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  • Rkahr

mehr als 1000 Beiträge seit 25.04.2023

Re: Wenn sogar die UN-Rede von Guterres als antisemitisch diffamiert wird

Es verhält sich so, dass wir eine spezielle Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk tragen. Eine Verantwortung, die auf den jüdischen Opfern des Holocaust und der Idee des Staates Israel ruht – nicht jedoch auf der unbesehenen Zustimmung zu einer neo faschistischen Regierung desselben.

Ehrlich gesagt, schulden wir dies auch, zu mindestens ein klein wenig, uns selbst.

Doch wenn eine rechtsgerichtete Regierung, die fast schon klassisch faschistisch agiert, plötzlich behauptet, dass alle, die ihr entgegentreten, gegen alle jüdischen Menschen sind, dann sehe ich viele jüdische Menschen, die selbst den Premierminister "Bibi" Netanjahu verfluchen. Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen den Bewohnern von Tel Aviv, die ihr Leben genießen und den rechtsradikalen Siedlern, die ihren Tag als verschwendet betrachten, wenn sie keinen Palästinenser ärgern konnten.

Als Deutscher kann ich das offen aussprechen. Ich lehne mich zurück, öffne die Zeitung und schmunzele leise. Das ist keineswegs Schweigen, denn ich weiß, was kommen wird. Nur einzumischen hab ich mich nicht.

Ich sehe die Situation aus einer anderen Perspektive.

Eine Bevölkerungsgruppe setzt sich nun für Menschen ein, die denselben Glauben teilen, weil sie die Angst haben, dass die Stimmung schnell kippen könnte, wenn sie nicht gleich stark reagieren. Dann könnte der Eindruck entstehen, sie seien schwach und duldeten, was mit ihnen geschieht. Also greifen sie ein, um ein Zeichen zu setzen, vielleicht sogar aus dem Fenster lehnen und kräftig protestieren.

Dann geht alles schnell. Wenn die eine Seite demonstriert und Parolen ruft, muss die andere Seite dasselbe tun. Wenn die eine Seite an den Grundrechten rüttelt, muss die andere das Gleiche tun. Wenn die eine Seite darauf abzielt, etwas zu tun, muss die andere Seite dasselbe tun.

Und ich sitze beiseite, lese friedlich meine Zeitung und denke meinen Teil.

Dieses Gefühl teilen inzwischen nicht nur ich, sondern auch viele andere. Sie sitzen herum, drehen ihre Daumen, schauen in die Luft und kümmern sich kaum darum. Wir diskuttieren mehr über das Wetter oder über Promis. Denn wir wissen, wir dürfen und sollen nicht handeln.

Ich sage da brav keinen Ton. Für mich wird es erst wieder interessant, wenn der Staat Palästina dauerhaft anerkannt wird, notfalls gegen den Willen von Bibi und ohne die Möglichkeit eines Vetos der "Five Eyes" Community. Dann wird es für mich wieder interessant. Wenn das nicht auf dem Tisch ist, ist es eh nicht interessant.

Das Problem ist jetzt, ich bin nicht allein in Deutschland. In den letzten Jahren haben wir Zuwanderung von neuen deutschen Staatsbürgern aus dem Nahen Osten erlebt. Das finde ich ganz in Ordnung. Ich habe gelernt, dass man bei einem Dönerverkäufer "Salam" sagen kann, und das erfreut ihn so sehr, dass er "Salam" zurückgibt, und breit grinst, dass sich der Schnurrbart sträubt. Das funktioniert auch mit anderen Menschen, nicht nur Dönerverkäufern. Es ist ja nur eine Grußformel, und das ist ja bekannt, Salam bedeutet im Deutschen "Frieden". Es ist nett, sich auf diese Weise zu begrüßen.

Die Araber gehören einer muslimischen Gemeinschaft an, und diese sollte nicht benachteiligt werden. Einige tragen vielleicht schicke Käppchen oder Perlenketten, aber das geht mir nicht an die Substanz, solange sie mich in Ruhe lassen, wenn ich rauche.

