Zunächst einmal vielen Dank dafür, dass du dir die Zeit genommen hast den verlinkten Beitrag zu lesen und so ausführlich zu diskutieren. :)
Marcel Leutenegger schrieb am 17.01.2021 07:03:
1) Er hat damit Unsicherheit und Mißtrauen in seinen Anhängern erweckt, dass es überhaupt faire und demokratische Wahlen in den USA gibt;
2) Diese Zweifeln schließen jede bis dato abgeschlossene Wahl, aber auch alle zukünftigen Wahlen mit ein;Wer lesen konnte, stellte 2016 und 2020 fest, dass der DNC unliebsame eigene Kandidaten durch Betrug und Einschüchterung vom Präsidentenamt fernhält. Der RNC versuchte 2016 genau das gleiche, wurde von Donald Trump aber ausmanövriert. Die Prämisse, dass die Wahlen in den USA fair seien, ist zudem schon alleine durch die enormen Wahlkampfbudgets und die einseitige Medienbeschallung nicht zu halten. Mit Demokratie hat das nichts zu tun, wie selbst US-Forschungsinstitute bescheinigen. Die USA ist laut Verfassung eine Republik, effektiv eine Oligokratie.
Diese Erkenntnis haben US-Bürger nicht erst seit Donald Trump und sie ist auch nicht seine Schuld. Er ist auch deswegen Präsident geworden, weil die Bedauernswerten den Gutbetuchten ihre Stinkefinger ins Gesicht halten wollten.
Das Parteiensystem und die großen Geldgeber für den Wahlkampf sind sicherlich ein Mittel Einfluss auf die Wahl zu nehmen und da hast du sicherlich Recht, dass dies in den USA schon seit langem geschieht. Das erfolgt aber auf der Basis der geltenden Gesetze und es handelt sich hierbei "nur" um Einflussnahme, während die Wähler immer noch frei und nach eigenem Willen entscheiden können. Das aufgrund der vom Parteiensystem getroffenen Vorauswahl oft nur die Wahl zwischen 2 schlechten Alternativen übrigbleibt ist aber etwas, was wir aus anderen Demokratien auch in der einen oder anderen Form kennen. Die Macht der Parteien ist überproportional groß und deren relativ kleine Größen im Vergleich zur Gesamtheit der Bevölkerung macht sie zu idealen Ansatzpunkten für die politische Einflussnahme durch reiche Interessen- bzw. Lobbygruppen.
Selbst Cambridge Analyticas Einsatz für Ted Cruz und Donald Trump 2016 zur Optimierung der Auftritte in sozialen Netzwerken dürfte von diesen Gesetzen gedeckt sein, obwohl ich deren psychographics genannten Ansatz zur Vorhersage der Reaktionen von Zielgruppen auf der Basis von psychologischen Profilen von bis zu 230 Mio Amerikanern schon sehr bedenklich finde.
Da ist er höchstens der Überbringer der schlechten Nachricht. Es ist allgemein bekannt, dass Wahlmaschinen nicht manipulationsssicher sind, aber trotzdem (oder gerade deswegen) grossflächig eingesetzt werden.
Trump hatte sich mit seinen Vorwürfen insbesonders auf die Stimmen bezogen, die per Briefwahl abgegeben wurden. Dies hat er übrigens bereits im August 2020 noch vor der Wahl getan.
Manipulationen an den Wahlmaschinen in den Umfang von Zehntausenden von Stimmen wären wahrscheinlich auch viel einfacher zu beweisen gewesen.
4) Gleichzeitig hat er den Gerichten abgesprochen unparteiisch und faire Verhandlungen abzuhalten und die vorgelegten Beweise im Angesicht der existierenden Gesetze zu begutachten und entsprechend zu würdigen;
Etliche Beschwerden gegen das Wahlverfahren und die Auszählungen wurden von Gerichten abgebügelt, weil die Anwälte Trumps nur das Resultat anfochten, statt die Wahlleiter und Auszähler zu verklagen. Dieser Teil seiner Beschwerden wurde nicht geprüft, weil Trump die Berichtigung des Resultats einforderte, statt Rache zu nehmen.
Trump allerdings hat hier von aktiver Wahlmanipulation und Fälschung von Stimmen gesprochen. Hier handelt es sich also um Straftaten und die hätte sein Anwaltsteam vor den Gerichten zweifelsfrei belegen müssen.
Ob das von den Anwälten gewählte Vorgehen das richtige war, kann ich natürlich nicht beurteilen, andererseits hat Trump ja die entsprechenden Geldmittel nur die Besten ihres Fachs für sein Anliegen aufzubieten. Wenn also denen es in den 60 Verfahren nicht möglich war auch nur ein einziges zu gewinnen, dann erweckt das schon den Anschein, als ob die Anschuldigungen haltlos waren.
Der Generalverdacht, der hier auf alle beteiligten Richter durch diese Anschuldigungen geworfen wird, egal welcher Partei sie nahestehen, ist bei der Menge der geführten Verfahren schon ein wenig weit hergeholt. Bei 3 oder 4 Verfahren hätte man den Verdacht einer Beeinflussung der Richter noch als plausibel begründbar ansehen können, aber bei 60 Verfahren in unterschiedlichsten Bundesstaaten, von denen einige sogar republikanische Gouvaneure haben und dazu der republikanisch dominierte Supreme Court, da zieht dann doch eher Ockhams Rasiermesser und das lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass die Richter nicht beeinflusst wurden und beim besten Willen keine Manipulationen in dem unterstellten Ausmaß finden konnten.
5) Er hat damit Unsicherheit und Mißtrauen in seinen Anhängern erweckt, dass es so etwas wie ein funktionierendes Rechtssystem in den USA gibt.
Falls er recht hat, steht ihm die Offenlegung zu.
Das Rechtssystem hätte jetzt eine perfekte Gelegenheit, seine verfassungskonforme Funktion unter Beweis zu stellen. Man könnte beispielsweise alle Wahlzettel auf öffentlich einsehbaren Servern zur Verfügung stellen, damit Hinz und Kunz die Auszählung eigenständig nachvollziehen können.
Diese Idee finde ich gut.
Das sollte man eventuell so oder so weltweit zur Pflicht machen zusammen mit der Wertung wie dieser Wahlzettel gezählt wurde.
Das grundlegende Problem in den USA liegt aber meiner Meinung nach im fehlenden Meldewesen. Daher müssen sich Wähler vor der Wahl erst registrieren, was natürlich doppelte Stimmabgaben in unterschiedlichen Wahlkreisen oder gar Bundesstaaten ermöglicht.
Wahlbetrug ist in den USA auch aufgrund der damit verbundenen Gefängnisstrafen sehr selten. Nach Untersuchungen des Brennan Center bei mehreren Wahlen in der Vergangebheit waren lediglich 0,0025% der abgegebeben Stimmzettel gefälscht, bei den per Briefwahl abgegebenen Stimmen lag dieser Wert sogar noch niedriger.