chief mouser schrieb am 09.11.2017 12:12:
1. Illegale Einwanderer aus Mexiko sind keine Deutschen, die von Stalinisten daran gehindert wurden, sich in Deutschland frei zu bewegen. Diese elende Gleichsetzung von Dingen, die NICHTS, aber nun wirklich GAR NICHTS miteinander zu tun haben, disqualifiziert den Autor. Der korrekte Vergleich wäre, wenn in Florida die CPUSA die Macht übernommen hätte und amerikanische Staatsbürger aus Florida daran gehindert hätte, nach z.B. Texas zu reisen. Seien wir gottfroh, daß die CPUSA im Unterschied zur SED eine völlig kaputte Splittergruppe irrer Fanatiker ist und niemals in den USA einen Fuß auf den Boden oder gar in die Tür zur politischen Macht bekommen hat
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Kann man so sehen, ist aber so eindimensional gefährlich. Denn die Parallele ist die: Die Mexikaner sind primär Wirtschaftsflüchtlinge und genau das waren die Ostdeutschen bis weit in die 60er, vielleicht bis in die 70er Jahre auch. Es gab' schon in den 60ern die einzelnen Inhaftierten, die mit einem politischen Ticket flohen oder freigekauft wurden - aber dass die Stasi massenhaft vermeintlichen Feinden nachstellte ist erst in den 70ern in Fahrt gekommen. Vermutlich hat das tatsächlich auch mit der Verfügbarkeit entsprechender Technik zu tun...
2. Der Vorschlag mit 200 Mark Ausreisekaution wurde durch die Sklavenhändler der DDR grausame Wirklichkeit. Nur wollten die Stalinisten sehr deutlich mehr als 200 Mark. Und auch keine Ostmark, sondern DM. Die Stasi ließ nämlich einfach reihenweise Menschen verhaften und in Bautzen einknasten, woraufhin Westdeutschland diese Leute freikaufte. Allerdings eher für 20.000 bis 100.000 DM pro Person.
Was den Vorschlag der Kautionslösung ("200 Mark") betrifft, so zeigt sich einmal mehr die Unkenntnis des Autors: Die DDR-Bürger hatten volle Sparkonten. Sie verdienten ja diese Mark der DDR und weil man sich von dieser Schrottwährung nichts Vernünftiges kaufen konnte, wurde halt gespart. Also da hätten nach 1961 sehr viele 200 Mark auf den Tresen von Stasi & Volkspolizei gelegt, um auf Nimmerwiedersehen in den Westen zu verschwinden.
Da bin ich voll dabei - dieser Kautionsvorschlag ist an Blödheit kaum zu übertreffen. Aber: Die DDR hat nie jemanden eingesperrt, um mit ihm Geld zu verdienen - so eine Verkommenheit zu unterstellen verkennt vollkommen die Motivationslage. Im Gegenteil: Die DDR hat der BRD immer wieder richtige Straftäter untergeschoben, weil sie nicht genug passende politische Häftlinge hatten. Aber sie waren natürlich auch nicht unglücklich die Ganoven los zu sein. Zu einem Geschäft hat es nicht die DDR gemacht, sondern die BRD.
Ach ja: Diesen Sklavenhandel, den Staatsterrorismus der DDR, den kennen wir übrigens auch heute noch: Herr Erdogan macht es nämlich ganz genauso: Er verhaftet Deutsche in der Türkei um damit die Bundesregierung zu erpressen. Der will allerdings noch mehr Geld oder geldwerte Leistungen.
Es gibt da doch noch einen feinen Unterschied: Die DDR war der Meinung, sie verhaftet Staatsfeinde - die haben nie jemanden verhaftet, um Verhandlungsmasse zu machen. Bei Erdogan hat das eine andere Qualität. Aber richtig riesig ist der Unterschied nicht vor dem Hintergrund, dass für Erdogan jeder nicht-Erdogan offensichtlich ein Feind ist.
3. Es ist schlicht eine Lüge, daß der Westen sich "eingeigelt" hätte. Das Gegenteil ist richtig. Bis 1961 war es ja durchaus möglich, in den Westen zu fliehen, insb. über die S-Bahn in Berlin, vom sowjetischen in den amerikanischen Sektor. Diese Leute, die damals kamen, die wurden alle aufgenommen, sie wurden auf Lager verteilt und nach wenigen Wochen in Deutschland integriert und sind es seitdem. Dank des großartigen Ludwig Erhard und seinen ordoliberalen Wirtschaftsreformen gab es in Westdeutschland Geld & Jobs. In der DDR gabs nur Jobs. Aber kein Geld. Außer den seltsamen Blechchips, die sie da Münzen nannten und die nichts wert waren.
Nein - das ist der Kern meines Widerspruchs: Das ist die volle Wahrheit. Der kalte Krieg war nur vordergründig eine militärische Auseinandersetzung, er war im Kern - Reagan hat's mal selber so formuliert - ein Wirtschaftskrieg. Und der wurde vollkommen ohne Rücksicht auf so Weichei-Gedöns wie Humanität oder so geführt.
Und Adenauer wusste das genau. Er hat jede Möglichkeit zu einer frühen Wiedervereinigung (und die gab es) hintertrieben und stets die Konfrontation gesucht. Deswegen strahlten Brandt und die Ostpolitik der SPD so hell - weil die Absichten der CDU so finster waren.
Das Aufnahmen der Flüchtlinge war kein humanitärer Akt, sondern Teil der Strategie.
