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  • Der Psychater

407 Beiträge seit 05.04.2020

Unterschiedliche Kriegsziele - unterschiedliche Interessen

Ischinger scheint mir nicht altersmilde, sondern eher realpolitisch unterwegs zu sein.

Es gibt offensichtlich ganz unterschiedliche Interessen und Kriegsziele im Westen. Da sind die Falken, wozu ich Teile der USA, die Ukraine, das Baltikum, Polen und weitere zähle. Diese möchten, dass die Ukraine sämtliche Gebiete zurückerobert, Mitglied der NATO wird. Moskau soll eine deutliche Niederlage erleiden, um Putin erheblich zu schwächen, bishin zu seinem Sturz.

Demgegenüber stehen Scholz, Macron und weitere EU-Staatspräsidenten, die skeptisch sind, was die Schwächung Russlands betrifft. Denn erstens ist es ungewiss, ob die Kriegsziele der Falken sich bis etwa Ende 2023, spätesten Mitte 2024, erreichen lassen - das ist ja in etwa der Zeithorizont, indem das realisiert weden müsste angesichts der Wahlen in den USA. Zweitens birgt das Ziel der Falken das Risiko weiterer Eskalationen. Das Kriegsziel der Gruppe um Macron/Scholz scheint die Aufrechterhaltung der Souveränität der Ukraine und eine Rückkehr zum Status-quo ante zu sein.

Anders jedoch als Scholz es im März 2022 formuliert hatte, zwingen die Sanktionen Moskau nicht in die Knie. Das liegt vor allem daran, dass außerhalb der NATO-Staaten und ihrer Verbündeten die Welt den russischen Angriffskrieg zwar nicht als gerecht, aber doch als Reaktion auf die NATO-Expansionswünsche begreift. In Asien, Afrika, Lateinamerika will niemand Opfer bringen für NATO-Strategien, die die Welt in Geiselhaft nimmt. Dieser Riss kann insofern eine Eskalation beinhalten, als dass Moskau von Staaten dieser großen Gruppe Waffenhilfe bekommt, wodurch der Krieg verlängert würde und die Kriegsziele der Falken durchkreuzt würden.

Dass die Eskalation befürchtet wird, erkenne ich daran, dass Washington seine Drohungen verschärft, sowohl hinsichtlich der unterlaufenden Sanktionen, aber auch hinsichtlich von Waffenlieferungen an Moskau.

Ischinger scheint diese Gemengelage zu begreifen. Seine 'Milde' wäre dann darin zu sehen, dass er die Falken davon abzubringen versucht ohne Rücksicht ihren Stiefel durchzuziehen. Die Welt sollte davon überzeugt werden, dass es Moskau gar nicht um die NATO geht, sondern um völkischen Imperialismus. Das wäre im Grunde auch das entscheidende Druckmittel des Westens bei Verhandlungen.

Mich wundert es schon, dass Wagenknecht/Schwarzer und ihre Unterstützerinnen völlig davon überzeugt zu sein scheinen, dass es Moskau bloß um die NATO-Frage geht. Nach meiner Beobachtung, die sich auf die Ereignisse in Belarus sowie auf Putins Forderungen vor 2022 und seine Kriegserklärung vom Februar 2022 beziehen, sowie der Tatsache, dass für Moskau der NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens vorhersehbar war, scheint die NATO-Frage für Moskau eher beiläufig zu sein.

Ischinger würde einen wichtigen taktischen Punkt machen, wenn er Moskau in dieser NATO-Frage stellen könnte. Nach meiner Einschätzung würde Moskau nicht auf das Angebot eingehen, im Tausch gegen den Status quo ante inklusive Waffenstillstand, Truppenrückzug und Friedensverhandlung auf einen NATO-Beitritt der Ukraine zu verzichten. Daraufhin müsste sich China, Indien, Brasilien und andere Staaten (sowie Wagenknecht/Schwarzer) ganz neu positionieren.

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