Mal ernsthaft: wer kann sich an all die großen und kleinen Jugendsünden erinnern, die er oder sie mal begangen hat?
Also wenn ich mich selber bewerten müsste, bin ich politisch ziemlich flexibel gewesen, und hatte in der Schulzeit zwischen linkslastig (Kontakte in der Antifa) bis rechtslastig (echte Skins) so ziemlich alles durch und bin am Ende irgendwo beim Schulabschluss in der eher linken Proletarier-Ecke gelandet. Jedenfalls waren meine ersten Kreuzchen eher bei Linke (ich glaub um 2000 noch rum war's die PDS?), Grüne oder SPD zu finden. Mit CDU und FDP konnte ich nix anfangen. Zwischendrin war ich mal PARTEI-Wähler (auf EU-Ebene immernoch) und hab mit dem Gedanken gespielt, der Piraten-Partei beizutreten als Mitglied. Ohne wesentlich politisch mich bewegt zu haben bin ich aber heute bei den Blauen angelangt - mich bewegen noch immer die gleichen Themen wie damals:
-> Arbeitnehmerrechte und Sozialstaat
-> Umweltschutz (Ressourcen, Reparierbarkeit, Wiederaufforstung)
-> Schere Arm und Reich schließen
-> Einwanderunsgstaat wie USA oder Australien
-> Weniger Auto (ich habe in Dresden gelebt)
-> Weltfrieden
Im Unterschied zu damals kann ich aber heute alles in Worte fassen und fundiert auf Erfahrungen zurückgreifen, statt irgendwelche Parolen zu brüllen. Ein paar Änderungen gab's durchaus:
-> Deutsche Verfassung auf Basis des Grundgesetzes (neu, seit 2020)
-> Weniger Auto (gestrichen) - ich lebe heute ländlich (seit etwa 2010)
--> Statt dessen: weniger Mobilitätszwang
-> Weltfrieden (gestrichen) - weil unrealistisch.
-> Statt dessen: Frieden in Europa (umso mehr seit 2022)
-> Energiewende (neu)
Also auch mit relativ ähnlicher politischer Position wie um die 2000er rum steh ich heute auf einmal im "rechten Eck" - weil ich nicht jeden Unsinn mittragen will und schon gar kein Interesse habe, den Unsinn auch zu finanzieren. Da gab's ja mal sinngemäß den Spruch:
"Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 40 noch Kommunist ist, hat kein Hirn."
Da ist irgendwie was dran an dem Spruch und vielleicht sollte man an der Stelle auch mal den Cut setzen zwischen "Jugendsünden" und "politischer Überzeugung". Wenn man nämlich den Cut nicht setzt, müsste man aktuelle wie vergangene gewählte Abgeordnete an den Pranger stellen, denn von Maosten über Steinewerfer auf Polizisten, 68er-Revoluzzer & auch diverse Rechtslastige ist praktisch das komplette politische Spektrum vertreten. Wenn wir also unserem Herrn Kretschmann in BaWü seine maoistisch geprägte Jugend verzeihen, dann müssen wir Aiwanger auch seine Jugendsünden mit antisemitischen Prägungen verzeihen können. Oder wollen wir, wie so oft in den letzten zwei Dekaden, mit zweierlei Maß messen und bestimmen, was GUTER Extremismus ist und was BÖSER?
Falls ja, dann sind wir in Zeiten BÖSEN Extremismus angelangt, wenn es wieder Gedankenverbrechen gibt und jede Leiche aus'm Keller ans Tageslicht gezerrt wird, egal, wie lange die da schon liegt. Jugendsünden sollten schlichtweg als jugendliche Dummheiten betrachtet werden. Denn werden sie es nicht und alles wird zum Schärfen mediapolitischer Fallbeile gebraucht, sind wir in finsteren Zeiten angelangt, in der niemand mehr sich einen (politischen) Fehltritt erlauben kann, ohne Jahre später noch sich auf dem medialen Schafott wiederzufinden.
Andererseits: warum Aiwanger schonen, wenn man auch historisch bedeutsame Personen wie etwa Martin Luther auf seinen Antisemitismus reduzieren kann? Wenn nicht einmal 500 Jahre alte Personen sicher sind vor der modernen Bilderstürmerei, wie kann sich dann eine zeitgenössische Person schützen vor dieser Behandlung?