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  • Ignatius

mehr als 1000 Beiträge seit 25.06.2001

Re: "Wer etwas erschafft, darf es behalten."

Aktualisierung schrieb am 02.04.2017 22:06:

Ich stelle das Konzept als solches auch nicht in Frage. Es greift im gesamtgesellschaftlichen Kontext aber immer zu kurz! Warum? Weil wir natürlich nicht davon ausgehen können, dass es immer gleich verteilte Bedarfe gibt (Auslastung, räumlicher- sowie inhaltlicher Natur, etc). In dem Spiel zwischen Überfluss und Mangel mit entsprechend schlechten oder guten "Tauschwerten" muss es also immer eine Grundversorgung (heute ALG2/ GruSi) für die geben, die aus irgendwelchen Gründen nur schlecht tauschen können.

Aus naturrechtlicher Sicht ist das erstmal kein Problem. Es ist nicht ungerecht dass jemand "schlechte Tauschwerte" hat - da kann niemand was dafür und es ist niemandem ein Unrecht geschehen. Es besteht per se einmal keine Verpflichtung jemandem ohne Gegenleitung zu alimentieren und erst recht gibt kein Recht, einen dritten zu zwingen, das gegen seinen Willen zu tun.

Das ist hart, aber gerecht. Freie Bauern in einer Subsistenzwirtschaft mögen für die Organisation ihres Gemeinwesens auch nicht mehr gebraucht haben.

Nein, um den Sozialstaat zu legitimieren braucht es etwas anders. Erstens brauchen wir ein Wirtschaftsform, die in der Lage ist erhebliche Überschüsse über das Subsistenzniveau hinaus zu erzielen. Sonst ist es schlicht nicht machbar:

Es ist notwendig, dass der Großteil der Menschen in der Maslowschen Bedürfnispyramide schon über Essen, Unterschlupf und ähnliches hinausgewachesen ist, und sich Luxusbedürfnissen wie Sicherheit zuwenden kann, also sich Gedanken, nicht nur um die gegenwärtigen sondern auch die zukünftigen Bedürfnisse ihrer selbst aber auch ihrer Kinder machen kann. Hier liegt dir Gründung einer Solidargemeinschaft nahe, im Prinzip einer wechselseitigen Versicherung gegen Unglückfälle wie Krankheit. Es ist kein Zufall, dass die staatliche Krankenversicherung historisch immer die "Einstiegsdroge" in den Sozialstaat war.

Es gibt aber noch ein zweiten Aspekt: Jede Wirtschaftsform, die in der Lage ist, dauerhaft Überschüsse zu erzielen, braucht legale Konstrukte, die weit über das Naturrecht hinausgehen. insb. beim Eigentums- und Vertragsrecht. Eigentum an und Handel mit Grund und Boden sind da nur der Anfang. Wesentlich ist dabei die Trennung von Eigentum und Besitz - denn naturrechtlich ist das ein- und dasselbe: Mir kann nur gehören, was ich auch besitze, und dass heisst, benutze, bewohne bzw. (im Fall von Gund und Boden) bewirtschafte.

Eigentum kann es aber nur geben, wenn es von der Mehrzahl der Menschen auch akzeptiert oder zumindest geduldet wird. Es gibt einen naturrechtlichen Anspruch auf den eigenen, selbst urbar gemachten und bewirtschafteten Acker, aber es gibt keinen solchen Anspruch auf den Pachtzins von meinem Nachbarn bzw, auf die Anerkennung des Rechttitels, der mich zu einen solchen einzuheben berechtigt. Warum sollte der Pächter (oder neuzeitlich der Mieter) diesen Anspruch anerkennen? In einer freien Gesellschaft kann ein solcher Anspruch nur durch einen gesellschaftlichen Konsens zustande kommen. Und den wird es nur geben, wenn die Armen (also die ohne nenneswertes Eigentum, d.h. die Mieter und Pächter, die nur ihre Arbeitskraft verkaufen können) erkennen, dass es ihnen dennoch materiell besser geht, als in einer naturrechtlichen Subsistenzwirtschaft (oder ihrem modernen Pendant, einer staatlichen Kommandowirtschaft). Und das heisst, dass Arbeit 1. verfügbar sein und sich 2. lohnen muss, sonst werden die Leute irgendwann keine Lust mehr auf Kapitalismus haben.

Das sind die beiden Legitimationen für den Sozialstaat: Solidargemeinschaft für die Schwachen und quasi politisches Schutzgeld der Reichen an die Armen (vulgo Arbeitnehmer). Und beide stehen z.Z. auf tönernen Füßen: Die Solidargemeinschaft wird unterminiert, indem ihre Leistungen im großen Umfang auf Menschen, die ihr nicht angehören, ausgeweitet werden. Und der Kapitalismus befindet sich in einer mittlerweile schon chronischen Krise und kann seine Versprechen in immer geringerem Umfang einhalten. Zudem werden die Reichen immer weniger zur Finanzierung des Sozialstaats herangezogen: Der Anteil der Steuern auf Arbeit hat sich seit den 50ern von 1/3 auf 2/3 der Gesamtsteuerleistung verdoppelt.

Es wird also Zeit, die Grundlagen unseres Sozialstaats neu zu verhandeln. Wir haben die paradoxe Situation, dass die, zu deren Gunsten und zu deren Absicherung er eigentlich geschaffen worden ist, nämlich die "Armen", d.h. die Arbeitnehmer ohne nenneswertes Eigentum an Kapital, Produktionsmitteln oder Immoblien - und das ist die Mehrzahl der werktätigen Deutschen (die Griechen sind nach dieser Definition bedeutend reicher) - auf einmal doppelt ausgebeutet werden: Nach oben, weil die die noch immer steigenden Gewinne der Kapitaleigner erwirtschaften müssen, und nach untern, weil sie ein immer größeres Heer an politische gewollten und z.T. vorsätzlich ins Land geholten Arbeitslosen alimentieren müssen, das zum einen verhindert, dass sie selber gerechter Löhne durchsetzten können, und zum anderen eine demokratische Änderung der Verhältnisse (und der Steuerlast) de facto unmöglich macht, da es, soweit stimmberechtigt, zwar keine Jobs für sich selber, wohl aber (noch) eine Fortsetzung und Ausweitung der eigenen Alimentierung durchsetzten kann.

Der Fakt, dass der 60h-Altenpfleger in Sachen entspanntem Rentnerdasein im Vergleich zum 30h-Bänker also keine Chance hat, zeugt von mehr als einer schraegen (Un-)Gerechigkeitssituation.

Ich fürchte, dass beide nicht viel zu lachen haben werden. Der Bänker wird allenfalls tiefer fallen, wenn seine Papiere nichts mehr wert sind und er auf einmal mit seiner Volkspension auskommen muss. Oder wenn seine Dienste auf einmal nicht mehr gebraucht werden. Wenn das System kracht, dann werden sich dem nur wenige wirklich Reiche entziehen können.

ignatius

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