Sibirien zu recherchieren, um anschließend dort einen Film zu drehen.

Die Dyatlov-Forschung sollte sich der Erkenntnis stellen, dass nie eine Verbindung zwischen "Tolling Bell" und Harlin existiert hat, und dass der Film "The Dyatlov Pass" bedauerlichweise nie gedreht wurde.

Und deshalb vom Bewegtbild zu einem älteren, aber nichtsdestotrotz interessantem Medium, der Zeitung.

Mysteriöse Erkenntnisse zu Zolotaryov

Die Komsomolskaya Pravda hat im April eine Exhumierung der Leiche von Semyon "Sasha" Zolotaryov angeregt, in deren Folge einige Aufregung und Verwirrung um den Ältesten der Dyatlov-Gruppe entstand, der nebenbei bermerkt auch der einzige Teilnehmer war, der nicht schon vor der Reise zu diesem studentischen Freundeskreises gehört hat. Folgt man der Darstellung [10] auf dyatlovpass.com, hat der 1921 geborene Zolotaryov den "großen vaterländischen Krieg" unversehrt überlebt.

Nach seiner Heimkehr trat Zolotaryov der kommunistischen Partei bei und versuchte sich an einer Militärkarriere, die aber aus nicht genau bekannten Gründen scheiterte. Dem Anschein nach wurde er zweimal Opfer einer Verkleinerung seines jeweiligen militärischen Ausbildungsinstituts, einmal in Moskau und einmal in Leningrad, und hat, entnervt von der Situation, seine beruflichen Pläne geändert.

Alternativ ist aber auch denkbar, dass eine von Nikolay Varsegov und Natalya Varsegova berichtete verwandtschaftliche Episode dazu führte, dass er bei der russischen Armee nichts werden konnte. Den beiden KP-Autoren soll ein amtlich beglaubigtes Dokument vorliegen, welches belegt, dass Zolotaryovs Zwillingsbruder während des Weltkriegs mit den Deutschen kollaboriert hat.

Semyon Zolotaryov. Foto: Archiv Claus Jahnel

Semyon Zolotaryov wurde ihrem Bericht nach während einer Parteisitzung mit der Frage konfrontiert, warum er diesen Fakt verschwiegen hätte. Über seine Reaktion ist nichts bekannt, aber er wurde nicht aus der Partei ausgeschlossen. Man kann also mit Fug und Recht davon ausgehen, dass er die kommunistischen Funktionäre davon überzeugen konnte, weder selbst mit den Nazis kollaboriert noch von der verräterischen Tätigkeit seines Bruders gewusst zu haben.

Dessen ungeachtet ist jedoch absolut vorstellbar, dass ein naher Verwandter mit hochverräterischen Kontakten zu den Invasoren ein unbedingter Ausschlussgrund für eine Offizierskarriere in der Roten Armee gewesen sein könnte.

So schrieb sich Kolotaryev letzten Endes als Student der Sporthochschule von Minsk ein, an der er 1951 erfolgreich graduierte. Anschließend wurde er zunächst Sportlehrer in Lemontov, laut KP damals eine "geschlossene Stadt", in deren Umgebung Uran abgebaut wurde, und die deswegen nicht namentlich erwähnt werden durfte - nicht einmal in Briefen der Bewohner nach außerhalb.

Mitte der 1950er fand er sich in der Region Sverdlovsk wieder, als er eine Stelle in der sportlichen Abteilung des Campingplatzes von Kourovka antrat, die Teodora Hadjiyska als "Senior Tourism Instructor" beschreibt.

Dieses Berufsbild umfasst nicht nur die Organisation und Leitung von sportlichen Exkursionen (in unserem Fall sicherlich Ski- und Wandertouren), sondern auch die körperliche Vorbereitung der zur Teilnahme angemeldeten Touristen und die Überprüfung und Wartung der notwendigen technischen Ausrüstung.

Aus dieser Tätigkeit Zolotaryovs ergibt sich die nicht uninteressante Tatsache, dass er mehrere Jahre in der Gegend um Sverdlovsk verbracht hat, bevor er sich der Gemeinschaft um Igor Dyatlov angeschlossen hat. Seine Tätigkeit als Tourenleiter lässt mit einer gewissen Wahrscheinlich darauf schließen, dass ihm die von Wanderern und Wintersportlern intensiv genutzte Gegend um Vishay wohlbekannt gewesen sein dürfte. Vermutlich lag in Zolotaryovs beruflicher Qualifikation und seiner Kenntnis der örtlichen Verhältnisse eine nachvollziehbare Motivation für die Dyatlov-Gruppe, ihn aufzunehmen und einzubinden.

Soviel zu Semyon Zolotaryovs Werdegang vor dem Massaker am Cholat Sjachl. Wie wir bereits wissen, starb er mit den acht Freunden in der Nacht auf den 2. Februar 1959, seinem 38. Geburtstag.

Er gehörte zu den vier Opfern, die erst im Mai gefunden wurden, etwa zweieinhalb Monate nach den beiden Toten am "Lagerfeuer" und den dreien zwischen Zelt und Feuer.

