pop~Feature WESTBANK INDUSTRIES

STAAT, DIGITALE KÜNSTLERHEIMAT UND NETZÖKONOMIE

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Die Plazierung von virtueller Information im Netz ist für Künstler und Designer genauso wichtig wie für Firmen und Staaten. Alle diese Gruppen knüpfen daran persönliches oder volkswirtschaftliches Interesse. Stuart Rosenberg und Jo Seiler visualisieren diesen Umstand deutlich mit ihrem Netzkunstprojekt "Westbank Industries". Sie erproben damit eine Möglichkeit vom funktionierenden Umgang mit Digicash.

DIE WESTBANKINDUSTRIE

http://www.westbank.org

Westbank Inbdustries C.I.

Das Netzkunstkonzept von Westbank (WB) entspricht in seiner Struktur der einer tatsächlichen Firma. Die Westbank-Künstler entwerfen ihre eigene "Corporate Identity". Sie verwirklichen ihr eigenes digitales Territorium, das auch reale Banken und Kunden getestet haben. Diese wiederum sehen das Kunstprojekt als Trainingsraum für ihre zukünftigen neuen elektronischen Marktgebiete im öffentlich zugänglichen Internet. Als im Gegensatz dazu stehend beschreibt Saskia Sassen die autonomen nicht frei zugänglichen Intranetze der Finanz- und Wirtschaftswelt.1 Diese Territorien beinhalten bereits real funktionierende Mechanismen digitalen Zahlungsverkehrs und Handels. Solche Wirtschaftsnetzwerke beruhen jedoch auf der Exklusivität ihrer Teilnehmer und auf dem Ausschluß, der "Exklusion" bestimmter Benutzergruppen. Das Internet beruht aber auf der möglichen Miteinbeziehung, der "Inklusion" aller Benutzergruppen des weltweiten elektronischen Kommunikationsnetzes. Gerade deshalb wird das Marktkonzept von Westbank Industries mit allgemeinen Cyber-bucks interessant.

PROJEKTBESCHREIBUNG

Pass von Westbank Industries

INTERNATIONALE FINANZ- UND DEVISENMÄRKTE:

Ecash (electronic cash) ist der tragende Bestandteil des WB-Konzeptes. Über Passwort und Eintrag wird ein gefahrenfreier Transfer von elektronischem Geld garantiert. WB emanzipieren sich vom althergebrachten Verständnis von Geld und stellen sich in die Nähe des virtuellsten aller Märkte, des Devisenmarktes. Eine eigene Software, das SoftwebPackage wurde entwickelt. Die Programmierleistung, für die vor allem Jo Seiler verantwortlich zeichnet, generiert ein realistisches und auch tatsächlich funktionierendes Modell für den Umgang mit handelbaren Informationswaren, sogenannten Infogoods .

Teile des "Westbanktrusts" sind einem Staatssystem sehr ähnlich. Für bestimmte Dienstleistungen oder Waren werden Steuern einbehalten. Das trifft auch auf einen Geschenksladen, den WB Giftshop zu. Hier werden elektronische Bilder, Gifs, als "Gifts" verkauft.

DIE IDEE

Das Glücksversprechen von WB

Westbank Industries stellen ihre Konzepte von Digicash im Kunstkontext von Ausstellungen und Festivals vor. Das Finanzservice ist an einen eigenen individuellen Eintrag, einen Account für jeden Rezipienten des Kunstwerkes WB gebunden. WB setzen sich auch mit dem Zwang des Schenkens auseinander. Jedes Geschenk zieht die Verpflichtung zu einem immer noch wertvolleren Gegengeschenk nach sich. Die lettristische Idee des "Pottlage", des wertlosen Geschenkes ist zwar weit vom WB Giftshop entfernt, dennoch wird dort aber mit Waren gehandelt, die an und für sich im Internet auf den ersten Blick bislang noch nichts gekostet haben. Im Geschenksladen gibt es also Bilder von Künstlerinnen wie Seiko Mikami oder Pin-ups der berühmten Annie Sprinkle für einen bestimmten Betrag von Cyberbucks zu kaufen. Siegfried Zielinsky, Rektor der Kölner Kunsthochschule für Medien, beschreibt das Projekt in seinen Vorträgen jedenfalls als Musterbeispiel für den Ideenaustausch zwischen Kunst, Wirtschaft und Industrie. Die Kunst kann Lösungsvorschläge anbieten. Der Künstler versteht sich hier nicht nur als einfacher Bildproduzent, Gestalter von Oberflächen oder Schnittstellendesigner. Westbank Industries schaffen ein real funktionierendes System als Skulptur im elektronischen Netz.

LOKALER HINTERGRUND

Die Investhomepage von WB

Die Künstlergruppen Westbank Industries und Knowbotic Research betreiben gemeinsam mit Stahl Stenslie das Mem_brane- Labor in Köln. (Telepolis Bericht über Mem_brane)

Ingo Günther war einer der Professoren, der die Macher von Westbank Industries und die Gruppe Knowbotic Research in ihrer Studienzeit an der Kölner KHM betreut hatte. Seine Idee von der Kunst als Möglichkeit zur Produktion von politischem zusätzlich zum symbolischen Kapital, dürfte großen Einfluß auf die mem_brane Künstler gehabt haben.

