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  • sansculotte

mehr als 1000 Beiträge seit 16.09.2001

Ja

Anarc schrieb am 11. September 2006 12:15

> C.O.B.A schrieb am 11. September 2006 9:59

> > "Zu vermeiden" war nicht der richtige Ausdruck dafür. Ich hoffe,
> > elfboy hat doch "zu verhindern" gemeint.

> Das würde ich auch sagen.

Kompromiss;-): wahrscheinlich ist beides angebracht - verhindern und
vermeiden. Ich finde den Ausdruck "vermeiden", den elfboi gewählt
hat, doch bemerkenswert, weil hier der Handlunsansatz ins Persönliche
gelegt wird und dieses Vorgehen eine kritische (Selbst)reflexion
darüber voraussetzt, in welchen Bereichen ich selbst möglicherweise
unverhältnismäßige Macht ausübe.

> Selbst als Anarchist möchte ich nicht blind
> in einen Antipol verfallen. Wir übersehen gerade, daß es nicht die
> Macht allein ist, die hier zur Disposition steht. Sie ist mit anderen
> Erscheinungen verwoben. Da gibt es hauptsächlich die Autorität, deren
> Verhinderung gar nicht machbar ist. Eine fachliche Autorität als Laie
> in Frage zu stellen wäre dumm und die Autorität der Erfahrung durch
> Alter ist auch unlöschbar. Autorität gibt einem aber auch eine
> gewisse Macht in die Hand. Hier kommt es meines Erachtens nicht auf
> ein Vermeiden oder ein Verhindern an. Den Ansatz des
> gesellschaftlichen Stellenwerts finde ich interessant.

> So kann eine gesellschaftliche Stellung, die mit einer Autorität
> verbunden ist, als eine Dienstleistung angesehen werden - die
> Autorität wird nicht ausgeübt, sondern nur dann gefordert, wenn sie
> gebraucht wird.

ACK! M.E. ein ganz wichtiger Punkt. Eine auf Fachkenntnis, Wissens-
oder Erfahrungsvorsprung gründende Autorität ist funktionell für die
Gruppe ungemein wichtig, es besteht nur die Gefahr, dass diese
Autorität durch andere, nicht sachbezogene Interessen
instrumentalisiert wird oder selbst sachfremde Ziele verfolgt. M.E.
ist da das Experten-Hearing ein taugliches Instrument, um solche
Autorität bestmöglich zu nutzen, ohne in Gefahr zu geraten, von ihr
instrumentalisiert zu werden.

Es geht in dieser Diskussion ja um Machkontrolle und -ich glaube es
war- C.O.B.A hat eingewendet, dass die Gründe für Machstreben auch in
der Anthropologie zu suchen sind. Das trifft zu, wenn man bedenkt,
dass Dominanzstreben evolutionär positiv selektiert worden ist: die
privilegierte Stellung in der Gruppe sichert auch einen bervorzugten
Zugriff auf die vorhandenen Ressourcen. Auch in der sexuellen
Selektion (d.i. der Selektionsdruck, den die Geschlechter aufeinander
ausüben) dürfte Macht positiv "gemendelt" (im übertragenen Sinn)
worden sein. Es ist für Frauen ohne Zweifel vorteilhafter, mächtige
Männer zum Partner zu wählen, weil eben der privilegierte Zugriff auf
die Ressourcen auch das Überleben der Nachkommen sichert. Das alles
hat mit der Stellung des Menschen als "Mängelwesen" (auch wenn's von
Gehlen ist;-) zu tun, d.h. der Mensch ist prinzipiell damit
beschäftigt, sich die nicht ständig verfügbaren Ressourcen zu
sichern, um zu überleben und Nachkommen zu haben.

Ich will nun nicht dem Sozialdarwinismus das Wort reden: ich glaube,
dass die kleinste überlebensfähige Einheit der Gattung Mensch die
Gruppe ist. Aber auch innerhalb der Gruppe gibt es bereits
"Verteilungskämpfe". Und die werden nicht selten durch Machtausübung
entschieden. Deshalb ist es wichtig, schon hier anzusetzen.

Ich kratze die Kurve: in der Diskussion um Machtkontrolle habe ich
nun beim Durchlesen dieses (+++)Threads des öfteren an das Konzept
der "Planungszelle" denken müssen. Ich persönlich mag das Wort
("Zelle"!) nicht, aber lasst es mich erklären:

Die Planungszelle ist ein von Peter Dienel, Soziologe an der
Bergischen Uni Wuppertal, entworfenes Instrument der
Bürgerbeteiligung. Es werden nach stochastischem Verfahren Bürger zur
Lösung eines kommunalen Problems einberufen. Diese etwa zwanzig bis
dreißig Leute entscheiden dann in Kleingruppen über einen Zeitraum
von einigen Tagen, wobei ihnen alle mögliche Hilfsmittel und
Materialien von außen (Moderation, Mediation, Expertenhearing, Infos
und Studien, Lokalaugenschein, usw...) zur Verfügung gestellt werden.

In der Planungszelle sind nun ganz interessante Instrumente zur
Machkontrolle verwirklicht: so wird etwa versucht,
Meinungsführerschaft in der Gruppe (wer viel mit Gruppen arbeitet,
weiß, dass das ein echtes Problem ist) durch wiederholte
Neuzusammensetzung der Kleingruppen zu verhindern. Auch steht ein
Mediator bereit. Meinungsbildung, die auf Bias und Beeinflussung
beruht, soll durch gezielte Außenbindung (durch eben den Mediator
oder Experten) verhindert werden.

Mir gefällt diese Modell, weil es auf Dirigismus weitgehend
verzichtet und den Menschen zutraut, ihre Probleme in (Klein)gruppen
selbst zu lösen. Es baut auf Vertrauen und nicht auf grundsätzlichem
Mißtrauen und Zwangsmaßnahmen auf. Meine Kritik an der
"Planungszelle" (abgesehen davon, dass der Begriff scheußlich ist)
erschöpft sich momentan darin, dass diese Einrichtung zur Zeit noch
in einem bloß randständigen funktionalen Zusammenhang genutzt wird.
Es kommt aber darauf an, sie ins Zentrum demokratischer
Entscheidungsprozesse zu stellen. Meine Utopie geht soweit, die
Planungszelle sogar in der Gesetzgebung zur Anwendung zu bringen.

Oki, tempus fugit, only 2 cent,
Grüße in die Runde sansculotte

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