Ansicht umschalten
Avatar von Twistie2015

mehr als 1000 Beiträge seit 21.01.2015

Re: Menschenverachtung mit Methode

reisser schrieb am 03.04.2017 11:32:

.

Also: Die Mitarbeiter des Jobcenters sind in aller Regel nicht die "Bösen". Das von der Politik etablierte ALGII-System hat einfach die DNA von Menschenverachtung.

mich hat dies hier erschreckt, was bei Fefe zu lesen war.
https://blog.fefe.de/?ts=a655f9ba

Wenn dieser Mann tatsächlich, wie er sagt, Jurist ist und von dem überzeugt ist, was er sagt, dann zeigt dies, wie stark die dort verinnerlichte Wirklichkeit von der Realität abweicht.

Ein Beispiel dafür:
Ja, wir wissen das viele unserer Sanktionen gekippt werden. Das ändert nichts daran das sie in dem Moment richtig/vertretbar waren. Es ist so, dass vor Gericht immer im Zweifel für den Leistungsempfänger entschieden wird und das ist auch gut so. Das bedeutet aber nicht, dass die Sanktion nicht gerechtfertigt wäre. Beispiel: Kunde kommt nicht zum Termin. Per Gesetz gibt das ne Sanktion. Der Kunde geht in den Widerspruch und sagt vor Gericht "die Einladung ist nicht angekommen." - Kann keiner das Gegenteil beweisen und der Kunde bekommt recht. Sanktion aufgehoben. So einfach.

---> das ist gleich so mehrfach falsch, dass sich jeder, der nur etwas mit dem SGB beschäftigt, Rechtstexte lesen kann usw, fragen muss: wovon redet dieser Mensch?

Die auf die Kritik
https://blog.fefe.de/?ts=a652b6ac

erfolgte Äußerung bzw. Darstellung seiner Ansicht überzeugte da auch nicht, sondern führte eher zu der Vermutung, dass hier jemand schon so komplett in seiner Welt lebt, dass es erschreckend ist.

https://blog.fefe.de/?ts=a653683a

ich habe selbst z.B. auch ausgeführt, wieso die gesamte Schilderung an sich schon falsch ist. Wenn jemand der Meinung ist, dass eine Sanktion bei Terminversäumnis verhängt werden muss, bzw. dies dann sein muss, wenn der ALG II-Bezieher mitteilt, die Einladung sei per Post verloren gegangen, dann zeugt dies von fehlendem Wissen in Bezug auf die Gesetzestexte. Dies war mein Kommentar dazu:

"
...
die Aussagen des Sachbearbeiters sind zwar prinzipiell angemessen, aber was die Sanktionen angeht, so zeigt sich da schon ein Fehler. Ob dieser bewusst oder nicht bewusst stattfand, weiß ich nicht.

Der Sachbearbeiter erwähnt beispielsweise eine Sanktion wegen eines verpassten Termines, die ja in Ordnung wäre, aber die dann vor dem Gericht landet und dort wird entschieden "tja, man kann nicht sagen, ob er wirklich die Einladung nicht bekommen hat"...

Dieses Beispiel wird oft gerne dafür angeführt,d ass Sanktionen ja verhängt werden müssen und dass sie korrekt waren aber eben das Gericht dann ja im Zweifel pro Leistungsbezieher entscheiden muss. Das ist aber sachlich falsch.

1. eine Sanktion muss in einem solchen Fall nicht verhängt werden, denn der entsprechende Paragraph im StGB sagt:

https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__31.html

"
§31:
(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Absatz 3 Satz 3 festgelegte Pflichten zu erfüllen,"

Wichtig hierbei ist:

Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte *****einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen****.

---> eine vor dem Sachbearbeiter an Eides statt getätigte Aussage, dass die Einladung nicht ankam, würde also ausreichen um eine Sanktion hier nicht notwendig zu machen.