Die Vermarktbarkeit von Kunst, von handelbarer Corporate Identity, von Webness, das Anbieten von Serviceleistungen im Netz und der Verkauf von theoretischen Objekten, vulgo Gimmicks, sind einige der Quintessenzen aus der Arbeit von Westbank Industries.

Die Nähe zur Interpretation Ingo Günthers, ein Staatenkonzept analog einer Firma aufzubauen und die Anwendung dieser Auffassung im Kunstrahmen, ist ein Mechanismus, der von seinen Schülern weiterentwickelt wurde. Vielleicht ist das WB-Ergebnis sogar gelungener und wirtschaftlich erfolgreicher.

THEORIE

Der Globus von WB

Ingo Günther und Westbank Industries verwenden ähnliche Ikonografien zu verwandten Themen im Zusammenhang mit Territorienbildung und Wirtschaft. Beide benutzen das Bild des Globus als Metapher für die Verteilung von Macht, Geld, Bewegung, Kommunikation und Kunst.

Beide vertreiben genauso wie die meisten anderen künstlerischen Netzterritorienprojekte Objekte, technische Gadgets und Gimmicks, mit denen sie ihre künstlerische Idee und Identität transportieren können. Reisepässe, Anstecker, Kleber, Kappen, T-shirts, gedruckte Anteilscheine dienen der Darstellung eines bestimmten Zusammenhanges, dem Imaging. Die Verkörperung der Idee geschieht über das Objekt, das selbst zwar nicht eigentlich Kunst ist, aber eine physische Verdinglichung der jeweiligen Idee darstellt. Es kann mit einem Erinnerungsstück oder einem Knoten im Taschentuch verglichen werden. Schon Keith Harring benutzte T-Shirts, Glückwunschkarten, Anstecker etc. als die eigentlich relevante Fläche zur Verbreitung seiner künstlerischen Bildsprache.

In der im Linzer Offenes Kultuhaus OK von 17.12. 96- 24.1.97 präsentierten Ausstellung "Wa(h)re Kunst" zeigt der Theoretiker und selbst ernannte "Zivilisator" Bazon Brock eine Sammlung solcher Gegenstände aus internationalen Museumsshops. Er beschreibt diese Taktik des "Imaging" als Voraussetzung für sozial relevante Kommunikation durch Kunst.

WESTBANK OBJEKTE

Für 1, 18 Ecash Einheiten kann man ein von der Webseite zu ladendes Bild des "Universal Passport" erwerben, das als Cover für den bestehenden Reisepass dient. Ähnlich den Grundsätzen, die bei NSK im diplomatischen Reisepaß angegeben sind, verkaufen Westbank eine bestimmte Ideologie mit dem Besitz dieser Reisepasshülle.

1.The Global Counsel will present any world citizen bearing this passport assistance with global laws, treaties and human rights.

2.The Global Counsel Requests all national authorities to assist the bearer of this passport to afford such help and assistance as may be necessary in any case of need.

3.We ask that the bearer respect the cultures, customs and traditions of the land in which he or she is living.

4.This passport entitles the bearer to travel, work and live freely

anywhere he or she chooses.

Westbank Industries

WB konstruieren virtuelle Märkten und Antimärkte. Sie stellen dem Anarcho-Kapitalismus der Utopisten ein eigenes, real funktionierendes Konzept unter dem Einsatz von Cyber-dollars, ElektroKohlen, digitaler Asche entgegen. Der WWW Finanzkollaps könnte mit Hilfe dieser elektronischen Währungen mit realem Wert vermieden werden.

KRITIK

Die Konzeptseite von WB

Bei der Präsentation des WB Konzeptes beim D.E.A.F. Festival in Rotterdam im Herbst 96 drängte sich einem der Gedanke auf, daß sicherheitshalber digicashfreie Zonen bewahrt werden sollten, in denen nicht gehandelt wird und keine Gifs zu verkaufen sind. Ein Teil der elektronischen Realität sollte immer frei zugänglich bleiben. Das betrifft auch die Beziehung von WB zum geistigen Netzmodell, in dem es auch darum geht, das tatsächliche Internet zu erhalten und zu verwalten.

WB schaffen mit dem Ecash Konzept eine Gegenstrategie zum Aufkauf von Webprojekten gegen allzu geringes einmaliges Entgelt und die Ausbeutung von "Content" orientierten Mailprojekten als Werbeträger für kommerzielle Anwendungen. Bis dato werden solche Lösungen von Künstlern nicht angewandt. Sie könnten aber eine Chance für die finanzielle Unabhängigkeit von Netzkünstlern bedeuten.

Die Gewerkschaft der Inhaltslieferanten braucht eine eigene Marktstruktur die mit diesem Projekt bei D.E.A.F. exemplarisch vorgeführt wurde.