Ich halte es für gewagt, die AfD mit demokratischen Parteien auf eine Stufe zu stellen, wie es der Autor getan hat, denn sie ist keine. Sie ist eine durch und durch rechtsradikale, rassistische und neofaschistische Partei, die unsere Demokratie abschaffen will. Das unterscheidet sie grundlegend von allen anderen relevanten Parteien bis, vielleicht, auf die Linke. Daher muss man sie mit anderen Maßstäben messen.
Zweitens sind die meisten politisch zuordenbaren Gewalttaten nach den neuesten Zahlen des BMI (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/05/pmk2022.html) von Tätern aus dem rechten Milieu begangen worden. Die Gefahr geht also weit mehr vom rechten Rand aus als vom linken, was ja auch die rechten Morde der vergangenen Jahre (Halle, Hanau, Kassel) gezeigt haben.
Wir müssen aber nach den Gründen für den Aufstieg der Faschisten und ihrer Schläger reden. Wir müssen auch darüber reden, warum Jugendliche ihr politisches Heil bei Nazis und religiösen Fanatikern suchen:
In den vergangenen Jahrzehnten, in denen die Bundesrepublik entweder von einer Großen Koalition unter Führung der Union oder einer Koalition unter Führung der SPD regiert wurden (überwiegend natürlich der Großen Koalition), sind die Reallöhne weniger stark gestiegen als die Produktivität (das war erstmal in den 80er Jahren so, siehe https://de.statista.com/statistik/daten/studie/249537/umfrage/historische-entwicklung-von-produktivitaet-und-realloehnen-in-deutschland/). Die dadurch erzielten Gewinne sind den Reichen und Superreichen zugute gekommen, nicht mehr den Arbeitnehmern. Die gesellschaftliche Schere hat sich geöffnet.
Gleichzeitig wurden, nachdem die SPD unter Schröder dazu den Startschuss gegeben hatte, durch die Große Koalition immer mehr Lasten auf die Schultern der kleinen Leute verteilt, während zur gleichen Zeit die sozialen Sicherungssysteme unter dem Mantra des Neoliberalismus abgebaut wurden. Heute sind die Lasten und Risiken für die Normalbürger im Verhältnis zu den 70er Jahren wesentlich höher.
Um von diesem Umstand abzulenken, schüren insbesondere die Union und die FDP, zusammen mit den Faschisten, die Angst von Zuwanderern und Arbeitslosen und stellen sie als arbeitsscheue Verbrecher hin. Dies wird von unbedarften Geistern, die die dahinterliegenden Vorgänge nicht verstehen und mangels Bildung oft auch gar nicht verstehen können, gerne angenommen, denn es ist einfacher, einer Gruppe von Sündenböcken die Schuld zuzuweisen, als die Systemfrage und die Frage der eigenen Rolle im System zu stellen.
Gleichzeitig wird jede Innovation, die den Status Quo in Frage stellt (siehe Erneuerbare Energien und Elektromobilität) und etablierte Geschäftsmodelle der Großindustrie bedroht, abgewürgt. Engagement ist nur dann erlaubt, wenn der Status Quo nicht verändert wird.
Die aktuelle Ampelkoalition ist die erste seit dreißig Jahren, die versucht, diese Situation wenigstens teilweise aufzubrechen. Ja, sie sind handwerklich ungeschickt. Ja, nicht alles, was sie anpackt, ist richtig und gelungen. Aber im Vergleich zu der bleiernen Lähmung, in die die Union unser Land geführt hat, ist sie immer noch das kleinere Übel.
Wenn also die Situation sich ändern soll, und das muss sie, dann müssen wir daran gehen, die Änderungen und Blockaden der letzten dreissig Jahre aufzubrechen und die gesellschaftliche Schere und deren Ursache, die ungleiche Verteilung der Lasten und Produktivitätsgewinne, zu verringern. Außerdem müssen wir uns dringend mehr darum kümmern, die Integration von Zuwanderern zu verbessern und zu einem gesunden Verständnis und Verhältnis zur Zuwanderung zu kommen. Wir brauchen diese Zuwanderung, um unser Renten- und Sozialsystem zu finanzieren, auch wenn die Rechten die Realität ignorieren und von rassereiner Autarkie träumen.
Für die SPD heisst das, dass sie sich einerseits endlich beim deutschen Volk für die Hartz IV-Gesetze entschuldigen und andererseits mit der Korruption in den eigenen Reihen (Stichwort Cum-Ex) aufräumen muss. Vorher ist sie nicht glaubwürdig.