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  • Irwisch

mehr als 1000 Beiträge seit 22.03.2005

Medial verengter Meinungskorridor ist Zensur

Zunächst einmal möchte ich Herrn Ensel meinen Dank für diesen Artikel aussprechen, den ich für einen wichtigen Beitrag gegen die aktuelle Kriegstreiberei in den deutschen Medien halte.

Wie bei den meisten Telepolis-Artikeln, in denen ein Autor auf seine bereits erschienenen Bücher hinweist, habe ich auch hier versucht, das eine oder andere Werk zu finden, u.a. beim PDF-Drive, bei Google-Books und in der Landesbibliothek: Fehlanzeige. Einzig in Internet-Antiquariaten sind Titel von Leo Enser noch zu finden, deren Erwerb ich mir aber nicht leisten kann (ihr wißt ja, Hartz-IV und damit verbundene Armut). Das fand ich bemerkenswert, denn offenbar werden von westlichen Meinungsführern unerwünschten Inhalte auf diese Weise unsichtbar gemacht.

Beim ersten Mal, als ich eine derartige Zensur feststellte, handelte es sich um den amerikanischen Autor Antony C. Sutton, der erhellende Bücher über die Wallstreet, den von dieser finanzierten Aufstieg Hitlers und über die Wallstreet-Finanzierung beider Weltkriege veröffentlicht hatte – mit dem Resultat, daß man ihn aus allen öffentlichen Ämtern entfernt hatte und seine Bücher quasi unzugänglich wurden.

Sutton zeigt anhand von allgemein zugänglichem Quellenmaterial, was sonst nur manchmal geraunt und vorschnell in eine politisch anrüchige Ecke abgeschoben wurde: dass es eine bedeutende, willentliche amerikanische Mitwirkung beim Heraufkommen des Dritten Reiches bis 1933 und bei seiner Machtsteigerung nach 1933 gegeben hat. Das Dritte Reich ist, das legt Sutton nahe, bis zu einem gewissen Grade, auch so etwas wie ein amerikanisches Klientelregime beziehungsweise ein Klientelregime der »Wall Street«, das heißt der wirtschaftlichen Machtelite der USA, gewesen.

aus Antony C. Sutton: Wall Street und der Aufstieg Hitlers, Vorwort des Herausgebers, S. 9

Weder von Mr. Sutton noch von Herrn Ensel hatte ich je etwas gehört, bevor ich nicht auf diese Autoren hingewiesen wurde. Sie kommen in den Medien quasi nicht vor, werden in führenden Zeitungen nicht erwähnt. Ein großes schweres Tuch des Schweigens scheint solche Werke zu bedecken, man spricht über solche Dinge einfach nicht.

Wie ich heute in einem anderen Beitrag geschrieben habe, wird uns, die wir in Industrienationen bzw. modernen Zivilisationen leben, das, was wir zu wissen glauben, zu über 90 Prozent medial vermittelt; wir haben davon gelesen, gehört oder im TV gesehen, und das allermeiste davon können wir nicht auf seinen Wahrheitsgehalt hin überprüfen. Das hindert die Menschen, mich eingeschlossen, jedoch nicht daran, auch weitgehend unüberprüfbare Inhalte zu glauben – vielleicht weil sie uns schlüssig und plausibel erscheinen, oder weil der Inhalt in unser Weltbild paßt, sich unseren Interessen unterordnen läßt, oder weil das angeblich alle so sehen usw. Okay, ich lese viel, vor allem Beschreibungen von Modellen, die es ermöglichen, Weltgeschehen, Beobachtungen usw. sinnvoll einzuordnen. Die Psychoanalyse ist z.B. so ein Modell; ich lese aber auch viel über soszialpsychologische Modelle, über Phänomenologie, über Sprachphilosophie, Individual- und Entwicklungspsychologie, auch über religiöse Zusammenhänge und Erklärmodelle, über die Entstehung religiöser Vorstellungen, über Wissenschaft als Religion usw.

Meiner Beobachtung und Überzeugung nach fehlt den meisten Menschen die Erkenntnis, daß ihre Vorstellungen von der Welt nicht zwingend den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen müssen. Jeder, der auf seiner inneren Landkarte diese und jene Markierungen einzeichnet oder meist doch eher von anderen einzeichnen läßt, sollte wissen, daß er das aus einem ganz bestimmten eigenen Interesse heraus tut: Er möchte auf seiner Landkarte Orientierungspunkte setzen, die ihm dabei helfen sollen, seine eigenen Interessen wahrzunehmen und umzusetzen. So setzen z.B. Leute, die in erster Linie daran interessiert sind, gesellschaftlich und beruflich weiterzukommen, mehr Geld zu verdienen und mehr Macht zu erringen, völlig andere Markierungspunkte als z.B. Menschen, denen es mehr um ein friedvolles, empathisches und verständnisvolles gesellschaftliches Miteinander geht.

