Zwischen Ästhetisierung und der Macht des Faktischen

Transmediale 2000 tischt Widersprüchliches auf.

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Vom Katalog grüßt eine Collage aus uralten Rechnern und Nullen und Einsen: Das ist das Digitale. Im Zentrum des Bildes leuchten die Vogelfedern einer Kultmaske: Das ist die Kultur. Außer der notorischen '2000' hinter dem Festivalnamen finden sich keine weiteren Hinweise. Die Transmediale verzichtete dieses Jahr auf ein übergreifendes Motto.

Covergrafik der Transmediale 2000

Das Programm bot dagegen eine Überfülle von Themen, die abgesehen von den traditionellen Videonächten von Netzkunst über Netgames, Streamingtechnologien und digitale Filme bis hin zu Unternehmenspräsentationen wie George Lucas' Industrial Light and Magic reichten. Besucher beklagten prompt den fehlenden roten Faden und die dadurch eingebüßte Festivalatmosphäre: Was für das Videofest, aus dem die transmediale vor einigen Jahren hervorging, als Abfolge von Screenings noch Sinn gemacht hat, manifestiert sich unter den Bedingungen eines Medienfestivals schlicht als fehlende Klammer. Gleich vier Panels, Präsentationen und Vorträge widmeten sich in diesem Jahr so den "neuen Dimensionen von Kunst im virtuellen Raum", der "NeuenMedienKunst" sowie der "Multimedia Art". Aber selbst die Veranstaltungen der beiden Kuratoren dieser Kunstabteilung, Tom Sperlich und Tilman Baumgärtel, wollten nicht recht miteinander korrespondieren.

Während der Leiter der norwegischen Wanderausstellung 'detox', Stahl Stenslie, auf Sperlichs Panel etwa behauptete, Netzkunst sei mehr oder weniger die Verlängerung der CD-Rom ins Netz und generell eher uninteressant, hatte Baumgärtel mit Jodi und Mongrel wichtige Vertreter eben dieser Szene eingeladen.

Hier treffen Terminologien, Generationen und Kulturen aufeinander, die sich nicht vertragen: Auf der einen Seite steht der 'virtuelle Kunstraum', dessen Definition der 'Immersion' konkret an teurer High-Tech hängt. Hier diskutierten vor allem Vertreter einer Medienkunst, die kurz gesagt von der Installation nicht lassen will. Auf der anderen Seite scheint sich die Überschrift 'Multimedia Art' die Erweiterungen und Verlängerungen von net.art zu denken, die mit mehr oder weniger alltäglichen Technologien arbeitet.

Licht ins theoretische Dunkel brachte im Rahmen des "Virtual Art Space" vor allem Katharina Gsöllpointner, die umfassend die Fragen verhandelte, die sich im Zusammenhang von neuer Medienkunst stellen. Darunter etwa der kunstkritische Diskurs, der traditionell zwei Kritikpunkte an Medienkunst formuliert: Zum einen wird sie als eine Form naturwissenschaftlicher Forschung, und daher als Nicht-Kunst verstanden. Wenn die Kritik Medienkunst aber doch unter Kunst subsumiert, ignoriert sie gerne deren Immanenz. Das heisst wiederum, dass etwa die Rekurse von net.art auf die eigenen Bedingungen von solcher Kunstkritik nicht als relevant erachtet werden. Am Ende solcher Argumentationen steht dann laut Gsöllpointner allzuoft die Wiedereinführung einer Idee des Ästhetischen.

Dass gerade net.art und verwandte Ansätze sich dieser Re-Ästhetisierung widersetzen, führten unter anderem Jodi vor, die ihre Gamemutationen von Quake und Spear of Destiny, sowie die CD-Rom 'OSS' präsentierten. Vom Erhabenen war weit und breit nichts zu sehen oder hören, und so konnten Teile des Publikums, die keine Idee der sozialen Zusammenhänge haben, in denen Spiele wie 'Quake' ursprünglich funktionieren, auch kaum verstehen, worum es den beiden Künstlern gehen könnte.

So brennt es schlicht auf der Retina, wenn Jodi etwa die unter Teenagern beliebten Ballerspiele ihrer Horrorfilmästhetik entkleiden und auf grobe schwarze und weiße Pixel reduzieren. Während Programmiererin Joan Heemskerk durch die Labyrinthe der mutierten Version von 'Quake' navigierte, blickten die Anwesenden lediglich in verwirrende Moirés, die jede Op Art als traditionalistische Manifestation des Schönen erscheinen lässt. Partner Dirk Paesmans ahmte derweil die Uhh-Sounds des unveränderten Quakesoundtracks nach oder kommentierte das erfolgreiche Abschliessen eines Levels von 'SOD' mit einem knappen "Bonus!". Mit trockenem Humor zerren Jodi den Code der Systeme als aktuellste Manifestation der Macht des Faktischen hinter dem Bewußtseinshorizont hervor.

Abgesehen von solchen Höhepunkten sorgte vor allem der angegliederte club transmediale in diesem Jahr zum zweiten Mal für eine Plattform, auf der neue Formen audiovisuellen Produzierens im Clubkontext präsentiert wurden. Der Club Transmediale brachte jeden Abend internationale und lokale DJs und VJs, sowie Liveshows und Klanginstallationen auf die Bühne. Darunter etwa Labelnächte mit Raster-Noton und dem Elektro Music Department, das Videos immer schon als integralen Bestandteil von Performance und Aussendarstellung verstanden hat.

Unter der Moderation von Safy Etiel, einem der interessantensten Vertreter des Genres, wurde parallel dazu im eigentlichen Festivalprogramm die Welt des VJaying diskutiert. Während in den Anfängen des Kinos Musiker live die noch nicht erfundenen Soundtracks ersetzten, haben sich heute die Rollen verkehrt: Im Club ist das Auge nicht mehr König der Sinne. Während Etiel anderntags mit seinem Kollegen Ron Katsir Videomaterial in Schleifen organisierte, gab Elektros Klaus Kotai zur neuesten New Wave aus den Maschinen live eine Version von "I wanna be your dog" zum Besten. Da entsteht der virtuelle Kunstraum ganz von allein, Lo-Tech und zwischen den Ohren.