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Zweifel an Franz Hörmanns "Informationsgeld"

Grafik: TP

Seit Jahren haben Ideen zur Geldreform wieder Konjunktur, so auch das "Informationsgeld" des österreichischen Ökonomen Franz Hörmann - die Kurzkritik zu einem Großprojekt

Systematische Alternativen zu Zinssystem, Giralgeld und Zentralbanken wurden in der Folgezeit der Marxschen Theorie des Kapitals mehrfach durchdacht. In Deutschland war es zuletzt wohl die AG Geldordnung und Finanzpolitik [1] der Piratenpartei, in der die meisten Teilnehmer zum fundierteren Nachdenken über Geld ermuntert wurden. Hinzu kommen vielerlei Websites und Internet-Videos, in denen sich das Konkurrenzangebot zu den durch Finanzkrisen in Misskredit geratenen universitären Wirtschaftslehren entfaltet.

Zu den bekannteren Experten, die auf diesen neuen Bühnen auftreten, gehört Franz Hörmann, Professor an der Universität Wien. Neuerdings firmiert er als finanzpolitischer Sprecher der jungen Partei "Deutsche Mitte" (DM), die der ehemalige ARD-Journalist und Politikberater Christoph Hörstel ins Leben rief. Hier steht Hörmanns Lehre im Kontext einer vehementen politischen Gegnerschaft zum globalen "Finanzkartell".

Das perfektionierte Plussummenspiel

Wesentliche Probleme des laufenden Geldsystems beschreibt Hörmann korrekt (Geldschöpfung, Zinseszins, Schuldenspirale, Blasenbildung). Auch seine eher philosophische Bestimmung, die besagt, dass Geld ein symbolisches Medium für Tauschvorgänge ist, das selbst nicht werthaltig ist und vom Vertrauen seiner Benutzer abhängt, gehört zu abstrakten Einsichten, die in neuzeitlicher klassischer Ökonomie, in Marxismus, Semiotik und Systemtheorie Aufnahme entwickelt wurden.

Hörmanns Alternative: ein anderes Buchungssystem. Für eine politische Arbeit gilt: Im Nukleus des Wirtschaftens müsste man es doch erst einmal verstehen und für funktionstüchtig halten können. Gerade diesen Nukleus betreffend bleibt Hörmann jedoch recht unpräzise.

In Hörmanns Erklärvideo Informationsgeld [3] kommt Folgendes zum Ausdruck: Wird ein Gut benötigt, so wird zu dessen Erwerb ein Buchungsvorgang durchgeführt. Er besteht nicht in einem Vertrag von Individuen untereinander, sondern des Käufers mit der "demokratischen Zentralbank" (dZB). Diese genehmigt quasi den Kauf. Nach Lieferung und Zahlung dafür werde jedoch der gezahlte Betrag annulliert.

Die Erklärung im Video:

Informationsgeld entsteht durch den Buchungssatz "Kassa an Eigenkapital (an der dZB)" sofort im ausschließlichen Zugriff der ausführenden Menschen ... und bei Bezahlung wird es durch den Buchungssatz "Aufwand an Kassa" wieder vernichtet. Tarife und Preise werden demokratisch geregelt.

So, wie gerade wiedergegeben, ist es hier tatsächlich gemeint - an anderer Stelle des Videos: Informationsgeld …

verschwindet beim "Bezahlen" wieder von den Konten […].

In Hörmanns Buch Das Ende des Geldes [4] (Co-Autor: Otmar Pregetter) heißt es:

Wenn alle Menschen ihre ehrlichen Bedürfnisse in ein globales Informationsnetz einspeisen, die Menschheit offen und ehrlich global kooperiert und jeder Mensch seine besten Fähigkeiten selbst wieder der gesamten Gemeinschaft zur Verfügung stellt… dann wäre irgendwann tatsächlich auch auf diesem Planeten eine Zivilisation vorstellbar, in der Tauschgeschäfte auf der Grundlage von Leistung und vergleichbarer Gegenleistung gar nicht mehr notwendig wären. […]

Der Leistende erhält bereits bei Rechnungserstellung sofort den Rechnungsbetrag gutgeschrieben - als Belohnung durch die gesamte Gemeinschaft. Der Konsument erhält den gleichen Betrag hingegen von seinem Konto abgezogen. Er ist dazu angehalten in Zukunft durch Leistungen, die er selbst später an seine Kunden erbringen wird, sein Konto wieder auszugleichen. Dafür hat er aber beliebig lange Zeit.

