Der Internationale Strafgerichtshof hat die Chance, Recht und Rechtsempfinden wiederherzustellen.
Allerdings nur, wenn er, wie es sich für ein Gericht gehört, unabhängig von der Person urteilt.
Der Autor mag begrüßen, wenn der Chefankläger "mit dem sachlich-protokollarischen Ton [bricht ... und] das Entsetzen über die Eskalation im Nahen Osten in Worte zu fassen versucht."
Dabei übersieht er, dass in der Erklärung des Herrn Khan Emotionen und Einzelschicksale nur bei der Verbrechen der Hamas eine Rolle spielen. Die Vorwürfe gegen israelische Akteure sind auf ein Minimum zusammengestrichen und sachlich-protokollarisch vorgetragen. Aus der Erklärung wird nicht klar, ob Herr Khan überhaupt im Gazastreifen, im Westjordanland und in Netanjahus Internierungslagern war, um dort mit den Opfern von Siedler- und Armeegewalt zu sprechen, mit "inhaftierten" Palästinensern, mit Ärzten, deren Krankenhäusern bombardiert und von Soldaten gestürmt wurden, mit Eltern, die ihre Kinder und Kindern, die ihre Geschwister und ihre Eltern verloren haben. Oder ob sich, wie die eingebetten Journalisten, von israelischen "Betreuern" zu Interviews und Tatorten hat führen lassen, um sich das von Israel gewünschte Bild zu machen.
Es ist zu hoffen, dass der Chefankläger und das Gericht die Chance nutzen, Recht und Rechtsempfinden wiederherzustellen. Zu befürchten ist allerdings, dass sie nur das absolute Minimum dessen tun, was angesichts der neuen Kräfteverhältnisse unausweichlich ist, damit die Länder des Südens und des Ostens sich nicht vom IG verabschieden und ihre eigene, nicht mehr vom Westen dominierte internationale Justiz aufbauen.