Heute morgen konnte ich mein Versprechen, Ihren Artikel über Kybernetik zu lesen, wahrmachen. Der Schlaf hat meine leeren Energiezellen wieder aufgefüllt (oder die vollen Speicher geleert, wie auch immer). Als ich bei Ralf Lankau's »... degradieren Kybernetiker den Menschen zu einer Fehlkonstruktion ... sind Maschinen ohnehin die besseren Menschen ...« angekommen war, wurde ich sofort an das Nekrophilie-Konzept von Erich Fromm erinnert. Fromm beschränkt sich bei seiner Nekrophilie-Definition nicht, wie es noch immer üblich scheint, auf die perverse Angewohnheit, sexuelle Handlungen an oder mit Leichen auszuführen, sondern umschreibt ihn als gennerelle Liebe zum Toten, also zum Nicht-Lebendigen. Dieses Bild war mir gleich beim ersten Mal, als ich Fromm's Anatomie der menschlichen Destruktivität las, sofort verständlich: Als unerwünschtes Kind, das bis in die mittlere Jugendzeit regelmäßig für seine Äußerungen von Lebendigkeit und für seine Autonomiestrebungen von den Eltern verprügelt wurde, konnte ich schon damals, es muß so um das zwölfte oder vierzehnte Lebensjahr herum gewesen sein, meine Eltern als dem Leben abgewendet, dem Lebendigen irgendwie feindlich gesinnt, der Liebe entsagte Automaten erleben und wahrnehmen – nicht so deutlich, wie ich das heute hier schreiben kann, aber doch instinktiv, so daß ich mir damals eine weitere Tracht Prügel einhandelte, indem ich meinen Eltern offen und direkt ins Gesicht sagte: »Ihr liebt mich doch gar nicht!«. Die Prügel stellten sozusagen die Bestätigung dar. Ich weiß nicht mehr, was ich damals gerade gelesen hatte, es muß wohl irgendwas gewesen sein, das mir die Augen über den wahren Begriff von Liebe und Zuwendung öffnete, nämlich echte Beziehung zu einer tatsächlich selbst empfundenen und wahrgenommenen Sache oder Person. Allzu scharf sind die Erinnerungen daran jedoch nicht mehr ... doch zurück zur Liebe zum Toten – und Technischen:
Im Unterkapitel Nekrophilie und die Vergötterung der Technik verweist Fromm auf Lewis Mumfort, der den Zusammenhang aufgezeigt hat,
der zwischen der Destruktivität und den machtzentrierten »Megamaschinen« besteht, wie sie in Mesopotamien und in Ägypten vor mehr als fünftausend Jahren existierten, in Gesellschaftssystemen, die – wie Mumfort darlegt – viel mit den Megamaschinen des heutigen Europa und Nordamerika gemeinsam haben. (in der entspr. PDF-Datei auf Seite 399)
http://www.irwish.de/Site/Biblio/Fromm.htm
Deshalb hab ich in meinen Beiträgen mehrfach erwähnt, daß ich davon ausgehe, daß die Entmenschlichung, die Reduzierung des lebendigen Bezuges zum Leben, die heute quasi schon ab Geburt oder sogar noch früher beginnt, bereits seit Jahrtausenden durchgeführt wird, vorgeblich zum Besten des Opfers, das man behauptet, auf die Erfordernisse der jeweiligen Gesellschaft vorbereiten zu müssen. Tatsächlich aber ist es dem bereits von ihrem inneren Erleben stark enfremdeten Eltern ein regelrechtes Bedürfnis, in ihrem Kind all das auszumerzen und/oder unter Verschluß zu halten und so an der Entwicklung und Entfaltung nachhaltig zu hindern, was ihre eigenen abgespaltenen Selbstanteile triggern könnte. Man kann ja das eigenliche Selbst, das im Grunde unsere biologische Grundlage, unsere biologische Grundausrüstung darstellt, nicht wirklich reduzieren, man kann nichts davon abschneiden und dann vernichten. Deshalb werden unerwünschte Selbstanteile bzw. die Impulse, die sie zum Bewußtsein zu senden versuchen, so massiv unterdrückt, eingesperrt und mit einem drohenden Wächter versehen, daß der Betroffene sie sein Leben lang nicht zu Gesicht bekommt bzw. mit Hilfe seines Bewußtseins wahrnimmt. Der Wächter ist die Angst, die der Säugling oder das Kleinkind verspürt hat, als Mama auch nach stundenlangem Schreien nicht gekommen und es getröstet hat, so daß es schließlich aufgab und die Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Berührung tief in sich vergragen hat, weil es in seinem rudimentären »Denken« gar nicht anders konnte als davon auszugehen, daß diese Bedürfnisse vielleicht nicht richtig waren und Mama vielleicht deshalb nicht kommt. So oder so ähnlich stelle ich mir Abspaltungsvorgänge vor, wenn ich versuche, mich in einen Säugling oder ein Kleinkind in einer solchen Situation hineinzuversetzen. Im Buch Auf der Suche nach dem verlorenen Glück von Jean Leadloff, aus dem z.B. auch Arno Gruen zitiert, wird das wesentlich ausführlicher und anschaulicher beschrieben, ich fühle mich fast jedesmal, wenn ich's wieder lese, auf's neue betroffen.
