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  • weltendenker

282 Beiträge seit 15.08.2014

Re: Arbeitslosigkeit, politischer Kompass 2017 und ein paar Anmerkungen

Ich stimme deinen Argumenten zu, möchte dich aber darauf hinweisen, dass sie unvollständig sind und daher zu einer falschen Lösung führen.
Daher erweitere ich das ganze mal.

Ich ziehe deine Antwort mal ein bischen auseinander und unterteile das ganze wie folgt:
- Digitalisierung/Automatisierung
- Müll-"Produktion" durch Konsum/Wegwerfgesellschaft
- Binnennachfrage

Digitalisierung/Automatisierung:

Was die Arbeitslosigkeit verursacht, ist dass für die Produktion von dem ganzen Kram kaum noch Leute gebraucht werden. Das wäre eigentlich ein Segen. Die Konsequenz kann nicht sein noch mehr Müll zu produzieren (eigentlich kämen wir mit erheblich weniger Nachfrage aus) sondern die vorhandene Menge an Arbeitsbedarf und Wertschöpfung passend zu verteilen.

Es ist richtig, dass die Produktivität steigt. Immer weniger Menschen produzieren immer mehr. Wir sind sogar so produktiv, dass jeder arbeitsfähige Erwachsene nur noch 12h/Woche arbeiten müsste, wenn wir die Arbeit fair verteilen.
Die Forderung, die Arbeitszeiten, bzw. die Menge an Arbeitsbedarf und die daraus resultierende Wertschöpfung endlich passend zu verteilen, ist absolut korrekt. Ich stimme dir zu.
Jetzt muß man aber ein bischen genauer hinschauen. Denn diese "Umverteilung" von Arbeit, im Sinne gesellschaftlicher Arbeitszeitverkürzung und steigendem Einkommen pro Kopf ist selbst ein Wirtschaftsprozess der bereits in unser Wirtschaftssystem eingebaut ist. Und dieser Prozess hat eine Störung bzw. wurde gestört.
Wenn dieser Prozess freien Lauf gehabt hätte, hätten wir heute nicht das Problem der völlig falschen Verteilung von Arbeitszeit und dem daraus resultierenden Wohlstand.
Aber keine Angst, ich rede nicht von einem deregulierten Kapitalismus, wenn ich schreibe: "freier Lauf".
Der gemeinte Wirtschaftsprozess ist zu erkennen, wenn man sich die banale Frage stellt:
Wie haben es die arbeitenden Menschen früher und heute geschafft, ihre Arbeitszeit zu verkürzen und ihr Einkommen auszubauen, wenn mal wieder Teile der Wirtschaft automatisiert worden sind? Einfache Antwort: Durch Streik.
Der Arbeitskampf ist ein sehr wichtiger Prozess innerhalb unseres Wirtschaftssystems, der dafür sorgt, dass sich die Arbeitszeiten immer wieder den wirtschaftlichen bzw. technischen Bedingungen anpassen. Das Resultat daraus ist, dass es zu KEINEM Zeitpunkt zu Massenarbeitslosigkeit kommt. (Wenn man die Streikfähigkeit der Arbeiter nicht stört).
Die nächste darauf folgende Frage lautet: WER streikt eigentlich?
Wenn wir ehrlich sind: Größtenteils Menschen, die nichts bzw. kaum etwas zu verlieren haben, wenn sie streiken. Wer auf der anderen Seite allerdings das Gefühl hat, dass er gefeuert wird, sobald er auch nur das Wort "Betriebsrat" oder "Streik" in den Mund nimmt, der hält meistens den Mund. Besonders, wenn er zusätzlich noch das Gefühl hat, dass er nie wieder einen vernünftigen Job finden wird. (prekäre Beschäftigung, Leiharbeit, Hartz4 etc.)
Damit Menschen streiken, müssen sie sich also sicher bzw. abgesichert fühlen. Normalerweise geht das über Streikkassen von Gewerkschaften, über ein vernünftiges Arbeitslosengeld (für den Notfall) und über gesetzliche Regelungen, die Pro-Streik ausgerichtet sind. Zusätzlich dazu, ist es vorteilhaft, wenn die Arbeiter auf ein vorhandenes Vermögen zurückgreifen können, falls was schief geht.
Hier ist relative Armut auch ein Streikhinderungsgrund.

