Vielen Dank für den konstruktiven Beitrag!
Die zum Teil historischen Zahlen und Annahmen zur vermuteten Durchseuchung sind durchaus angreifbar und mir ist bewusst, dass hier Unsicherheiten bestehen. Einige Punkte möchte ich zum besseren Verständnis gerne näher erläutern:
1. Dass kalte Wintertemperaturen (gemeint ist, dass die Durchschnittstemperatur pro Woche unterhalb der in dem Monat zu erwartenden durchschnittlichen Tagesminimumtemperatur liegt) einen Einfluss auf die Sterblichkeit haben, ist seitens des EuroMOMO-Netzwerkes in mehreren Publikationen erörtert. Der Winter 69/70 war außergewöhnlich kalt und schneereich, so dass hier ein starker Einfluss zu erwarten ist. Meine Schätzung, dass die Temperaturen 40% der Übersterblichkeit bedingt haben, beruht auf den Daten aus Zitat 2 und einem groben Vergleich der Wintertemperaturen der hier untersuchten Jahre mit 69/70. Würde man das FluMOMO-Modell korrekt anwenden, müssten minutiös die historischen Wetterdaten studiert werden, was höchstwahrscheinlich keinen großen Unterschied bei den Ergebnissen machen würde.
2. Die Quellen für die Übersterblichkeit 57/58 und 69/70 (Zeitungsartikel) sind schlecht überprüfbar und die Art und Weise der Berechnung der Übersterblichkeit ist nicht aufgeführt.
3. Die Annahme einer Herdenimmunität am Ende der Epidemie ist nicht belegt. Die zitierte Übersichtsarbeit (Zitat 72, 84, 86) bezieht aber neben Berechnungen zur Basisreproduktionszahl auch solche zur effektiven Reproduktionszahl (überwiegend in UK) ein, deren Werte sich kaum unterscheiden. Von 57/58 ist mir zudem ein Radiobeitrag bekannt, der berichtet, dass der Schulunterricht lediglich für Schulklassen mit einem Krankenstand >50% ausfiel. Dies zeigt, dass Eindämmung zumindest 57/58 kaum eine Rolle gespielt hat. In einigen Ländern, die bereits 68/69 stark getroffen wurden, gab es zudem in der Folgesaison kein ausgeprägtes Krankheitsgeschehen mehr.
Ich postuliere daher, dass die Eindämmungsmaßnahmen damals wenn überhaupt nur wenig effektiv waren und die berechneten Reproduktionszahlen durchaus herangezogen werden können, so dass eine annähernde Herdenimmunität im Frühjahr 70 möglich erscheint.
An anderer Stelle (Zitat aktuell nicht verfügbar) habe ich eine Übersterblichkeit von 60.000 für die Saisons 68/69 und 69/70 für ganz D gefunden. Bei postulierter Herdenimmunität ergäbe dies eine IFR von 0,17 wenn wir 75% der Übersterblichkeit der Grippe zuschreiben ((0,75x60.000)/(0,44×60.000.000)).
Ich halte anhand dieser Zahlen eine IFR von maximal 0,2% für die Hongkong-Grippe in D für möglich.
Die allgemeine Literatur gibt CFR von <0,2% (WHO) bzw. 0,1% (Quelle:
https://jech.bmj.com/content/62/6/555).
Da die IFR bekanntermaßen niedriger als die IFR liegt, halte ich auch wegen dieser Quellen eine IFR von >0,2 für D für unwahrscheinlich.
Nichtdestotrotz bleibt es recht spekulativ.
MfG,
W. Wallis