irwish.de/pdf/missbrauch/Liedloff-Auf_der_Suche_nach_dem_verlorenen_Glueck.pdf
Ich glaube auch – glauben, weil ich das Folgende im Moment nicht wirklich nachzuweisen in der Lage bin, vielleicht kann's ja ein anderer –, daß all dieses Unheil, das sich letztlich genau diesem Umstand der frühkindlichen Zwänge zur Abspaltung wichtiger, aber unerwünschter Selbstanteile verdankt, nicht zwangsläufig mit der Seßhaftigkeit und dem Anhäufen von Besitz begann, sondern vor allem durch die Angewohnheit, sich den täglichen Lebensunterhalt durch Raub und Mord zu beschaffen. Diese Unsitte mag vielleicht schon existiert haben, bevor der Mensch seßhaft wurde, als er noch in kleinen Horden umherzog und von der Jagd und dem Sammeln von Pflanzen und Früchten lebte. Es wäre also durchaus vorstellbar, daß einige Horden, die aus welchen Gründen auch immer, vielleicht weil in ihrer Gegend die Jagdbeute ausblieb, sich sozusagen aus der Not heraus darauf verlagerten, ihre Nachbarn anzugreifen oder regelmäßig zu berauben, um das eigene Überleben zu sichern. Vielleicht ist diese Unsitte dadurch entstanden, daß zwei Jägergruppen verschiedener Horden sich um eine Jagdbeute stritten und dabei quasi die ersten Kriegsopfer entstanden. Was weiß ich, ich war ja nicht selber dabeigewesen, zumindest erinnere ich mich nicht daran ...
Spätestens mit der Entstehung von über das Notwendige hinausgehenden Besitzes entstand dann zwangsläufig auch das, was man heute als Machtstreben und im Gegensatz dazu als Unterwerfung bezeichnet: Hierarchische Machtstrukturen, die anfangs vielleicht noch harmlos oder gar sinnvoll erscheinen mögen, sich im Laufe der Jahrtausende aber immer mehr verfeinerten und – wie beim Monopoly – vergrößerten und auf immer weniger Mächtige verteilten, denen eine zunehmend größere Masse an Unterworfenen zur Verfügung stand.
In den wenigen alten Volksstämmen, die heute noch existieren, gibt es keine nennenswerten Machtstrukturen. Häuptlinge werden gewöhnlich erst und nur dann gewählt, wenn eine bestimmte Situation einen Anführer erfordert, z.B. bei der Jagd, wo man verständlicherweise den besten Jäger im Dorf als Jadganführer und Koordinator auf Zeit auswählt. Dagegen wurden die Menschen in den afrikanischen und europäischen Frühkulturen ganz anders sozialisiert, nämlich so, daß ihre biologische Anlage, einen weitgehend autonomen Orientierungssinn entwickeln zu können, massiv unterdrückt wurde, damit an dessen Stelle der Priester, Gottkönig, Schamane, Häuptling, Kaiser oder wer eben gerade der Machthaber in der Gegend war, agieren und kontrollieren konnte. Auf diese Weise wurden, wie ich vermute, auch die Naturgötter instrumentalisiert, die letztlich, wie Petrus van der Let so eindrücklich nachgewiesen hat, nichts anderes waren als metaphorische Umschreibungen menschlicher Entwicklungsphasen.
