Wie geht es einem Menschen, dessen Lebensthema die Verständigung zwischen Ost und West ist, in der heutigen Zeit, am Rande eines neuen Kalten Krieges?
Oh ja, ich kann Sie nur zu gut verstehen Herr Ensel.
Zunächst möchte ich mich bei Ihnen für diesen Artikel bedanken und meine größte Wertschätzung ausdrücken. Wir brauchen mehr Menschen wie Sie.
Ich gehöre zu den in Russland geborenen Deutschen, den Russlanddeutschen. Meine Vorfahren waren vor über 200 Jahren nach Russland immigriert. Später lebten sie weitestgehend isoliert in einer Deutschen Siedlung in Sibirien. Noch als Jugendlicher kehrte ich mit meiner Familie Anfang der 90ger Jahre mit der großen Aussiedlerwelle in meine historische Heimat Deutschland wieder zurück. Ich lebte auch einige Jahre in der Ukraine, genauer im Donbass. Ich bin vier Jahre in Gorliwka zur Schule gegangen. Insofern ging mir die Entwicklung der Ost West Beziehungen im Zuge der Ukraine Krise ab 2013 besonders ans Herzen. Ich habe immer noch Kontakte zu meinen früheren Freunden aus dem Donbass. Einige die ich von früher kannte sind auch bereits in diesem Krieg gefallen.
Ich hatte Vieles versucht und mein Bestes gegeben und zu versuchen zwischen hier und dort zur Deeskalation beizutragen. Ich bin entsetzt gewesen als mir klar wurde, dass Deutschland sich auf die Seite der Kriegstreiber stellte und auf Konfrontationskurs mit Russland ging. Ich konnte die Entwicklungen sozusagen auf Beiden Seiten live miterleben. 2014 war für mich eine Welt aus Illusionen zusammengebrochen. Mein Glauben an Demokratie, die Presse- und Meinungsfreiheit, die s.g. "europäischen Werte" ist krachend zusammengebrochen. Denn ich konnte es von Beiden Seiten beobachten und miterleben, dass nicht Russland der Aggressor war. Es war leider Deutschland unter Anderem. Und das brach mir das Herz. Es wäre für mich leichter gewesen, wenn es Russland gewesen wäre. Ich habe es bis heute nie wirklich verarbeitet, und werde es wahrscheinlich auch nie können. Ich bereite mich heute wie Viele Russlanddeutsche, die ich kenne auf eine Rückkehr nach Russland vor. Nur dort kann ich nach All dem Frieden finden.
Auch wenn ich eigentlich ein Deutscher bin, ich bin nicht stolz darauf. Ich hatte mich früher immer gefragt wie das möglich gewesen ist, dass sich die Deutschen damals vor über 70 Jahren verführen haben ließen. Wieso sie zu all den Grausamkeiten fähig gewesen waren und warum sie bis zum Schluss nicht merkten, dass sie verführt und benutzt wurden? Heute ist mir das verständlicher geworden, ich habe jetzt selbst gesehen wie das funktioniert.
In Russland findet diese Art von Anfeindungen gegen Deutsche und Deutschland, überhaupt nicht statt. Es ist verblüffend, aber die Russen hegen überhaupt keinen Greul gegen die Deutschen als Solche. Nicht in der Vergangenheit, und auch heute nicht. Nicht auf offiziellen Ebene, nicht in den Medien, nicht in den Sozialen Netzwerken und selbst nicht am Stammtisch. Die Deutschen oder Deutschland werden in Russland nicht verhetzt. Nicht mit absurden Anschuldigungen überzogen. Stets mit Respekt, Offenheit und großem Interesse begegnet. Selbst bei meinen jüngsten Reisen in Russland treffe ich keinerlei Anfeindungen weil ich aus Deutschland komme. Im Gegenteil das weckt Interesse, die fangen an mich mit Fragen zu löchern. Sie interessieren sich für Deutschland, man spürt überhaupt keine negative Einstellungen, keinerlei Vorurteile. Sie fühlen sich nicht wirklich bedroht durch den Westen. Sie haben keine Angst. Warum sollten sie, das was sie durchgemacht hatten vor 70 Jahren wird kaum noch zu toppen sein. Die Russen wissen am Besten was Krieg bedeutet. Sie sind die Letzten welche einen Krieg brauchen. Sie hatten darauf verzichtet sich an den Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg zu rächen. Sie strebten stattdessen ehrlich Freundschaft an. Sie dachten Rache würde nur böses Blut sähen welches früher oder später Früchte tragen würde und wollten diesen Teufelskreis mit Freundschaft durchbrechen. Sie haben dabei die Schmach der Niederlage und Einfluss der Amerikaner vielleicht unterschätzt?
