Zwei Tipps, wie wir die rechtsextreme AfD weiter stärken können

Warum wird in westlichen Demokratien immer stärker rechtsextrem gewählt?

Die Partei mit Neofaschisten in ihrer Mitte ist seit Wochen im Höhenflug. Zahlreiche Erklärungen werden dafür geliefert. Doch was den Erfolg wirklich antreibt, wird meist verschwiegen. (Teil 1)

Die AfD ist weiter in Hochstimmung. Im ARD-Deutschlandtrend am Wochenende erlangte sie 19 Prozent und verdrängte die SPD mit 17 Prozent auf Platz drei. Die CDU schaffte es auf 29 Prozent. Die Grünen kommen auf nur 15 Prozent.

Seit einem Jahr befindet sich die rechtsextreme Partei damit im Aufwind. Bei der Sonntagsumfrage von Infratest Dimap lag sie im Juni 2022 noch bei elf Prozent. Seitdem ging es stetig bergauf.

Jetzt wird von allen Seiten nach den Gründen für die Zugewinne gefragt. Viele der Antworten treffen sicherlich einen Punkt. Die AfD ist von seiner Anlage her als Protest- und populistische Fundamentaloppositionspartei mit Lust an Provokation natürlich ein Krisengewinnler. Sie zieht ihre Hauptkraft aus Unsicherheit und der Schwäche der Anderen.

Die fossile Energiekrise im Zuge des Ukraine-Kriegs und die galoppierende Inflation sind Wasser auf die Mühlen derjenigen, die den politischen Frust zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben. Dass die AfD davon profitieren würde, ist nicht sehr überraschend, wenn auch das Ausmaß manchen erstaunen mag.

Dazu kommt die sich selbst blockierende Politik der Ampel-Regierung. Vor allem die FDP scheint darauf bedacht zu sein, durch infantile Störmanöver noch mehr Wut aufs Establishment und "Die in Berlin" heraufbeschwören zu wollen, mit tatkräftiger Unterstützung von auflagenstarken Medien, die mit Kampagnen wie "Heizungshammer", "Heizverbot" oder "Klimaverzichtpolitik" die Stimmung schüren und die Wogen aufschaukeln, auf denen die Rechtsextremen dann surfen dürfen.

Schlagzeilen der Bildzeitung zur Wärmewende.

Dabei ist die liberale Blockadepolitik ein Märtyrerakt einer Partei auf politischem Selbstzerstörungskurs, wie man an den Umfragewerten seit der Bundestagswahl im September 2021 ablesen kann.

Hinter den derzeitigen Quellen für den Aufstieg der AfD sollten aber die tiefer liegenden Treiber, die schon länger wirken, nicht aus den Augen verloren werden. Denn seit Ende 2015 hat sich die Alternative für Deutschland mit konstant über zehn Prozent bei Umfragen und auch Wahlen festgesetzt – ungeachtet der jeweiligen Regierungskonstellationen sowie dem Wechsel von Krisen und ruhigeren politischen Phasen –, begleitet von signifikanten Ausschlägen nach oben.

Zwei dieser Treiber sollten besonders beachtet werden:

1.

Einer der Hauptfaktoren, warum nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen Industriestaaten bzw. westlichen Demokratien rechte Bewegungen und Parteien seit einigen Jahren zugelegt haben, sind die Folgen der neoliberalen Politik.

2003 verschärfte die rot-grüne Regierung die "soziale Entsicherungspolitik", wie sie schon zuvor unter Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und dann unter seinem Nachfolger Helmut Kohl (CDU) eingeleitet worden war. Sie firmierte unter dem Titel Agenda 2010 und schloss die sogenannten Hartz-Reformen ein.

Man propagierte: "Fördern und Fordern". Gefordert wurden aber nur die Arbeitnehmer:innen, während man die Kapitaleigner:innen, Unternehmer:innen und Reichen pamperte.

Die Rente wurde teilprivatisiert, die Banken faktisch zu Casinos umgebaut, der Sozialstaat ausgehöhlt, und den "notleidenden" Konzernen und dem Kapital nahm man die Steuerlast von den Schultern, so dass immer mehr Reichtum von unten nach oben transferiert werden konnte.

Ähnliches ist in anderen Industriestaaten, mit zum Teil noch schärferen antisozialen Maßnahmen, zu beobachten gewesen. All das spielte sich ab vor dem Hintergrund eines zunehmenden Niedergangs der Demokratie, der nicht nur in den USA, sondern auch in Europa zu beobachten ist.

So wurden wichtige Entscheidungen an die Bürokratie in Brüssel delegiert, die wiederum zu großen Teilen die Finanzindustrie repräsentiert. Zugleich übernahm das Kanzleramt in Berlin im Zusammenspiel mit deutschen Zentralbankern und Finanzinstituten die faktische Kontrolle über den Euro. Insbesondere die Griechen bekamen das in Form von Spardiktaten im Zuge der Eurokrise 2014/2015 zu spüren.

Währenddessen verloren Gewerkschaften und die Sozialdemokratie an Mitgliedern sowie an Organisations- und Bindekraft, wie Marco Bülow, langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter, eindringlich zu schildern weiß. Damit einher ging ein Verlust an politischer Heimat für die Arbeiter:innen, aber auch an rationalem Austausch über und Partizipation an Politik.