Beim Weiterlesen Ihres Artikels mußte ich dann leider doch wieder einige Male passen, die von Ihnen angeführten Autoren kenne ich größtenteils nicht oder habe sie noch nie gelesen, und auch mit dem Behaviorismus habe ich mich bislang kaum ausführlich befaßt, da er mir in gewisser Weise schon von Anfang an quer im Magen lag und ziemlich falsch hinsichtlich der Beurteilung menschlicher Verhaltensweisen erscheint. Dennoch weiß ich, daß die Handlanger der heutigen Machthaber (ich meine die hinter den Kulissen wie Rockefeller, Gates und was da sonst noch so an heimlichen und unheimlichen, in okkulten Gruppen organisierten Superreichen durch die Weltgeschichte poltert) genau diese Erkenntnisse anwenden, um die Massen zu kontrollieren und zu steuern. Aus meiner Sicht setzen sich diese – ich nenne sie am liebsten Psychopathen, denn man kann solche Gemeinheiten der Menschheit nicht antun, ohne vollkommen vom eigenen inneren Fühlen abgetrennt zu sein – psychisch schwer gestörten Menschen an die Stelle von Naturgewalten und -notwendigkeiten, von denen der moderne, in Städten und mit allerlei hilfreicher Technik lebende Mensch weitgehend verschont bleibt. Diese gewissermaßen »toten« Menschen (Untote?), die einst zwar ebenfalls als reines Fühlen, als biologisches Energiebündel mit enormen Entwicklungsmöglichkeiten zur Welt kamen, von ihren Eltern oder den damit beauftragten Erziehern jedoch für die spätere Übernahme der Macht oder zu gewissen Machtfunktionen abgerichtet wurden, stellen im Endergebnis die eigentlichen Roboter dar, denn sie folgen letztlich nur noch Programmen, denken und handeln systematisch, empfinden keinerlei Mitgefühl und steigern wohl auch ihren malignen Narzißmus bis zur Unendlichkeit, indem sie sich irgendwelchen Kulten verschreiben, wo sie Unsterblichkeit und unendliche Macht zu erlangen hoffen. Diese menschlichen Roboter sind es letztlich, die alles Lebendige zu töten versuchen, weil sie das Lebendige in sich selbst zu hassen gelernt haben. In der Figur des Borg aus den Startrek-Serien kommt das sehr deutlich zum Ausdruck: Die Borg sind keine Individuen mehr, sondern bilden einen Roboter-Ameisenstaat, der aus Königinnen und Drohnen besteht und der alles Lebendige, auf das er trifft, tötet und sich einverleibt: »Widerstand ist zwecklos. Ihr werdet assimiliert werden.«
Ich weiß nicht so recht, was ich von Kybernetik – als Wissenschaft der Steuerung und Regelung von Maschinen, lebenden Organismen und sozialen Organisationen – halten soll. Mir sträuben sich die Haare, wenn ich zwischen der Regelung von Maschinen und der von lebenden Organismen keinen Unterschied sehen soll, indem ich den Kybernetik-Begriff anwende. Aus meiner Sicht sind vom Menschen gemachte Maschinen primitive Modelle dessen, was er eigentlich selbst sein sollte: Ein auf seiner biologischen Basis lebender und sich entwickelndes Wesen. Die biologische Grundlage baut auf der chemischen Grundlage auf, diese wiederum auf der elektrischen. Chemie ist eigentlich die Lehre von den Elektronen und davon, wie Elektronen dafür sorgen, daß sich Moleküle bilden und damit neue Eigenschaften entwickeln können. Das haben die meisten wohl noch nie realisiert, veilleicht auch deshalb, weil der Chemiebegriff heute eher anrüchig daherkommt durch die ganzen Chemiefabriken und die damit verbundene Vergiftung unserer Umwelt und unserer Lebensmittel. Doch ich schweife ab.
Wie Fromm glaube ich ebenfalls, daß die heutige Faszination für Technik, von der ich mich nicht ernsthaft ausnehmen kann, das Resultat der allgemeinen Abwendung vom Lebendigen, vor allem vor dem Lebendigen im eigenen Sein darstellt. So ist es für mich auch nachvollziehbar, daß man den Menschen erst einmal weitläufig von seinem Lebendigsein trennen muß, um ihn mit kybernetischen Methoden in Massen steuern und kontrollieren zu können. Mit einem weitgehend autonomen Menschen, der seine Orientierung aus einem inneren Kompaß bezieht, wäre es nicht so leicht möglich, mit dem, was die heutigen Behavioristen und Sozialwissenschaftler im Dienste der Mächtigen so alles erfinden, die Menschenmassen weiterhin wie Viehherden behandeln und ausbeuten zu können.