Zolotaryovs Leiche war in einer grausigen Verfassung: Beide Augäpfel fehlten, eine 7 mal 6 cm große Wunde um die linke Augenbraue hatte den Schädelknochen freigelegt, ebenso wie eine weitere Wunde etwa derselben Größe an der rechten Kopfseite. Sein Brustkorb wirkte wie eingetreten. Auf der rechten Seite sind die oberen fünf Rippen gebrochen, und zwar an jeweils zwei Stellen. Eine Bruchlinie läuft parallel zum Brustbein, die andere beginnt unter dem hinteren Bereich der Achsel.

Vollständig bekleidet und mit Fotoapparat und Zeitung

Auffällig ist, dass Zolotaryov im Vergleich zu seinen teilweise halbnackt aufgefundenen Kameraden verblüffend vollständig gekleidet war. Er trug Unterhemd, Pullover, Mantel (die beiden oberen Knöpfe geöffnet), Schal, Unterhose, zwei Paar Hosen und darüber noch eine Skihose sowie Socken und ein Paar Lederschuhe.

Noch seltsamer wirkt das Sammelsurium von Gegenständen, die er in seinen letzten Momenten bei sich führte. Die Ausgabe einer Tageszeitung. Einige Münzen. Ein Kompass. Eine Kamera, deren Aufnahmen durch die Einwirkung von Wasser zerstört wurde. Teodora Hadjiyska stellt die nachvollziehbare Frage, wieso diese Kamera bzw. die Aufnahmen auf dem Film für Zolotaryov so wichtig waren, dass er das Gerät bei der Flucht aus dem Zelt mitgenommen hat.

Man könnte aber auch den Schluss ziehen, dass er sich in dem Moment, in dem die Tragödie begann, ihren Lauf zu nehmen, gar nicht mit den Kameraden im Zelt befand. Die Münzen und der Kompass sind leicht zu erklären. Kleingeld sich in vielen Hosen- oder Manteltaschen. Den Kompass hingegen, ein essentielles Ausrüstungsstück für Ski-Wanderer der Epoche vor Erfindung des GPS, lässt man auf einer Tour sinnvollerweise stets in der Tasche eines Kleidungsstückes, das man immer trägt und das jederzeit zugänglich ist, idealerweise also in der eines Mantels.

Was aber hat es mit der von Zolotaryov mitgeführten Tageszeitung auf sich?

Die Lösung könnte eine denkbar einfache sein. Hatte Zolotaryov das Zelt verlassen, um sich einer körperlichen Notwendigkeit zu widmen? Mir ist nicht viel über die Versorgung der Sowjetbürger der ausgehenden 1950er mit Klopapier bekannt, aber es scheint mir unwahrscheinlich, dass die Dyatlov-Gruppe eines der heute üblichen 10er Packs in ihrem Gepäck mit sich führte. Selbst wenn derartiges bereits erhältlich gewesen sein sollte, wäre ein Vorrat von alten Zeitungen aufgrund ihres Formats um ein wesentliches platzsparender in den Rucksäcken unterbringen.

Das würde selbstverständlich nicht die ebenfalls mitgeführte Kamera erklären, es wäre aber denkbar, dass Zolotaryov beschlossen hat, bei der Gelegenheit einige Bilder von der Zelt-Behausung zu machen. Hiergegen spräche wiederum die Wetterlage mit heftigem Schneesturm und großer Kälte.

Eventuell hat Zolotaryov (oder die ganze Gruppe?) aber auch akustische oder optische "Vorboten" der nahenden Bedrohung wahrgenommen und sich angezogen, um das Zelt mit der Absicht zu verlassen, das wahrscheinlich unbekannte Phänomen zu erkunden und per Fotoapparat zu dokumentieren.

Beide Varianten wirken letztendlich wahrscheinlicher als ein Szenario, in dessen Verlauf er sich seelenruhig drei paar Hosen anzieht und sich einen Schal um den Hals wickelt, während sich die anderen panisch durch die Zeltwand schneiden, um barfuß und nicht angemessen bekleidet in die sibirische Nacht zu flüchten.

Semyon Zolotaryovs Grab

Sieben der Neun wurden auf dem Mikhailovskoye-Friedhof in Sverdlovsk beerdigt, nur Semyon Zolotaryov und Yuri Krivonishchenko wurden, angeblich auf Wunsch der Eltern, auf dem ebenfalls in Sverdlovsk gelegenen Ivanovskoe-Friedhof beigesetzt. Beider Gräber liegen nebeneinander, das von Zolotaryov wird nicht von einem gewöhnlichen Grabstein geschmückt, sondern von einem seltsamen, knapp mannshohen und blau lackiertem Stahlobelisken, der von einem roten Stern geschmückt wird.

Zolotaryovs Nachkommen ist der Obelisk ein Dorn im Auge, weswegen sie beschlossen haben, das Grab des Toten mit einem neuen Stein zu schmücken. Bei den Vorbereitungen zu diesem Unterfangen mussten sie jedoch feststellen, dass Semyon Zolotaryovs Grab in den Dokumenten des Mikhailovskoye-Friedhofs nicht erscheint. War dort wirklich jemand begraben?