"Bild und Glotze" (wie Kanzler Schröder ihre Macht einmal auf den Punkt brachte) erledigten den Rest. Sie lenkten ab, simplifizierten, hetzten auf und machten ihr Publikum zu passiven Objekten einer "Beschallung von oben".

Die entsicherte Gesellschaft, ihre Opfer und Profiteure

So fühlen sich überall in der EU und auch in Deutschland die Menschen von ihrer Politik und den Medien allein gelassen. Sie wenden sich ab von zentralen Institutionen der Demokratie wie dem Parlament.

Das Misstrauen ist nicht unbegründet. Studien in den USA und auch in Deutschland zeigen, dass die Meinung großer Teile der Bevölkerung praktisch keinen Einfluss auf die politischen Entscheidungen ihrer Regierung hat, wobei die Wünsche der obersten Einkommens- und Vermögensschicht den Kurs festlegen.

Während immer mehr Reichtum von unten nach oben abgesaugt wird, werden die Bürger auf die Zuschauertribüne verbannt. Sie dürfen Banken und Konzerne retten und dafür zahlen, aber nicht einmal über ihre Abgeordneten Kontrolle über die Hunderte Milliarden Euro ausüben.

Ihre Sorgen und Nöte werden gleichzeitig in der Realpolitik zum "Gedöns" degradiert, für das lediglich symbolische Heftpflaster verabreicht werden.

Steigende Mieten und Wohnungslosigkeit; kaputte Schulen und Bahnchaos; wachsende Armut und gedemütigte Hartz-VI-Aufstocker; überforderte Alleinerziehende, gestresste Studierende und bürokratisierte Abgehängte; versteckte und offene Armut im Alter; Pflege- und Gesundheitskrise; blockierte Energiewende, steigende Treibhausgase und bedrohlicher Klimawandel; Bauernhofsterben auf dem Land; deindustrialisierte Zonen ohne Perspektiven in Ost und West; steigende Konzernmacht: Die Liste der Missstände ließe sich lange weiterführen.

Keiner dieser Missstände wird bis heute ernsthaft von den politisch Verantwortlichen adressiert, viele von ihnen werden sogar weiter verschärft. Die Bürger haben allen Grund, frustriert zu sein, Angst zu haben und für die Zukunft schwarzzusehen.

Sie wissen zudem, dass die schlechte Realität nicht vom Himmel gefallen ist, sondern aus politischen Entscheidungen resultiert, die von Journalisten (um es freundlich auszudrücken) intellektuell lediglich eskortiert worden sind. Das gilt unter anderem für die neoliberalen Angriffe auf den Wohlfahrtsstaat und die militärische Interventionspolitik.

Seit über zwei Jahrzehnten hören die Bürger in Endlosschleife, dass "harte Entscheidungen" getroffen werden müssen, damit am Ende alles für alle wieder gut oder doch besser wird. Während Kommunen jedoch weiter zum Sparen gezwungen werden, viele Menschen ihre Lebenshaltungskosten vor allem in den Städten nicht mehr tragen können und Armut sich ausweitet, erhält das deutsche Militär parallel immer mehr Geld, zuletzt 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr.

Rechtsextreme Parteien wie die AfD, aber auch die Rassemblement National (bis 2018 Front National) in Frankreich, die Orban-Anhänger in Ungarn, die rechten Parteien in Skandinavien oder die MAGA-Republikaner ("Make America Great Again") um Donald Trump in den USA bieten für diese Probleme zwar keine Lösungen an. Sie sind aber sehr geschickt darin, den Frust weiter anzufachen, kulturkämpferisch zu wenden und für sich nutzbar zu machen – in Wähler:innenstimmen.

Sie richten ihre Kommunikation dabei auf die fundamentale Unzufriedenheit immer größerer Schichten der Gesellschaft aus. Mit Slogans wie "Unser Land zuerst!" (AfD) forcieren sie rhetorisch die Ausrichtung auf enge nationale Interessen. Dazu kommen reaktionäre Ansichten hinsichtlich der Energie-, Familien- sowie Flucht- und Migrationspolitik. Auch das resoniert in entsicherten Gesellschaften, in denen die Menschen verzweifelt nach Stabilität und Orientierung suchen.

Parteien wie die AfD werden aber nicht nur von jenen gewählt, die von der Politik an den Rand geschoben wurden und prekär leben müssen. Ein entscheidender Teil der Wähler:innen gehört eher den Mittelschichten an oder zählt zur Gruppe von Kleinunternehmer:innen.

Denn auch diese Schichten sind mehr und mehr betroffen von der neoliberalen Entsicherung der Gesellschaft und fühlen sich abgekoppelt, nicht selten geplagt von Abstiegs-, Verdrängungs- und Machtverlustängsten, während sie zum Teil getrieben sind von politischen Geltungsbedürfnissen, die von den etablierten Organisationen nicht (mehr) aufgefangen werden.

Wenn die neoliberale Politik und ihre Konsequenzen nicht angegangen und die Attacken gegen den Wohlfahrtsstaat zurückgenommen werden, wird es kaum möglich sein, das Krebsgeschwür rechtsradikaler Instrumentalisierungen in den Griff zu bekommen. Es braucht daher nichts weniger als eine sozialpolitische und ökonomische Kehrtwende.

Aber es gibt noch einen zweiten entscheidenden Treiber, der der AfD durchgängig Wind unter die Flügel bläst. Dazu mehr im zweiten Teil, der morgen erscheint.