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  • Anarc

mehr als 1000 Beiträge seit 17.08.2005

Autorität

Toller Thread - hier gefällt's mir.

C.O.B.A schrieb am 11. September 2006 9:59

> "Zu vermeiden" war nicht der richtige Ausdruck dafür. Ich hoffe,
> elfboy hat doch "zu verhindern" gemeint.

Das würde ich auch sagen. Selbst als Anarchist möchte ich nicht blind
in einen Antipol verfallen. Wir übersehen gerade, daß es nicht die
Macht allein ist, die hier zur Disposition steht. Sie ist mit anderen
Erscheinungen verwoben. Da gibt es hauptsächlich die Autorität, deren
Verhinderung gar nicht machbar ist. Eine fachliche Autorität als Laie
in Frage zu stellen wäre dumm und die Autorität der Erfahrung durch
Alter ist auch unlöschbar. Autorität gibt einem aber auch eine
gewisse Macht in die Hand. Hier kommt es meines Erachtens nicht auf
ein Vermeiden oder ein Verhindern an. Den Ansatz des
gesellschaftlichen Stellenwerts finde ich interessant.

So kann eine gesellschaftliche Stellung, die mit einer Autorität
verbunden ist, als eine Dienstleistung angesehen werden - die
Autorität wird nicht ausgeübt, sondern nur dann gefordert, wenn sie
gebraucht wird. Mir gefällt die sozialistische Umsetzung des
Mangagers als "Kommunikator", z.B. als Bauleiter bei Großprojekten.
Die Leute waren meistens absolut genehm drauf und ihre Aufgabe war
nicht so definiert, daß sie die Arbeiten leiten sollten, sondern sie
standen mit ihrer Kompetenz und einer kommunikativen
Verbindungsfunktion den Kolonnen zur Verfügung. (Das klappte
natürlich nicht überall so, es gab im Hintergrund ja noch den streng
hierarchischen Staatssozialismus.)

Während des EU-Gipfels in Griechenland hatte ich mehrere Streits mit
jugendlichen Gipfelhoppern aus Deutschland. Es gibt dort bei den
Anarchisten etliche ältere, teilweise 50jährige Aktivisten, die
mitten im Geschehen sind. Konsterniert stellten die Antifas fest, daß
diese eine ziemliche Autorität ausübten und bei kritischen
Situationen - nicht nur militante Angriffe, sondern auch Konzerte mit
hunderten von Zuschauern - fast wie Chefs wirkten. Und das auch noch
bei einer Gruppe, die sich "Antiauthorian Movement" nennt. Es wurde
mir jedoch von griechischen Genossen versichert, daß diese Struktur
nur eine Art Arbeitsteilung ist, die in ruhigen Zeiten kritisch
reflektiert wird. Die in solchen Momenten ausgeübte Autorität ist
nicht an ein Mandat gebunden, sondern ergibt sich aus der
Überzeugungskraft der jeweiligen Leute - etwa wie bei einem Ataman
der Krim-Tartaren. Es ergibt sich von selbst, daß ältere Aktivisten
mit einem reichlichen Maß an Erfahrung gefährliche Situationen besser
einschätzen können - Ausnahmen bestätigen die Regel. Wer schon mal
ein Konzert mit mehreren hundert Leuten organisiert hat, weiß wie
fahrlässig es ist, das ganze ohne jede Struktur durchzuführen, selbst
dann wenn keiner einen Tropfen Alkohol anrühren würde. Von militanten
Angiffen mag ich gar nicht reden, man sieht ja was für ein Chaos das
hierzulande immer gibt, wo es keinerlei Erfahrung mit einer solchen
Reflektion gibt, sondern nur eine pubertäre Anti-Haltung. Konsequent
streiten sich die Leute an jeder Straßenkreuzung um die Richtung und
sind am Ende im Kreis gelaufen. Und wenn es irgendwo kracht, dann
wird ohne Plan solange weiter gemacht, bis alle im Gefängnis oder im
Krankenhaus sind.

Ich hoffe, ich habe deutlich gemacht, was ich meine - es ist nicht
ganz einfach.

> Aus der Erfahrung, dass jede Form von Macht Psychopathen und
> Massenmörder zwanghaft anzieht, sodass Machtzentallen letztes Endes
> zwangsläufig von solchen Typen besetzt werden, muss man logische
> Konseqenz ziehen: jede Form von Machtkonzentration ist
> gesellschaftlich gefährlich. Ergo, es ist jeder Form von
> Machtkonzentartion aktiv wie passiv zu widersetzen.

Das dürfte in Anlehnung an meine obigen Ausführungen allerdings nicht
grundsätzlich und manisch geschehen, sondern als fließender Prozeß.
Je mehr Macht, desto mehr Widerstand. Macht als reines Mandat ohne
Kompromisse darf es natürlich nicht geben - das ist die klassische
Auffassung von Macht. Und Sturheit darf schon gleich zweimal nicht
vorkommen - weder auf der einen, noch auf der anderen Seite. Ein
antiautöritäres System kann nur in einem Klima der Kompromißfähigkeit
gedeihen. (Ich hoffe es ist überflüssig zu sagen, daß das momentane
beim besten Willen kein antiautoritäres System ist und ich daher auch
kaum Kompromisse machen will.)

> Destruktive Kraft dieser Gesellschaft geht nicht von den Psycho- und
> Soziopathen aus - die lassen sich immer finden, sondern von den von
> ihnen besetzten Machtzentralen.

Den Mandaten und fest definierten Funktionen.

> Als Würstchenverkäufer und Telefondisenfizierer können all die Typen
> nicht so viel Schaden wie gegenwärtig anrichten.

In dem von mir dargelegten System würden sie sich sehr schnell selbst
disqualifizieren.

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