Ich kürze an dieser Stelle ab, da es sonst zu ausschweifend wird:
Nicht die Automatisierung erzeugt Massenarbeitslosigkeit, sondern die Störung des Streikprozesses, der die natürliche Reaktion auf die Automatisierung wäre und dafür sorgen würde, dass sich die Arbeitszeiten immer wieder dem Produktionsniveau anpassen.
Dazu noch eine Grafik der wöchentlichen durchschnittlichen Arbeitszeiten von 1849 bis 2014:
http://weltendenker.de/wp-content/uploads/2015/04/EntwicklungDE2.png

Müll-"Produktion" durch Konsum/Wegwerfgesellschaft
Hier kürze ich mal ab:
Wir haben qualitative Produkte (halten lange) und wir haben quantitative Produkte (Wegwerfprodukte -> Hauptmüllproduzenten).

Der Unterschied zwischen beiden ist der Preis.
Nur wer genug Geld hat, kann sich Produkte leisten, die lange halten und nicht nach kurzer Zeit wieder weggeschmissen werden müssen. Die Wegwerfgesellschaft ist bei genauerer Betrachtung eigentlich ein (relatives) Armutsproblem. Wer nicht genug Einkommen/Vermögen hat, der kann sich keine Produkte leisten, die lange halten. Und für genau diese unteren ökonomischen Schichten wurden diese Müllprodukte erschaffen.
Umweltverschmutzung, Müllerzeugung und Resourcenverbrauch sind extrem eng verzahnt mit der Schere zwischen Arm und Reich.
Wenn du dir mal die Welt als ganzes anschaust, so wirst du die größte Umweltzerstörung immer dort finden, wo absolute oder relative Armut vorherrscht.

Wenn man also Müll reduzieren möchte, dann müssen aus den Schrottprodukten, mit denen die Regale gefüllt sind, qualitativ hochwertige Produkte werden.
Was ich also möchte, ist die Anhebung der Binnennachfrage, die im unteren Einkommenssegment stattfindet. Diese führt zu einem Qualitäts-Austausch der Waren in den Regalen und es kommt zu weniger Müll. Ich meine also nicht "mehr" Konsum, sondern "besserer" Konsum. Und das meine ich mit "Binnennachfrage".

Übrigens:
Konsumverzicht gibt es bei Menschen die nicht viel brauchen zum Leben UND bei Menschen, die bereits alles haben, was sie brauchen. Die also "fertig" konsumiert haben.

Binnennachfrage:

Wir haben nicht zu wenig Binnennachfrage. Egal in welcher Branche, die (realen oder metaphorischen) Regale biegen sich unter Tonnen von eigentlich wertlosem Tand und die Leute kaufen das alles auch noch wie verrückt, um es so schnell wie möglich wieder wegzuwerfen. Man sehe sich mal mit offenen Augen in jedem beliebigen Ikea, Saturn oder Primark um.

Eine zu schwache Binnennachfrage in einem Teil der Bevölkerung erkennt man an:
- Exportüberschuss/Importdefizit
- Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander. (Kapitaldruck, Zinsen etc. -> gestörter Streikprozess)
- Müllproduktion/Wegwerfgesellschaft (Relative Armut kann sich nur Schrott leisten)
- Massenarbeitslosigkeit (gestörter Streikprozess durch Gesetzgebung und Schere zwischen Arm und Reich.)

Fazit:
Wir müssen die Einkommen der unteren Einkommensschichten auf Kosten der oberen Einkommensschichten anheben, damit diese höherwertiger konsumieren (Mehr Geld -> mehr Binnennachfrage), was die Arbeitslosigkeit abbaut und den Streikprozess wieder in Gang bringt, der dafür sorgt, dass sich die unteren Einkommen weiter erhöhen etc.
Am Ende dieses Prozesses steht dann die Vollbeschäftigung und die Aufhebung der Schere zwischen arm und reich.

Gesetzlich kann man das mit einem Paradoxon regeln:
Je höher das Arbeitslosengeld ist, desto weniger Arbeitslose gibt es.
Klingt merkwürdig, ist aber so.

Aus Zeitgründen mache ich hier erstmal Schluss.

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