Dennoch herrscht auf beiden Seiten der Glaube vor, die eigene Landkarte sei ein zuverlässiges Abbild der Welt, wenn nicht gar die Welt ansich. Tatsächlich nehmen wir, wenn wir über Zusammenhänge der Welt da draußen nachzudenken glauben, die Landkarte unserer einmaligen, individuellen Welt wahr, die wir im Laufe unseres Lebens angelegt haben. Das sind sprachphilosophische bzw. sprachkritische Erkenntnisse, von denen die meisten Leute noch nie etwas gehört haben. Ein Bild ist nicht das, was es abbildet, die Landkarte ist nicht das Gelände und die Speisekarte kann man nicht essen.

https://www.gleichsatz.de/

Aus diesem gewöhnlich unerkannten inneren Konflikt heraus speisen sich letztlich all die Streitereien um Beschreibungen einer angeblich objektiven Wirklichkeit. Es gibt aber keine objektiv wahrnehmenden Subjekte, kein Mensch ist in der Lage, die Welt objektiv wahrzunehmen, alle Wahrnehmungen sind im Grunde schon Interpretationen, Abstraktionen und interessengesteuerte Bevorzugung dieser und jener Aspekte der jeweiligen Sache.

Die meisten Menschen sind weit entfernt davon, derartige Zusammenhänge auch nur ansatzweise zu erkennen. Im Gegenteil, sie glauben fest an die Welt, die sie im Kopf mit sich herumtragen. Das hat mehrere Gründe: Zum einen scheut der gewöhnliche Mensch die Erfahrung von Unsicherheit und Ohnmacht, denn die konnte er als Säugling und Kleinkind schon nicht ertragen, weshalb er schon früh gewisse Abwehrmechanismen, vor allem in Form von Abspaltungen, entwickeln mußte. Zum anderen zwingt der gesellschaftliche Konformitätsdruck dazu, unerwünschte Inhalte – auch unter dem Begriff Tabu bekannt – nicht zu kommunizieren. Niemand möchte sich ausgestoßen fühlen, nahezu jeder ist bestrebt, sich an gesellschaftliche Verhältnisse so weit anzupassen, daß er nicht unangenehm auffällt.

Das ist die Welt, in der die meisten leben. Es ist keine Welt der kritischen Betrachtung, sondern vielmehr eine Welt der Ängste und Sorgen, vor allem der Angst davor, ausgegrenzt und verachtet zu werden. So sind z.B. auch die Angst vor gesellschaftlichem Abstieg, die Angst vor der Rolle als sozialem Sündenbock (z.B. als »Hartzer«), die Angst vor Beschuldigungen jeglicher Art, die Angst vor Schamgefühlen oder die Angst vor Entblößung der eigenen Lebenslügen wesentliche Prägestempel in der heutigen Gesellschaft.

Ein Gehirn, das sich ständig im Zustand der Angst befindet, kann nicht klar denken, weil die evolutionsmäßig älteren Gehirnareale das Denken gewissermaßen blockieren. Man versucht, sich dem gerade vorherrschenden Gesellschaftscharakter anzugleichen, indem man alles ausblendet, was diesem Charakter nicht entspricht. Solches Verhalten ist das Gegenteil von Individualismus, doch das will der Durchschnittsmensch nicht wahrhaben. Um sich dann doch wieder als Individuum* fühlen zu können, muß konsumiert werden, müssen sichtbare Zeichen zur Schau gestellt werden, die einen angeblich von der Masse unterscheiden. Hier kommt die innere Zerrissenheit des heutigen Menschen zum Vorschein, der in seinen Entscheidungen, die er für die eigenen hält, doch weitgehend außengesteuert bleibt. Einen stabilen inneren Kern, der ihnen auf Grundlage ihrer biologischen Wesenheit Orientierung verschafft, durften die meisten erst gar nicht entwickeln. Davon schreiben Autoren wie Arno Gruen, Hans-Joachim Maaz, Franz Ruppert, Gerald Hüther sowie der Kindheitsforscher Michael Hüter und viele andere. Auch diese Autoren kommen im Mainstream so gut wie gar nicht vor.

* Eigentlich müßte es Dividuum heißen, das Geteilte, statt Individuum, das Ungeteilte. Das Innenleben des heutigen Menschen ist zerrissen und stellt damit kein harmonisches Kontinuum dar, sondern eine vor allem von Angst dominierte seelische Unordnung, ein verhängnisvoller innerer Kampf um die Vorherrschaft über Körper und Psyche. Diesen Kampf tragen meiner Beobachtung nach die meisten Menschen nach außen.

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