Wie dem auch sei, ich habe gemerkt, dass die Sprachbarriere das größte Problem in der Verständigung darstellt. Der Durchschnittsdeutsche beherrscht kein Russisch, und ist deshalb kaum in der Lage anti russische Propaganda selbstständig zu prüfen. Im russischsprachigen Internet recherchieren, sich mit Russen in Sozialen Netzwerken austauschen. Die Leitmedien in Deutschland haben daher ein leichtes Spiel. Die können Alles mögliche Erzählen. Dinge über die man sich in Russland nur den Kopf schüttelt und abwinkt.
Ich hatte versucht dagegen vorzugehen soweit das in meiner Macht stand. Ich bin kein Journalist und kein Buchautor. Meine Möglichkeiten sind begrenzt. Ich konnte nur in Kommentarspalten der Medien und in Sozialen Netzwerken aufzuklären. Narrative in Frage stellen, informieren, übersetzen usw... Ich dachte wenn man die Falschinformationen über Russland zerstreut, würde das zum gegenseitigen Verständnis beitragen. Vielleicht funktioniert es auch im gewissem Rahmen, aber viel kann ich leider nicht tun.
Was mich jedoch verblüffte ist der Widerstand der Leitmedien gegen Jeden Versuch ihre anti-russische Narrative in Frage zu stellen. Der Ausmaß an Zensur dabei hat selbst mich überrascht. Also als "Putin-Versteher" wird man sehr schnell aus den Kommentarspalten verbannt. Nicht nur völlig sachliche Beiträge, gar wörtliche Übersetzungen werden konsequent entfernt, auch die Accounts werden ohne Begründungen hemmungslos gelöscht.
Ich muss sagen, so etwas findet in Russland zum Beispiel gar nicht statt. Man kann so ziemlich Alles in Kommentarspalten in Russland schreiben. Man kann Putin beleidigen, man kann die s.g. "Annexion der Krim" "kritisieren". Niemand stopft da einem das Maul. Niemand sperrt einfach so den Account wegen Worten. Das schlimmste was einem passieren kann ist dass man mit Spott, Häme und sachlichen Argumenten der Anderen Teilnehmer rechnen muss. Massive politische Zensur gibt es nur hier, im achso Meinungsfreien Westen. Und das ist entsetzlich. Dagegen fühlt man sich völlig machtlos. Wenigstens muss man noch nicht mit richtigen Repressionen rechnen wenn man sich nicht an der Verhetzung Russlands beteiligen möchte, wobei mich auch das mittlerweile nicht mehr wundern würde.
Doch ich habe den Kampf gegen Windmühlen weitestgehend aufgegeben. Es hat kein Zweck und zeigt kaum Wirkung. Nur in Nischen wie hier bei TP findet man noch Gehör wenn man versucht zwischen Deutschland und Russland zu vermitteln und zum gegenseitigem Verständnis beizutragen. Währenddessen treibt der Westen mit Deutschland zusammen die Eskalationsspirale immer weiter voran. So friedlich die Russen auch sein mögen, naiv sind sie nicht und deren Geduld ist auch nicht endlos. Sie sind auch wirklich stärker und entschlossener. Ich sehe keine Zukunft für meine Kinder hier. Ich will nicht, dass sie genauso verführt werden wie vor 70 Jahren schon. Ich werde dieses Land verlassen, es ist verloren.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (01.04.2021 02:10).