Ich lasse sie auch in Ruhe wegen ihrer Käppchen und Perlen. Die meisten von ihnen fragen allenfalls mal nach nem Feuer.

Es ist jedoch seltsam, dass die Ausländer sich eher mit ihren Herkunftsländern identifizieren. Man kann ihnen erklären, dass die Deutschen eine besondere Verantwortung haben, aber wenn sie von den Schrecken in ihren Heimatländern berichten, kann ich nur staunen. Sie zeigen Fotos, nicht von dem, was man erwarten würde, so brennende Flaggen, oder so, sondern von persönlichen Tragödien. Fotos von Kindern, die aus den Trümmern eines Raketenangriffs tot geborgen wurden, vom Großvater, der ums Leben kam, vom Mann, der in einem Krankenhaus bei lebendigem Leib verbrannte. Diese Fotos sind besser als Geschichtsbücher, sie erzählen von persönlichem Leid.

Bei so viel Leid ist es schwer zu erklären, warum die Deutschen eine besondere Verantwortung tragen. Für diese Menschen ist das deutsche Kreuz ein kleiner Teil eines viel größeren Leids. Sie sehen sich noch nicht als Deutsche, es wird wohl noch etwas dauern.

Dann kann ich als Deutscher nicht viel sagen. Das wäre ein Zeichen von Islamophobie. Aber sie finden es interessant, dass es eine Willkommenskultur gibt, die sie ebenfalls willkommen geheißen hat. Sie haben gelernt, dass sie nicht mehr jeden Tag um ihr Leben kämpfen müssen, sondern dass in Deutschland das Recht zählt. Sie schätzen es, dass die Deutschen keine Probleme mit Demonstrationen haben, selbst wenn es zu Sachschäden kommt, wie beim 1. Mai oder bei den Klimaprotesten. Aber wenn es um Israel geht, scheint die Willkommenskultur zu enden. Da wird Islamhass, Genozid, und all das salonfähig, was man sonst eher bei der AFD findet.

Sie finden es großartig, dass man in Deutschland sogar als Arbeiter Anträge stellen kann und Rechtsbeihilfe erhält. Doch sie verstehen nicht, warum sie gegen alles protestieren können, außer gegen den Staat Israel und seine Politik. Warum dürfen sie nicht gegen das Recht demonstrieren, in jeden Staat einzufallen, der vermeintlich Terroristen versteckt, auch wenn der Staat von nichts wusste? Warum erkennen nur 18 Staaten Palästina nicht als Staat an, und warum darf man dagegen nicht protestieren? Warum wird plötzlich ihre Versammlung verboten? Sie haben gelernt, dass in Deutschland Versammlungsfreiheit herrscht, und das versteht niemand von ihnen.

Ich könnte es ihnen erklären, auch wenn ich nicht dahinterstehe. Ich könnte es so erklären, dass sie es verstehen.

Aber ich darf nicht den Mund aufmachen und mich nicht darum kümmern.

Also sitze ich am Rande, lese meine Zeitung friedlich und sage nichts, wenn ein kleiner Mann auf die Straße geht, um seinen Standpunkt auszudrücken, denn in Deutschland ist das erlaubt. Selbst wenn es Sachschäden gibt, wie bei den Klimaprotesten und am 1. Mai, und selbst wenn es Parolen und Ärger gibt.

Ich sage nichts, denn sonst wird sofort mit dem Knüppel zugeschlagen. Ich lächle leise und behalte meine Gedanken für mich.

So falsch ist die Willkommenskultur also jetzt nicht. Man trifft nette Leute dabei. Und für jeden Fremden, den man trifft, kann man überprüpfen was man jetzt nur nachplappern kann, oder verstanden hat und dahintersteht.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (28.10.2023 19:17).

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