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  • exkoelner

mehr als 1000 Beiträge seit 28.06.2012

Der Fairness halber: die Hälfte der Audi-Ingenieure stammten aus Zwickau

So ungefähr, harte Zahlen habe ich natürlich nicht, weil es dazu auch nie eine Studie gab. Es gab mal eine spannende Doku, die zeigte, was denn die Organisation Gehlen und andere Geheimdienste in den 50ern in Sachen DDR so gemacht haben. Die Glienicker Brücke hat es ja als "Agentenbrücke" durch diverse Publikationen zu relativer Berühmtheit gebracht, und dadurch auch die agile Agententätigkeit in und um Berlin gezeigt. Das ist aber wohl nur ein Teil der Geschichte. Wie schon bei der Wiedervereinigung 1990 die westdeutsche Wirtschaft ganz massiv von gut ausgebildeten Ingenieuren und anderen Fachkräften aus Ostdeutschland profitiert hat, was den lang anhaltenden stagnierenden Lohnpegel auch seit dem auch ein wenig erklärt, fand das Ganze wohl bereits in den 50ern massiv statt.

Und einige der Fluchthelfer-Organsiationen hatten eine klare Agenda - Fachkräfte und Ingenieure, ganz besonders beliebt die aus Zwickau. Dort saß nämlich vor dem Krieg die Horch-Werke, die später zu Audi und dann zur Auto-Union wurden, mit extrem gut ausgebildeten Auto-Ingenieuren. Ähnlich ging es mit Ingenieuren aus der Chemie-Wirtschaft rund um Buna, Leuna & Co.

Aus Sicht der DDR-Oberen kam man mit der Ausbildung von Fachkräften an den DDR-Unis und Unternehmen in den 50ern nicht nach, wie sie gleichzeitig durch Fluchthelfe-Organisationen in den Westen abflossen. Wie man noch heute an der Karl-Marx-Allee in Berlin-Friedrichshain sehen kann, war ja die System-Konkurrenz Kapitalismus versus Sozialismus gerade in den 50ern massiv und PR-Trächtig versucht worden seitens der Ostdeutschen DDR mit mehr Klasse für alle, versus Brotkrümel vom Tisch der Reichen, was man ja heute die Trickle-Down-Theorie nennt, real sozialistisch existierend zu widerlegen. Deswegen so ein Monster-Prestige-Projekt - ein mehrere Kilometer langer Arbeiter- und Bauern-Palast, für Erna und Ernst.

Die DDR geriet immer mehr unter Druck, u.a. auch wegem kontinuierlichen Abfluss von Fachkräften in den Westen. Das Projekt Karl-Marx-Allee stand für den Vorteil für den arbeitenden Mensch, auch endlich mal selbst "in einem Schloss" wohnen zu können, anstatt es nur für eine kleine Feudal-Elite zu bauen, um dann selbst im 3. oder 4. Berliner Hinterhof zu wohnen, als Synonym für viele andere sozialistische DDR-Projekte, die die positive Alternative gerade den westdeutschen Arbeitern zeigen sollte, geriet ins Stocken. Eine Theorie sagte, logisch - da Fehlallokation von Mitteln, weil Sozialismus und Planwirtschaft dumm ist, nicht funktioniert. Eine andere, weil der kapitalistische Westen alles in seiner Macht stehende getan hat, das zu verhindern - das jemals deutlich wird, das eine gleichberechtigte Räte-Republik mit sozialistischen Wirtschafts-Modellen jemals funktionieren kann. Und die DDR-Führung ist da wohl in die Falle getappt, denn 1953 gabs schon mehrere Jahrhunderte Kapitalismus, aber erst wenige Jahrzehnte Kommunismus, ganz besonders in Deutschland - und hat in Sorge, ihr Prestige-Projekt Karl-Marx-Allee geht schief, mitten im Sozialismus kapitalistische Methoden angewandt, und die wenigen noch im Osten verbliebenen Facharbeiter durch Arbeitsverdichtung (höhere Sollleistungen, Kürzung von Zulagen, längere Arbeitsschichten, etc.) drangsaliert ... die Mär erzählt, das die Bauarbeiter der Karl-Marx-Allee die Keimzelle des Aufstands vom 17. Juni 1953 waren.

Da gerade in der DDR Geheimdienste gut funktionierten, waren diese Zusammenhänge, Facharbeiter-Abfluss durch Fluchthelfer-Organisationen des Westens, die Probleme beim Aufbau des sozialistischen Arbeiter- und Bauern-Staats der DDR-Führung wohl klar bekannt.

Aber richtig, der Mauerbau war ein Fehler - da stimme ich dem Autor klar zu. Nur, wenn wir mal westdeutsche Nabelschau machen, was für, aus heutiger Sicht, geniale, tolle Ideen die Politiker des Westens ihrer Bevölkerung in den 50ern "angetan" haben, schneidet die DDR-Führung der 50/60er, die dann in den 60ern den Mauerbau organisierte, nicht mehr ganz so schlecht ab. Da haben de Gaulles mit seinem Algerien-Krieg (Die Polizei knüppelte sie nieder, warf Tote in die Seine - und vertuschte die Gewaltorgie jahrzehntelang. http://www.spiegel.de/einestages/angriff-auf-algerier-a-947361.html), der Vietnam-Krieg, etc. auch im Westen sich das politische Establishment Horror-Szenarien erlaubt, die bis heute unaussprechlich bleiben.

Asche auf unser aller Haupt! Und deswegen finde ich einen Artikel, der versucht darüber nach zu denken, was wäre wenn gewesen ... gut. Damit es in Zukunft nicht wieder so doof abläuft, wie in der Vergangenheit. Geschichtsunterricht macht doch keinen Sinn, wenn man aus den Dämlichkeiten der Vergangenheit nichts lernt, dann kann man sich ja den Quatsch gleich sparen ...

Nur um echt zu lernen, gehört die Ganze Geschichte dazu! Und deswegen gehe ich heute Abend mit ner Flasche Sekt bewaffnet an die Bösebrücke, dem Ort wo die deutsche Einheit faktisch passiert ist am 9.11. und treffe mich dort mit Lutz und Olaf, meinen nach der Wiedervereinigung neu gewonnen ostdeutschen Freunden, und Josef und Sascha, meinen seit den 80ern bestehenden Freunden ais Westdeutschland, wo ich ja auch her komme.

Prost!

http://www.deutschlandfunkkultur.de/migration-guter-fluchthelfer-boeser-schleuser.984.de.html?dram:article_id=278523

http://www.stasi-mediathek.de/medien/propagandavideo-zurueckgekehrt-interview-mit-enttaeuschten-ueber-rueckkehrer-in-die-ddr/

Edit: Links

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (09.11.2017 14:42).

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