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  • DJ Holzbank

mehr als 1000 Beiträge seit 03.09.2011

"... in Millionen Jahren Evolution auf Konkurrenz ..."

Mit Georg Schusters Ausführungen bin ich - wieder einmal - größtenteils einverstanden und deshalb umso mehr enttäuscht darüber, dass er über die von ihm zitierten Naturalisierungen der gesellschaftlichen Beziehungen so kleinlaut hinweggegangen ist.
Also versuche ich einmal darauf zu antworten.

Es geht um diese beiden Zitate:

"Die ganze angebliche Frauenbenachteiligung basiert einzig und allein auf der Tatsache, dass Frauen im beruflichen Wettbewerb in der Regel nicht mit Männern mithalten können, (…) weil der Mann in Millionen Jahren Evolution auf Konkurrenz, Kampf, Fokussierung und Wettbewerb gepolt wurde." (Pixelpusher)

"Natürliches Konkurrenzverhalten der Männer, (…) Revierkampf und Beute sind die Konstanten, die gab es auch schon im wirklichen Steinzeitkapitalismus." (Ramjet)

Die Vorstellung, dass die hierarchischen Verhältnisse im Kapitalismus (und letztlich jeder Klassengesellschaft) den "natürlichen Verhältnissen der menschlichen Natur" oder dergleichen entstammen macht den Kern "rechten Denkens" - sofern es so etwas gibt - aus und deshalb lohnt es sich darauf einzugehen.
Neben der Vorstellung von einer "natürlichen Hierarchie innerhalb der Gesellschaft", die im übrigen auch die sogenannten Liberalen vertreten, trifft man in diesem Zusammenhang außerdem auf die Vorstellungen einer "natürlichen Hierarchie zwischen den Geschlechtern" und einer "natürlichen Hierarchie zwischen den Rassen".
Kurz, der Mensch ist diesen Vorstellungen zufolge des Menschen Wolf und zwar immer und überall. Konkurrenz halt auf allen Ebenen, weiß man doch. Und zwar angeboren.

Am einfachsten lassen sich diese Vorstellungen m.E. per reductio ad absurdum parieren.
Warum findet man Millionäre selten an Grabbeltischen - wo es ja was zu holen und zu konkurrieren gibt, warum wird nicht jeder Wohlbetuchte auf offener Straße überfallen, warum muss man die sog. Arbeitnehmer oft genug zum Streiken treiben und warum beschützen die mäßig bezahlten Polizisten lieber die Wohlbetuchten, als sich Aufständischen (oder eben Räubern) anzuschließen?
Irgendwas stimmt doch da nicht mit den lieben "Konkurrenzgenen"?

Der m.W. erste Autor, der behauptete, dass der Mensch des Menschen Wolf sei, war Thomas Hobbes - interessanterweise unmittelbar vor der englischen bürgerlichen Revolution. Hobbes behauptete, dass der Mensch diesen "Naturzustand" nur habe einhegen können, indem er - per Vertrag - in die Etablierung eines Staates einwilligte, der seine wölfischen Regungen ebenso ahnden würde wie die der anderen Menschen-Wölfe.
Diese klassische Behauptung hat offenkundige Schwächen:
Zunächst: Wie können Menschen ihre angebliche Natur, über die sie ja keine Kontrolle haben können, per Vertrag ablegen oder auch nur einhegen?
Zweitens: Die naturnahe Urgesellschaft war eben kein "Steinzeitkapitalismus", wie sich Konkurrenzsubjekt Ramjet einbildet, sondern die Urkommune.
Drittens: Eine konsequent zu Ende gedachte menschliche Gesellschaft auf der Basis von starken "Konkurrenzgenen" könnte nur zu einem Ergebnis führen. Der verbissen geführte Konkurrenzkampf in alle Richtungen müsste paradoxerweise zu einer Gleichverteilung aller Resourcen führen (im Extremfall bliebe nur eine Person übrig), weil dies der Zustand wäre, der die geringsten Anlässe böte, dem jeweils anderen ans Leder zu gehen.
Offensichtlich ist das jetzt nicht der Fall und war es auch nicht zu Hobbes Zeiten. Aber Hobbes lieferte immerhin die erste Begründung der Klassengesellschaft, die sich nicht auf Gott berief, sondern eben auf "die Natur".

Tatsächlich basieren menschliche Gesellschaften auf Kooperation und Konkurrenzanlässe ergeben sich aus Situationen, die durch die gesellschaftlichen Verhältnisse - speziell die Eigentumsverhältnisse - geschaffen werden. Insbesondere die im Kapitalismus forcierte soziale Unsicherheit treibt die Menschen regelrecht dazu, sich aus Gründen der Vorsorge lieber "einen größeren Happen abzubeißen", als eigentlich nötig wäre. Das wird zur _zweiten_ Natur und fertig ist das "naturwüchsige" Konkurrenzsubjekt.
Aber für self-made Konkurrenzsubjekte vom Schlage der oben zitierten Pixelpusher und Ramjet, die auf eine seit Millionen Jahren andauernde "Konkurrenz-Schulung" zurückblicken wollen, ist eine Art der "Konkurrenz" merkwürdigerweise verboten, nämlich die um das Eigentum der Kapitalisten. Das soll man sich nämlich nur schnappen dürfen, wenn man selbst ein großer konkurrierender Kapitalbesitzer ist, ansonsten lautet die aus ihrem Munde zu hörende Diagnose: "Sozialneid".
Sehr merkwürdige "Konkurrenzgene" liegen also demnach "in der Natur des Menschen", sehr wählerische zumal, die einem anscheinend permanent klar machen, dass man nur mit seinesgleichen konkurrieren darf.

Auch Kapitalismus funktioniert also, so wie der nunmal funktioniert, weil wir nicht einmal unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen vor allem Konkurrenzsubjekte sind. Und vielleicht ist das insofern sogar bedauerlich.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (23.01.2021 21:35).

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