NavesII schrieb am 24.02.2019 10:49:
Was ich viel mehr beachtlich finde, ist der ideologische Anspruch, eine Protestbewegung gegen die "Moderne" im eigenen Verständnis gegen den säkularen Westen zu sein. Und zwar eine regressive antiemanzipatorische. Begriffen wird das als Rückbesinnung auf irgendwelche vorzeitlichen ewigen Werte des Islam.
Wenn Sie das "Faschismus" nennen, dann müssen Sie auch Dostojewski und die russischen sogenannten "Slawophilen" des 19. Jh. als "Faschisten" bezeichnen. Denn die waren auch entschiedene Gegner des Kapitalismus bzw. der "Moderne".
Sogar biographhisch gibt es zwischen Dostojewski und Sayyid Qutb, dem wohl wichtigsten Ideologen der Muslimbrüder, einige Parallelen. Beide unternahmen mit Anfang Vierzig (1862 bzw. 1949) eine längere Reise in den Westen. Dostojewski fuhr nach Westeuropa, Qutb in die USA. Beide kamen von der Reise angewidert zurück und besannen sich auf die Religion als Inbegriff der "vormodernen" Tradition.
Faschismus ist eine regressive Antwort INNERHALB des vollentwickelten Kapitalismus auf die sich entladenden Widersprüche dieses Kapitalismus (und eigentlich ist der klassische Faschismus des frühen 20. Jh. natürlich einfach eine konterrevolutionäre Bewegung zur Unterdrückung einer heranreifenden bzw. bereits ausgebrochenen Revolution).
Im Umfeld der russ. Slawophilen oder der Begründer des Islamismus herrschte aber noch kein Kapitalismus, sondern eine vorkapitalistische Ordnung. Es herrschten völlig andere, "traditionelle" gesellschaftliche Verhältnisse zwischen den Menschen und die Abwehr richtete sich gegen das EINDRINGEN des Kapitalismus, dessen Auswirkungen Marx im "Kommunistischen Manifest" m.E. sehr treffend charakterisiert:
"... Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose "bare Zahlung". Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritter- |465| lichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt. ..."
Sie sollten sich m.E. zumindest eine Ahnung dafür bewahren, dass der Kapitalismus bzw. "die Moderne" eine brachiale Umwälzung der Gesellschaft bedeutet, eine Umwälzung, bei der nicht nur etwas gewonnen wird (und das ohnehin nur auf längere Sicht), sondern auch sehr viel verloren geht.
Lesen Sie nochmal den zweiten Teil des Faust, da findet man m.E. ebenfalls die Sorge eines "Vormodernen" über das, was da an Neuem zu beginnen scheint.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (24.02.2019 19:54).