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  • sansculotte

mehr als 1000 Beiträge seit 16.09.2001

*schwitz*

Ich wisch mir schonmal den Schweiß von der Stirn, weil Du eine ganz
schwierige Frage aufs Tapet gebracht hast: ob Dominanzstreben, Macht
und Hierarchie kulturell oder evolutionär bedingt sind (und ob das
überhaupt so eindeutig zu bestimmen ist).

Als ich das Vorpost geschrieben hab, hatte ich ehrlich gesagt
hauptsächlich die Thesen von Trivers und Geoffrey Miller im Sinn, die
überzeugend dargelegt haben, wie mächtig die sexuelle Selektion ist.
Der Dimorphismus zwischen den Geschlechtern verweist auf sehr
unterschiedliche Verhaltensstrategien, die u.a. mit einer
entwicklungsgeschichtlich bereits frühen Arbeitsteilung verbunden
sind. Ob diese Arbeitsteilung zur Ausbildung von Machtverhältnissen
geführt hat? Zwichen den Geschlechtern wohl eher zu
Kompetenzunterschieden, nicht aber zu Ausbeutungsverhältnissen.
Innerhalb eines Geschlechtes aber auch zu Konkurrenzverhältnissen.

Nach deinem Post ist mir dann natürlich Malinowski eingefallen, und
seine Untersuchung der Trobriander hat ja gezeigt, dass einige
-nunja- uns vertraute Konfliktursachen in matrilinearen
Gesellschaften keine Rolle spielen: etwa die Frage nach der
Vaterschaft, die bekanntlich die agrarischen Patriarchatskulturen bis
zur Besessenheiten beschäftigt und leider auch zu starken
Repressionen gegen Frauen führt. Weiters Mead und ihre Berichte von
Samoa und Bateson mit seiner Beschreibung der balinesischen
Gesellschaft. An allen diesen Ethnologen (zB Derek Freemans Kritik an
Mead) ist kritisiert worden, dass sie eventuell eigenen Projektionen
aufgesessen sind und die Selbstdarstellung der jeweiligen Kulturen
kritiklos übernommen haben. Bei Bateson fällt z.B. auf, dass die von
ihm beschriebene Balinesische Kultur - auch wenn sie anderen
Zielvorstellungen folgt als die westliche, z.B. einem Konzept der
Erhaltung des "Fließgleichgewichts" anstelle eines
Fortschrittskonzeptes - alles andere als friedlich und gewaltfrei
war: wer gegen die Normen des Gleichgewichts verstoßen hatte, wurde
mitunter mit grausamen Sanktionen bestraft.

Ich will damit nur sagen, dass ich eine gewisse Skepsis gegen die
ethnologischen Konzepte der und Berichte von den "friedfertigen und
hierarchiefreien Gesellschaften" hege, auch wenn ich viele
Darstellungen sehr verlockend finde (zB in Liedloffs "Suche nach dem
verlorenen Glück").

Natürlich führen Bevölkerungsdruck, sesshafte Lebensweise und
fortschreitende Arbeitsteilung zu zunehmender Hierarchisierung und
auch stärkerer Binnengewalt. Ob es allerdings ausreicht, diese
Lebensweise aufzugeben, um damit zugleich das Problem der
Hierarchien, des Bedürfnisses nach sozialer Distinktion und nach
Einflussnahme auf seine Mitmenschen zu lösen, bezweifle ich. (Obwohl
ich glaube, dass man hier entschieden viel Druck wegnehmen kann).

Beim anderen Punkt stimme ich Dir vorbehaltlos zu: die
Verfahrensweise der Neuzusammensetzung von Gruppen ist ein bloßes
Umgehen des Problems der Rollenverfestigung in Gruppen. Zu dem Zweck,
kurzfristig ein Sachproblem zu lösen, reicht es mE aus, in bezug auf
längerfristigen Kooperationsverhältnisse war Deine Schilderung der
Folgen dieser Strategie ja sehr eindrucksvoll.

Danke auch für Deine vielen interessanten Hinweise!
Gruß, s
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