Die systematische Verdummung zur Vorbereitung der Massenmanipulation hat ja bereits vor einigen Jahrhunderten mit der Einführung staatlicher Schulen begonnen, die eben nicht, wie man heute weithin zu glauben scheint, aus reiner Menschenfreude von Menschenfreunden zur Bildung auch der Armen »erfunden« wurden, sondern vielmehr zur Heranzüchtung ausgebildeter Soldaten und sonstigem Kanonenfutter. All diese staatlichen Institutionen, die dazu dienen, die Menschen unten zu halten, indem man ihnen beinahe täglich die Macht, die sie innehaben und ausüben, vorführt und die fatalen Konsequenzen, die Ungehorsam haben wird. Die Geschichten von Kriminellen, Mördern, Gerichtsurteilen, all das viele Blut, das man tagtäglich im TV miterleben kann, dient der Unterhaltung, die man sehr wohl als Untenhaltung begreifen darf, denn wer glaubt, gerade was Unterhaltsames zu erleben, und sei es ein spannender Krimi, ein schockierender Horrorthriller oder ein faszninierender Science-Fiction-Film, der hat seine Kritikfähigkeit weitgehend heruntergeschraubt (um sich den angeblichen oder erwarteten Genuß nicht zu verderben) und befindet sich dadurch in einem äußerst manipulierbaren Zustand. Versuchen Sie doch mal, während eines Spielfilms, den Sie gemeinsam mit der Familie anschauen, einen kritischen Gedanken zu äußern. Vermutlich wird man Sie mit den Ermahnung, doch bitte kein Spaß- und Spielverderber zu sein, zum Schweigen bringen.
An dieser Stelle muß ich gestehen, daß mir die zum Verständnis notwendigen literarischen Kenntnisse zum Thema Kybernetik größtenteils fehlen – ohne daß dieser Umstand mich nennenswert bedrückt oder gar aus der Bahn wirft: ich kann damit leben. Auch Heidegger habe ich nie gelesen, Schopenhauer nur teilweise, der ist mir viel zu anstrengend. Lacan dagegen ist mir wiederum ein Begriff, obwohl ich ihn nur aus Slavoj Žižek's Einführung zu Lacan und aus einigen anderen Büchern, in denen Lacan zitiert wird, kenne. Man muß ja auch nicht bei allen Themen mitreden können – zumindest treibt mich kein Narzißmus dazu, den Größten, Besten oder sonst ein Superlativ darstellen zu wollen. Meine bisherigen Themengebiete stellen sich zudem bereits jetzt so umfangreich dar, daß ich gar nicht umhin kann, strenger und häufiger zu selektieren, was ich genau lesen möchte, denn ich bin mir der Begrenztheit meines Lebens schmerzlich bewußt.
Ich glaube daher nicht, daß ich mich in diesem Leben noch großartig in dieses riesige Gebiet der Kybernetik einlesen werde, meine Technikbegeisterung fällt auch eher bescheiden aus, über ein Mofa bin ich nie hinausgekommen, heute fahre ich noch immer Fahrrad, wenn ich nicht zu Fuß gehe, ein Auto hatte ich ebenfalls noch nie, auch kein Handy, und mit meinen anderen technsichen Spielzeugen wie Camcorder, Digitalkamera und Tablet spiele ich fast nie, die könnte ich ohne nennenswerte Verlustängste verkaufen, wenn sie noch was wert wären. Okay, ich hab einen elektrische Kaffeemühle, aber auch nur wegen der Knochenschmerzen vor allem in den Schultern, meinen Mixer hab ich auch schon seit 20 Jahren, der ersetzt mir ein wenig die schwindenden Beißerchen ... kein TV, kein Radio, keine Musikanlage, dafür eine Gitarre und eine Mundharmonika, ach ja, und ein Masterkeyboard, mit dem ich zahlreiche Instrumente erklingen lassen kann. Mehr geht einfach nicht, mehr paßt nicht auf diese Haut, mehr will ich auch nicht.
Beim Lesen Ihres Kybernetik-Artikels bzw. beim Schreiben dieser Antwort habe ich immer wieder mal auf meiner Platte nach den von Ihnen aufgeführten Autoren gesucht. Gefunden habe ich neben 11 Epubs des sympathisch wirkenden Precht (den ich wie z.B. auch den auf sympathisch machenden Harald Lesch als Galionsfigur der Öffentlich-Rechtlichen äußerst kritisch und mißtrauisch beäuge):
irwish.de/pdf/Foerster&Poerksen-Wahrheit_ist_die_Erfindung_eines_Luegners.pdf
irwish.de/pdf/Anders-Antiquiertheit_des_Menschen.pdf
irwish.de/pdf/Zizek/Zizek-Lacan.pdf
irwish.de/pdf/Zizek/Zizek-Lacan_in_Hollywood.pdf