https://www.tagesspiegel.de/politik/putins-geschichtsbild-schwache-fuehrungsfiguren-verursachten-das-ende-von-zarenreich-und-sowjetunion/28250512.html
Alexander Brakel ist promovierter Osteuropahistoriker und zurzeit als Gastwissenschaftler an der Wesleyan University in Connecticut tätig. Er hat mehrere Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung geleitet.
Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges wird über Ziele und Motivationen des russischen Präsidenten Putin für die Invasion nachgedacht. Gerade auch, weil im Westen teilweise der Eindruck herrscht, Putin habe sich verschätzt.
Man wird das Verhalten des russischen Präsidenten nur verstehen können, wenn man sich zwei seiner Grundüberzeugungen näher anschaut: Die reale Angst vor demokratischen Wenden in den Ländern des postsowjetischen Raums, für die in seinen Augen nur die USA verantwortlich sein können. Und sein Geschichtsverständnis, in dem starke Persönlichkeiten Ereignisse herbeiführen, Strukturen und die Bevölkerung als Akteur aber keine Rolle spielen.
Der entscheidende Wendepunkt in Putins Verhältnis zur Ukraine trat am 22. Februar 2014 ein. Damals führten die monatelangen Massenproteste zum Rücktritt und zur Flucht des korrupten, aber russlandfreundlichen Präsidenten Wiktor Janukowitsch.
Bis heute bezeichnet Putin den „Euromaidan“ als das Werk der USA. Diese hätten den „faschistischen Putsch“, wie er es nennt, geplant und orchestriert. Auch ohne tiefere Einblicke in die Planungen der CIA genügt ein Blick auf die Washingtons magere Erfolgsbilanz, verdeckte Regimewechsel herbeizuführen, um die Absurdität dieser Annahme zu entlarven.
Aber in Putins Augen wird die Ukraine nun von einem russlandfeindlichen, von den USA gesteuerten Regime beherrscht. Dieser Zustand ist für Putin unerträglich. Zum einen angesichts der historischen Bedeutung der Ukraine für das russische Imperium und auch, weil er sie als Puffer zwischen Russland und der Nato sieht.. Sowohl die Besetzung der Krim wenige Tage später als auch momentane Angriffskrieg auf die gesamte Ukraine sind die Reaktion auf diese Wahrnehmung.
Auf der einen Seite reiht sich diese Behauptung der US-Urheberschaft ein in die lange Liste von Unwahrheiten, die der russische Präsident zur Legitimierung seiner verbrecherischen Politik verbreitet, vom „Genozid“ im Donbass über die geheimen amerikanischen Biowaffenlabore in der Ukraine bis zu deren Atomprogramm. Zahlreiche, auch interne Äußerungen, belegen indes, dass die Angst des Kremls vor „Farbenrevolutionen“ im postsowjetischen Raum echt ist, ebenso die Annahme ihrer amerikanischer Urheberschaft.
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