Er muss für sein negatives Konto auch keine Zinsen bezahlen - schließlich handelt es sich nur um Information, da in diesem System tote Dinge keine Werte mehr repräsentieren, sondern wahre Werte nur aus menschlichem Verhalten resultieren können. Und falls es ihm dennoch nicht gelingen sollte, sein Konto wieder auszugleichen, wird es auch zu keiner nachfolgenden Enteignung, wie Pfändung, Zwangsversteigerung etc., kommen, denn schließlich war sein Kontominus ja die Voraussetzung für das Kontoplus eines anderen Menschen. Die einzige Konsequenz eines lange währenden negativen Kontenstands ist die intensivere Beratung durch die EURO-WEG-Begleiter, die Bankmitarbeiter der Zukunft, die versuchen werden, ihm Wege aufzuzeigen, wie er durch Tätigkeiten, die ihm wirklich Freude bereiten und die er selbst für schön und sinnvoll erachtet in Zukunft nützliche Leistungen für die Gesellschaft erbringen kann, um sein Konto wieder auszugleichen.

(Franz Hörmann)

Es bleibt aber fortgesetzt unklar, wer z. B. den Preis einer Ware oder Leistung bestimmen soll. Als "demokratisch geregelt" gilt ja im Anspruch bereits eine soziale Marktwirtschaft. Kartellbildung und Lobbyismus sind darin allgemein besprochene gegenläufige Tendenzen. Doch wie ist Hörmanns Alternative dazu im Einzelnen vorzustellen? - Das Wort "Preisbildung" kommt in Hörmanns/Pregetters knappem Buch genau einmal vor - ihr sei ein "Forschungsinteresse" gewidmet.

Marxistische Kritik hat eine fehlende Theorie der Preisbildung an Hörmanns Theorie schon 2011 hervorgehoben (Claus Peter Ortlieb in Exit! [5]). Es bedürfe "einer gehörigen Portion Ignoranz, darin eine positive Utopie zu sehen." Es wiederholten sich in neuem Gewand "Formen bürgerlicher Herrschaft". Zu den aus heutiger Sicht eher drolligen Vorstellungen von Hörmanns System gehören die zitierten " EURO-WEG-Begleiter" ("WEG = Wert-Erhaltungs-Geld"), die als sozialtherapeutische Finanzberater Menschen zu ihrem Lebensglück führen sollen.

Zentral dürfte die Frage sein, ob Wettbewerb um gute Produkte und niedrige Preise in Hörmanns Buchungssystem ausreichend zu implementieren wären - und was als "globales Informationsnetz" bestehende mit weiteren Vorteilen für möglichst viele zu verbinden im Stande wäre. Es sind Grundfragen der Anthropologie und Psychologie, inwieweit Menschen von sich aus Altruismus leben und aufrechterhalten - die aber nicht abschließend beantwortet sind. Es sind fortgesetzte Mysterien der Volkswirtschaft, was zu den höchsten und letztlich allen dienlichen Leistungen anspornt. Kann das wesentlich mehr geteilte Eigentum ein neues Anreizsystem sein? Reformgegner argumentieren auf allgemeinster Ebene meist so, dass solche Vorstellungen mit dem real existierenden Sozialismus historisch gescheitert seien.

Auch redet sich Hörmann in einem aktuellen Interview mit seinem DM-Parteivorsitzenden [6] heraus, wenn Hörstel nach der Reaktion des Informationsgeld-Systems auf Verbrecher antwortet (15:44 Min. [7]). Er geht davon aus, dass durch "Motivation" und Angebote, "Sinnvolles" zu tun, Kriminelle wegen ihrer angeblichen Intelligenz zu begeisterten System-Teilnehmern würden, indem sie "den Wert selber schaffen" könnten.

Noch komplizierter wird es in Bereichen wie der Kultur- und Medienproduktion. Es existiert bei Hörmann kein mir ersichtlicher Begriff davon, dass nicht alles, was sich schließlich als wichtig und für Gemeinschaft und Wohlergehen förderlich erweist, auf ‚freien Märkten‘ einen Preis erzielt, der irgendwem ein Überleben sichert, das seine weitere Tätigkeit erst erlaubt. Deshalb gab es schon früher Mäzenatentum, heute auch Subventionen und Umverteilung. Dass dies nicht rein "demokratischen" Prinzipien folgt, ist schnell ersichtlich. Es geht dann neben individueller Großzügigkeit und Neigung auf der politischen Ebene um Expertise, um Weit- und Überblick - worüber man zu Sachthemen wieder trefflich streiten kann.

Es geht, allgemein gesagt, um eine produktive Seite dessen, was auch problematische Ausprägungen hat - nämlich in der Umverteilung von unten nach oben, der Bildung informeller, undemokratischer Strukturen, die von der Gesamtheit stark überproportional profitieren.

Ein Neo-Kommunismus als Rettung?

