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  • Ignatius

mehr als 1000 Beiträge seit 25.06.2001

Re: "Wer etwas erschafft, darf es behalten."

In meiner Terminologie steht das Naturrecht schon eine Zivilisationsstufe über dem Faustrecht, bei Dir ist letzteres ein Teil des ersteren. Wobei ich einräume, dass es in der Praxis keine klare Trennung gibt. Illustriert von Thukydides im Melierdialog: "Recht könne nur zwischen gleich Starken gelten, bei ungleichen Kräfteverhältnissen tue der Starke, was er könne, und erleide der Schwache, was er müsse."

Wesentlich scheint mir aber die Trennung von Besitz und Eigentum. Und die ist, wie ich meine, nicht naturrechtlich herleitbar, sondern eine reine rechtliche Fiktion. Hier mit der Vertragsfreiheit zu argumentieren, trifft die Sache nicht ganz, denn auch ein "freiwilliger" Pachtvertrag impliziert, dass das Konzept des vom Besitz losgelösten Eigentumstitels schon etabliert ist.

Naturrechtlich kann einem nicht mehr gehören, als man selber nutzt und bewirtschaftet. Brachland (egal ob noch nie oder nicht mehr bewirtschaftet) steht jedem zur Landnahme frei und niemand schuldet per se dafür jemandem Pacht. Das Grundbuch ist keine naturrechtliche Erfindung. Auch herrenloses (also besitzloses) Gut kann sich jeder aneignen, auch wenn es jemand anderer einmal geschaffen oder erworben hat. Beide naturrechtlichen Elemente finden sich auch heute noch im Eigentumsrecht, wenn auch sehr stark eingeschränkt (in at gelten dafür 30-jährige Fristen und eine Eigennutzung muss nicht mehr nachgewiesen werden).

Ein Rechtssystem ist auch mitnichten die Summe der Verträge. Im Gegenteil werden Verträge erst im Rahmen eines Rechtssystem von bloßen Absichtserklärungen zu anspruchsbegündenden und ggf. auch durchsetzbaren Rechtstiteln. Das Recht selbst ist dagegen kein Vertrag. Einem Rechtssystem stimmt man i.a. nicht nicht zu, sondern es wurde irgendwann vom Souverän erlassen und man wird darin hineingeboren. Bestenfalls gibt es eine demokratische Legitimation - aber das ist etwas völlig anderes als eine explizite vertragliche Selbstverpflichtung.

So leitet sich selbst ein so abstraktes recht wie das Eigentumsrecht direkt aus dem Naturrecht ab und zwar durch einvernehmlichen Verzicht auf Optionen aus dem Naturrecht.

Das sehe ich wie dargelegt anders. Weder sind abstrakte (also vom Besitz getrennte) Eigentumsrechte naturrechtlich ableitbar, noch ist der Verzicht auf naturrechtliche Optionen im Rahmen eines Rechtssystems einvernehmlich. Deswegen unterliegen beide Institutionen einem permanenten Legitimationsdruck.

In der Praxis macht es letztendlich keinen Unterschied, welcher Sicht man anhängt. Aber es ist ein moralisches Statement, weil Diene Argumentation politische Kräfte, die die Eigentumsordnung hinterfragen, von vornherein ins Unrecht stellt, während meine das nicht tut. Es ist also vor allem eine Frage des "flavours".

ignatius

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