Die Hinterbliebenen setzten sich also mit der Komsomolskaya Pravda in Verbindung und baten um Hilfe bei der Aufklärung dieses neuerlichen Rätsels. Die Journalisten überprüften zunächst die Unterlagen aller Friedhöfe in Sverdlovsk, dem heutigen Yekaterinburg, und kamen zu dem Ergebnis, dass Zolotaryov nie in dieser Stadt begraben wurde. Zumindest nicht offiziell.

Nach einjährigem Hin- und Her - es ist wohl gar nicht so leicht, die Genehmigung zur Exhumierung eines in den Akten gar nicht existenten Grabes zu erhalten - konnte die Mannschaft der KP anrücken, um das Grab zu öffnen. Dabei stießen sie auf die Knochen eines Mannes, der einer ersten Begutachtung durch den anwesenden Gerichtsmediziner Sergei Nikitin zufolge im Alter von 30 bis 40 Jahren verstorben sei. Wie bereits erwähnt war Zolotaryov exakt 38 Jahre, als er starb.

Ein Gentest und ein Zwillingsbruder

Die DNA der gefundenen Überreste wurde nun vom Genetiker Alexei Garkovenko mit der von Zolotaryovs Neffe Pavel Leshchenko und der seiner Nichte Tatyana Skulbeda verglichen. Die Möglichkeit einer Verwandtschaft wurde im darauf basierenden Gutachten [11] ausgeschlossen.

Wer war also der Mann in dem Grab? Und wo in aller Welt war "der echte" Semyon Zolotaryov? Bald hieß es, aus Israel wäre die Meldung eingegangen, ein Mann gleichen Namens mit demselben Geburtsdatum wäre 1959 dort eingewandert. Die Sensation schien perfekt. Hatte Zolotaryov den Vorfall am Cholat Sjachl überlebt? War er einer der Schuldigen der Tragödie, von einem Geheimdienst entsandt, um die Gruppe zu infiltrieren? Wenn ja, was war der Hintergrund?

Zumindest die Frage nach Zolotaryovs Überleben lässt sich jedoch mittlerweile klar beantworten.

Nach den spektakulären Ergebnissen der ersten Untersuchung meldete sich nämlich der erfahrene Forensiker Eduard Tumanov zu Wort und stellte klar, dass die zur Bestimmung verwendete Untersuchungsmethode technisch betrachtet den absoluten Ausschluss einer Verwandtschaft prinzipiell nicht ergeben könnte, und verwies die Autoren der KP an das Institut für forensische Expertise [12] im russischen Gesundheitsministerium, wo nur wenig später, im Juli diesen Jahres, Professor Pavel Leonidovich Ivanov, eine absolute Koryphäe auf diesem Gebiet, eine vollständige Untersuchung der Proben durchführte (ein ausführliches Interview hierzu mit Pavel Ivanov findet sich hier [13]).

Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass es sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 99.66 bis 99.84 Prozent um Semyon Zolotaryov handelt - oder aber um dessen Zwillingsbruder, den Nazi-Kollaborateur, der im 2. Weltkrieg spurlos verschwunden war.

Die letztgenannte Anmerkung des Experten ist auf der wissenschaftlichen Ebene zweifelsohne richtig, die Wahrscheinlichkeit eines reellen Zusammenhangs scheint aber sehr gering. Trotzdem kursierten bald die abenteuerlichsten Vermutungen dazu im Netz. Auf den ersten Blick handelt es sich hier wohl nur um die nächste "Zwei Filme"- oder "Israel"-Theorie. Der eine äußert eine Vermutung in einem Forum oder macht einen Witz, der nächste gibt das Ganze dann als authentische "Insider-Information" weiter. Man kennt das Prinzip.

Andererseits wurden alle nahe- sowie auch viele etwas ferner liegenden Szenarien bereits ungezählte Male und unter allen denkbaren Aspekten durchgespielt, woraus sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schließen lässt, dass die Auflösung des Falles, falls es je zu einer solchen kommt, eine erstaunliche sein wird. Auch deswegen gilt es, alle gesicherten Fakten und denkbaren Möglichkeiten im Auge zu behalten.

Mehr dazu bald an dieser Stelle.


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[3] https://dyatlovpass.com/
[4] https://dyatlovpass.com/about?lid=1
[5] http://found-footage.de/found-footage-filme/
[6] https://www.youtube.com/watch?v=Mbq3dR-SEr4
[7] https://www.youtube.com/watch?v=hgcnj_jYrOY
[8] https://www.youtube.com/channel/UCgwKf5ICdiQiX_OmNEUi7nw
[9] http://www.hammerfilms.com/
[10] https://dyatlovpass.com/semyon-zolotaryov
[11] https://dyatlovpass.com/zolotaryov-dna
[12] http://rc-sme.ru/English/Departments/
[13] http://forum.dyatlovpass.com/index.php?topic=230.0