((es gibt übrigens auch Gerichtsurteile, die selbst Sanktionen bei einem einmaligen Vergessen eines Termines nicht für korrekt halten))

Es wäre hier also schon für den Sachbearbeiter möglich, auf die Sanktion zu verzichten, falls es nochmals dazu kommt, dass die Einladung nicht ankommt, wäre es möglich, hier entweder einmal bei der Post nachzuforschen oder aber dann erst eine Sanktion auszusprechen weil einem dies "seltsam vorkommt" bzw. "unglaubwürdig", in bestimmten Fällen können auch andere Methoden als die postalische vereinbart werden, z.B. wenn kein eigener Briefkasten vorhanden ist und des öfteren schon Post abhanden kommt. Das war bei mir der Fall, ich wohnte in einem Haus ohne eigenen Briefkasten, die Post wurde durch einen Briefschlitz eingeworfen und landete im Eingangsbereich, der oft stark verschmutz war, wenn dies Wetter entsprechend war. Des öfteren kam Post abhanden weil jemand aus Versehen etwas "rausgekickt" hatte oder er versehentlich etwas mitnahm und dann nicht weitergab usw. Da ich dadurch des öfteren Probleme bekam, wurde vereinbart, dass ich zweimal pro Woche beim Jobcenter anrufen würde um mich nach Terminen zu erkundigen und weitere Probleme zu vermeiden. Das ging. Auch könnten die Einladungen per Einschreiben geschickt werden.

Auch wichtig:

Zunächst wird ja die Kürzung angekündigt und der Betroffene wird zur Stellungnahme aufgefordert, hier kann er bereits angeben, dass er die Einladung nicht erhalten hat.

Hinzu kommt, dass auch §37 SGB X zur Anwendung kommen könnte:

https://www.buzer.de/gesetz/3086/a43310.htm

1Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. 2Ein Verwaltungsakt, der im Inland oder Ausland elektronisch übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. 3Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist;***** im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.*****

https://detlefnolde.wordpress.com/2014/08/03/behoerde-muss-zustellnachweis-erbringen/

Was das lapidare "so einfach" des Sachbearbeiters angeht: für den "Kunden" ist das nicht "so einfach", er muss ja zunächst vor Gericht gehen, dann Kostenbeihilfe beantragen und daher seine Erfolgsaussichten schildern, dann heißt es warten und in der Zwischenzeit eben ohne x Euro auskommen. Das wäre also durchaus zu vermeiden gewesen, wenn der Sachbearbeiter seinen Paragraphen ernstgenommen hätte und die Möglichkeit, hier auf Sanktionen zu vermeiden, genutzt hätte, was der Paragraph ja extra hergibt. Dass er sagt, ein Terminversäumnis muss automatisch zu einer Sanktion qua Gesetz führen, zeigt, dass er entweder diese Falschaussage selbst glaubt und fehlinformiert ist, oder aber durch sie täuschen will. Beides ist unschön.

Es wird schon seit langem gefordert, dass Einladungen per Einschreiben erfolgen sollten weil ja nicht angekommene Post keine Seltenheit ist - leider wird dem nicht Folge geleistet."

Ich sehe das auch als direkte Folge der Einstellungspraxis - während früher die Mitarbeiter der Arbeitsämter z.B. ja ihren Beruf erlernt hatten, kamen mit der Agenda 2010 gerade auch völlig sachfremde Mitarbeiter in den Beruf des "Case Managers", die kannten z.B. nur den "Kundenverkehrt" als Sachbearbeiter in Firma X, sie wussten aber weder von den Gesetzestexten, noch von Sozialgesetzen oder dem Umgang mit Menschen mit Suchtproblematiken, mit Ängsten und Nöten, vom Umgang mit Menschen, deren Existenzminimum von der Entscheidung des SB abhängt.

Nur mal ein Beispiel:
ich war einst beim Jugendamt tätig, da hatten wir ja auch mit Menschen mit wenig Geld zu tun, wir haben dann, gerade wenn es z.B. um Kostenbeiträge zu Pflegegeldern usw. ging, aber immer versucht, im Sinne des Hilfeempfängers zu entscheiden, sofern möglich und sofern nicht der Eindruck entstand, er versucht hier wirklich, uns vorzuführen, was auch vorkam. Aber dies wurde ja auch schon in der Ausbildung vermittelt, durch die dreimonatigen Einsätze in verschiedenen Abteilungen des Landkreises und auch später durch den Einsatz in der Abteilung als Verwaltungsfachangestellte, wo die "Alteingesessenen" einem erst einmal beibrachten, worum es ging.

Dieses Einarbeiten gerade auch in soziales Denken wurde aber bei den Einstellungen ja einfach außen vor gelassen, stattdessen kamen, so weit ich mich erinnere, z.B. irgendwelche Telkommunikationssachbearbeiter plötzlich in den Beruf des Case Managers und die, die vorher "nein, tut mir leid, unsere AGBen sagen, dass wir hier keinen Aufschub genehmigen dürfen" sagten, hatten nun mit Menschen zu tun, die nicht um eine weitere Telefonvebindung, sondern um ein Existenzminimum stritten.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten