Zirkelschluss

"Ob Selenskyj von Endlösung gesprochen hat, weiß ich nicht. Ich glaube, er sprach von Auslöschung, und das ist es ja, was Putin will. (...) Da Putin die Ukraine erklärtermaßen von der Landkarte tilgen will und behauptet, dass es ein ukrainisches Volk gar nicht gibt, war Selenskyjs Vergleich (Vernichtungsfeldug) durchaus nachvollziehbar."

Ob Begriffe wie "Vernichtung, Endlösung, Auslöschung" besser passen würden, ist eine unerhebliche Diskussion, wenn diese Begriffe in einem Deutungskontext gebraucht werden, der auf das gezielte Töten von Zivilisten anspielt, als hätten Menschen in der Ukraine aus russischer Sicht einen geringeren Wert. Die russische Kriegsführung drückt bald drei Monate lang das Gegenteil dieser These aus.

Als Historiker ist es legitim, sich auf Putins öffentliche Reden zu beziehen, um eine Weltbildsanalyse anhand dieser Quellen zu erschließen. Putin stellte meines Wissens nach u.a. die Staatlichkeit der Ukraine infrage und bezeichnet die Regierung Kiev als ein Regime, das von russischen Feinden missbraucht werde, das russische Minderheiten entrechten, bekämpfen und ermorden würde.

Daher sehe ich in Pipers Sicht einen bewusst verkürzten Zirkelschluss, der sich lediglich einer einseitigen Auslegung von Putins Worten bedient. Der Historiker tritt wortkarg auf, er diskutiert seine Standpunkte nicht, wie es in der Wissenaschaft gemeinhin üblich ist, aber er behauptet fast nebenbei, dass in der Ukraine "Prüf- und Filtrationslager" errichtet werden und "viele Menschen ermordet und der Rest zwangsrussifiziert" werde.

Er trägt somit einer populärwissenschaftlichen Betrachtung Rechnung, die auch Pop-Historiker wie T.Snyder vertreten, die diese russische Offensive als einen Kolonialkrieg im Sinne einer Äquivalenz zum Imperialismus einordnen. Das journalistische Framing ist dem wissenschaftlichen ähnlich und wer eine Anstellung/ Lehrauftrag hat, der passt sich dem politischen an. Es ist eine sehr schwierige Zeit für intelligente, komplexe und offene Diskussionen.