4. Wer ein ganzes Volk einsperrt, der begeht nicht nur ein abscheuliches Verbrechen, sondern er zeigt überdies seine geballte ökonomische Inkompetenz. Und jeder, der sich diesen Wahnsinn schönzusaufen versucht, dem wünsche ich einen Abenteuerurlaub in Bautzen. Danach werden keine dummen Sprüche mehr gekloppt.
In der Situation blieb der DDR - wie auch dem Rest des Warschauer Pakts - nichts anderes Übrig. Die Situation, in der die DDR das Ausbluten, den Braindrain, nicht anders stoppen konnte, haben inbesondere die Amerikaner, aber auch die CDU als brave Vasallen, nach Kräften gefördert. Das Kalkül war natürlich, dass es den Ostdeutschen irgendwann so dreckig geht, dass sie aufbegehren und die DDR implodiert. 1957 wäre die Rechnung schon fast aufgegangen, 1989 hat's dann geklappt. Allerdings auch nur, weil die Sowjetunion vorher faktisch die Waffen gestreckt hatte.
Und was Bautzen angeht: Vermeintliche Staatsfeinde besonders übel zu behandeln ist auch in der entwickelten Welt immer noch modern: Abu Ghraib, Guantanamo - und hier ist speziell Kurnaz zu nennen. Für den hat die Bundesregierung keinen Finger krumm gemacht - vermutlich weil sie dachten, es hätte schon keinen falschen getroffen.Oder die deutsche Kommunistin, deren Name mir nicht einfallen will, die in den 70ern in Südamerika schuldlos draufging, weil sich die deutschen Behörden weigerten hier auch nur mal anzufragen. Da gibt's durchaus Beispiele. Die Frage wäre jetzt, ab wievielen Unrechtstaten ein Staat doch ein Unrechtsstaat ist - reichen 5, müssen es 500 sein oder 5000? Da könnte man mal ein Excelsheet aufsetzen...
Oder: Mit welcher sagenhaften Sorglosigkeit haben die Justizbehörden Kachelmann oder Mollath oder die Steuerfahner aus Frankfurt fertig gemacht... Im Moment der Mißliebigkeit hat der Rechtsstaat sie vollkommen alleine gelassen.
Wer solche Prinzipien im poltischen Diskurs als Waffe einsetzen will, muss selbst tadellos sein. Oder wie's in der Bibel steht: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.
5. Ich kenne die DDR als Westbesucher in ihren letzten Zügen, Ende der 80er-Jahre.
Die ganzen Ossis haben ja immer Westfernsehen geglotzt und mich gefragt, ob im Aldi tatsächlich die Regale immer voll sind. Ich dann: "Ja natürlich. Vielleicht ist mal der Karton mit dem Kaffee leer, aber das wird sofort wieder eingeräumt, noch am selben Tag." Und da gabs tatsächlich so 150% SED-Schrullen, die gemeint haben, ich würde lügen, das wäre westliche Propaganda, die Regale könnten gar nicht immer voll sein.
Karl & Theo Albrecht haben es aber trotzdem immer geschafft, die Regale in ihren Läden einzuräumen: Magier des Einzelhandels.Ich war damals ein junger Mann und hab nur mit dem Kopf geschüttelt. Weil es mir so absurd vorkam
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Wir sind offenbar ähnlich alt, ich war allerdings seit Anfang der 70er Jahre bereits als Kind regelmäßig in der DDR. Meine Verwandschaft da war kein SED-Kader, aber auch keine Dissidenten - wobei: Als bekennende Katholiken gehörten sie auch nicht direkt zum Kern der DDR-Gesellschaft.
Das mit den vollen Regalen hat sie nicht interessiert. Im Spätsommer 1989 - 1988 und 1989 gab es zwei Dutzend Brandanschläge auf Asylbewerberheime - musste ich eher erklären, warum der Rechtsextremismus in der BRD so fröhliche Urstände feiern kann. Im Nachhinein wirkt das fast niedlich...
Wer sich mit Geschichte auseinandersetzt, muss in der Lage sein, sich mit vielen Wahrheiten auseinanderzusetzen. Die Briten haben doch Hitler das Sudetenland 1938 nicht geschenkt, weil sie Angst hatten oder weil's sonst keiner wollte, sondern weil 1938 Krieg ein akzeptiertes Mittel politischer Auseinandersetzung war und die Briten nicht gewusst hätten, wie man die Deutschen davon abhält. Der gleiche Geist hat auch den Kalten Krieg am Kochen gehalten.
Der Mauerbau wurde auch international als legitim und weitgehend alternativlos gesehen. Niemand hat hier ernsthaft interveniert - 1961 hat man das einfach als der politischen Weltlage geschuldet abgehakt. Auch da wieder die Wahrheit in der Zeit: Die Mehrheit der DDR-Bürger war zunächst mit dem Schließen der Grenzen gar nicht unzufrieden, weil sie sahen, dass überall die Ärzte, Verwaltungsfachleute, Lehrer stiften gingen und damit Löcher in die Gesellschaft rissen, die sich nicht einfach schließen ließen. Reisen war 1961 kaum ein Thema und der Unterschied zwischen BRD und DDR noch nicht so ausgeprägt, dass man sich als DDR-Bürger deklassiert fühlen musste.
Da ist wenig Raum für apodiktische Menschenrechtsdiskussionen - und daraus müsste man lernen, dass das heute genauso gilt, aber genauso mißachtet wird.