Ein Beispiel im Video Informationsgeld - die Boden- und Eigentumsfrage [9] ist Besitz an Land oder Immobilien. Schon eine von Hörmann erwähnte geteilte Ferienwohnung bringt in der Praxis nun mal schnell den Burgfrieden in Gefahr, wie schon Teilnehmer von Wohngemeinschaften wissen:

1) Einer pflegt das geteilte Eigentum nicht so, wie der andere es sich wünscht;

2) Hörmann suggeriert, als würde der Wettbewerb um mehr oder minder begehrtes Eigentum an einem bestimmten Platz oder zu einem bestimmten Zeitpunkt aus reiner Willkür resultieren. Dies hängt jedoch auch von unveräußerlichen Bedingungen ab: die ‚gute Lage‘ oder etwa der ideale Zeitpunkt für einen Ferienaufenthalt in einer Wohnung am Ferienort, abhängig von Urlaubszeiten eines Erwerbstätigen oder z. B. dem guten Wetter während der Sommermonate. Hörmann aber suggeriert die konfliktfreie Funktionstüchtigkeit eines solchen überpersönlichen Systems der Zuweisung und zeitweisen Ingebrauchnahme von Besitztümern. Letztendlich wäre dies wohl ein kommunistisches Prinzip, und das Problem könnte u. a. sein, dass sich dann immer wieder Gremien bilden müssten, die übergeordnete Entscheidungen treffen und Ansprüche Einzelner beurteilen. Es könnte in einer korrupten Apparatschik-Wirtschaft enden - die es in aktuell bestehenden Systemen auch gibt, aber vielleicht nicht einmal so schlimm, wie es in dem von Hörmann angedachten System der Fall sein könnte. Danach muss man jedenfalls fragen.

In Hörmanns Eigentums-Begriff herrschen also zumindest teilweise Illusionen - oder jedenfalls unbewiesene Behauptungen und Versprechungen. Diese blenden aus, dass mit einem alleinigen Eigentum für gewöhnlich anders umgegangen wird als mit Gemeinschaftseigentum. Hörmann:

Voraussetzung dafür ist jedoch ein komplett verändertes Bildungssystem, in welchem die jungen Menschen nicht auf Konkurrenz in einer beinharten Ellbogengesellschaft, sondern auf empathische Kooperation einer Share-and-Care Society, d.h. einer Gesellschaft, in welcher die mitfühlende Zusammenarbeit unter der Zielsetzung gegenseitigen Respekts und wahrer Anteilnahme am Wohlergehen aller Menschen an erster Stelle steht, vorbereitet werden.

(Franz Hörmann)

Man stelle sich einen Donald Trump vor, wenn er auf eine Waldorf-Schule gegangen wäre.

Hörmanns Informationsgeld liegt wohl zunächst - wie teils schon gescheiterten Ideologien - ein wunschgeleitetes Menschenbild zugrunde. Es gibt Hoffnungszeichen, dass derzeit bestehende Wohlstandsbereiche zum Wohle von noch mehr Menschen umgestaltet werden können. Kollektives lebenslanges Teilen und Verzicht auf Vorteile gegenüber anderen wären jedoch in vielerlei Hinsichten und historisch weit zurückreichender Perspektive ein Novum, das sich erst beweisen müsste. Ob es gerecht(er) wäre, ist längst nicht entschieden.

Es fehlen eben auch - soweit ich bisher sehe - jedwede detaillierteren hypothetischen Anwendungen auf Bereiche, in denen nicht recht simpel ein monetärer "Wert" bestimmt werden kann/könnte.

Eine weitere Frage ist die nach der Erlangung von Wohlstand durch Mehrarbeit: Ein Begriff wie "Vermögensbildung" kommt in "Das Ende des Geldes" überhaupt nicht vor. Und es entsteht der Eindruck, dass bei den berechtigterweise kritisierten Exzessen der Finanzwirtschaft jede Entstehung von Vermögen einer Fehlkonstruktion des Finanzsystems zu verdanken sei. Der Begriff "Vermögen" taucht nur in negativen Kontexten auf. Wie aber wollte eine darauf gründende radikale Systemalternative Menschen motivieren, mehr zu leisten als andere?

Gespiegelte Systemfehler?

Wenn Hörmann ein Strohmann sein sollte, der Abtrünnigen des Systems eine unmögliche und selbstwidersprüchliche Systematik unterjubelt, um ihre mangelnde Urteilsfähigkeit endgültig zu beweisen, dann folgte daraus die gedankliche Konsequenz, dass er sie Prinzipien bejahen lässt, die entweder praktisch undurchführbar sind oder nur auf andere - und teils sogar verschärfte - Weise Problematiken des laufenden Systems selbst darstellen. In diesem letzteren, teils durchaus unredlichen und absurden Spiel sorgen dann ‚geistig überlegene‘ Kräfte dennoch dafür, dass es für Mehrheiten ‚irgendwie läuft‘. Die Frage ist, wie unpersönlich die "unsichtbare Hand" des Adam Smith wirklich zu nennen ist und wie dauerhaft sie Totalzusammenbrüche verhindern kann.

