Mein Eindruck bei der Betrachtung unserer Außenpolitik und der unserer Wertepartner ist der, dass das Konzept der Glaubwürdigkeit/Reputation bei der Bewertung von Politik nicht vorkommt. Zur Verdeutlichung, was ich meine, als Beispiel der Afghanistankrieg:
- der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen Afghanistan hat die Glaubwürdigkeit/Reputation der Angreifer, internationale Rechtsnormen zu respektieren, beschädigt.
- damit nicht genug, wurde der Krieg auch noch verloren. Ohne die genauen Ziele der Invasion zu kennen: Ich denke man davon ausgehen, dass sie nicht erreicht wurden. Das hat neben dem Punkt oben auch die Glaubwürdigkeit in die Fähigkeiten zur Erreichung von Zielen beschädigt.
Also eigentlich das maximale Reputationsdesaster - dummerweise mit Ansage und als wahrscheinliches Szenario auch schon vor der Invasion absehbar.
(Von den kontrafaktischen irakischen Massenvernichtungswaffen und unilateral gekündigten Verträgen z.B. mit Iran will ich gar nicht anfangen.)
Und das ist ein Punkt, den ich nicht verstehe. Mir erscheint es hochgradig irrational und selbstschädigend, so zu handeln.
Nun zum Artikel:
Interessant, dass das Glaubwürdigkeitsargument im Syrienkrieg doch vorkam. Allerdings habe ich - in Anbetracht der Reputation des Absenders (also der USA) - eine andere Deutung:
- die USA wollten in Syrien intervenieren, müssen das aber der Öffentlichkeit verkaufen
- deshalb definiert Obama (ohne Not!) eine rote Linie, von der er weiß, dass sie überschritten werden wird. (Ob tatsächlich oder vermeintlich ist egal.)
- Überraschung: sie wird tatsächlich überschritten. Jetzt muss Obama intervenieren, will er nicht unglaubwürdig sein.
(- ebenfalls überraschend: die Intervention fand schließlich nicht statt. Danke für die Infos dazu im Artikel.)
Wenn meine Deutung stimmt, kam auch hier kein Gedanke an Reputation bei der Planung vor. Man brauchte sie nur für das Narrativ, die Militärintervention zu rechtfertigen.
Noch mal: Das ist ein Punkt, den ich nicht verstehe. Das Konzept der Reputation ist sehr fundamental und wird auch von Kindergartenkindern verstanden. In unserer Außenpolitik scheint es aber nicht vorzukommen.