Parallelen von Hörmans Argumentation zu den Bedingungen des Gesamtsystems, das er kritisiert und umstürzen will, sind:

    1. Geldschöpfung letztlich durch eine Zentralbank, die heute intransparent funktioniert, als dZB jedoch nach Prinzipien, die bei Hörmann überhaupt nicht klar werden. Wer würde aufgrund welchen Wissens und mit welchen Rechten "demokratisch" entscheiden, was in welcher Höhe ‚bezahlungswürdig‘ ist und was nicht?
    1. Die Volatilität von Werten in der laufenden Geldwirtschaft bringt das Schreckgespenst eines Wertverlustes durch Inflation bis hin zur Währungsreform hervor. Bei Hörmann heißt nicht nur das Buch "Das Ende des Geldes", sondern jeder einzelne Bezahlungsvorgang bedeutet gemäß dem Zitat aus dem Video (die ich im programmatischen Buch gar nicht so genau erläutert finde) mit der ‚Vernichtung‘ des Geldes durch einen "Buchungssatz".
    1. Wahnhafte Tendenzen der herrschenden Schuldenwirtschaft erscheinen in Hörmanns Definition gleichsam nur wiederholt, indem er Individuen ja sogar zubilligt, in ein langwährendes "Kontominus" zu geraten - "[d]ie einzige Konsequenz eines lange währenden negativen Kontenstands ist die intensivere Beratung durch die EURO-WEG-Begleiter, die Bankmitarbeiter der Zukunft".
    1. Hörmann weist in Interviews aktuelle Absichten zur Abschaffung des Bargeldes zurück; sein Buchungssystem würde aber schlussendlich ebenfalls den bargeldlosen Verkehr erschaffen, wie er zugleich in Aussicht stellt. Zustimmung zu Hörmann bedeutet also zumindest in diesem Punkt sogar die Zustimmung zu dem, was in puncto Überwachungsstaat und Elitenherrschaft zu den Hauptbefürchtungen heutiger Kritiker des Geldsystems gehört: in letzter Konsequenz Abschaffung des Bargeldes.
  1. Für die Bewertung von Arbeiten könnte je nach Organisationsstruktur eine noch intransparentere Steuerung durch Technokraten durchgeführt werden. Der einfache Bürger gerät in totale Abhängigkeit, auf das Buchungssystem zugreifen zu müssen.

Sucht man nach einer starken Wirklichkeitsdefinition aus Sicht des radikalen Entwurfs "Informationsgeld" von Hörmann, so ist es ein Denken des Geldes ausschließlich von geschaffenen Werten in Gestalt von Waren und Dienstleistungen i. w. S. Es würde zu keiner Zirkulation kommen, sondern lediglich zu Buchungsvorgängen, die in beliebiger Skalierung bezahlungswürdige Aktivitäten abbilden, dabei Wirtschaftsaktivität und Versorgung aufrechterhalten.

Zu dem Verbleib der verbuchten Beträge kursieren, wie gezeigt, aber widersprüchliche Darstellungen Hörmanns. Dies gleicht vorerst einer diskursiven Bad Bank, in die unerfüllte Argumentations-Kontrakte relativ beliebig abgeschoben werden können.

Aber wenn wir uns einigen könnten, dass an den obigen fünf Punkten exakt je ein Hase im Pfeffer liegt, wären wir wohl schon ein bedeutendes Stück weiter …

Alle Einwände bedeuten keineswegs, dass nicht möglichst große Modellversuche solcher alternativer Geldsysteme durchgeführt werden sollten, solange Reformen ohne einen bedrohlichen Notstandsmodus eingeleitet werden könnten. Theoretisch.


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https://www.heise.de/-3730411

Links in diesem Artikel:
[1] https://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik
[2] https://www.youtube.com/watch?v=9t_UNXDTTQ0
[3] https://www.youtube.com/watch?v=9t_UNXDTTQ0
[4] http://www.franzhoermann.com/uploads/2/0/1/9/20192907/20110810-das_ende_des_geldes.pdf
[5] http://www.exit-online.org/link.php?tabelle=theoriezeitschrift&posnr=41
[6] https://www.youtube.com/watch?v=Fl8y3NFZ23w&t=2190s
[7] https://youtu.be/Fl8y3NFZ23w?t=15m44s
[8] https://www.youtube.com/watch?v=sqxt_3TqueQ
[9] https://www.youtube.com/watch?v=sqxt_3TqueQ