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  • unbekannter Benutzer

mehr als 1000 Beiträge seit 10.01.2003

Zwangsarbeit: wenn du entweder arbeiten oder sterben sollst.

Menschenskinder, bist du zynisch.

Zerlegen wir mal kurz und schmerzfrei deine Argumente.

"Fürsorgepflicht" - hast nicht du persönlich, sondern der Staat. Das muss dir nicht gefallen, ist aber nunmal so. Willst du was ändern, musst du eben zum Abgeordneten deines Wahlkreises gehen und entsprechende Eingaben machen und dann auf die nötige Mehrheit im Bundestag hoffen, damit die Fürsorgepflicht im Grundgesetz abgeschafft wird.
Viel Erfolg damit.

Wir reden über 1 - 3% "Faule", die wirklich nicht wollen. Okay, doof. Aber was machen die bitteschön in der Billanz aus, wenn 97% wollen, aber effektiv nicht so dürfen, wie sie wollten? Warum wird einer, der 35 Jahre lang gearbeitet hat, genauso schlecht behandelt wie einer, der von der Hauptschule gefallen ist und sein Leben lang "Abhartzen" will? Warum wird demjenigen, der hart gearbeitet hat, sein Vermögen genommen und dann auch noch die Leistung sanktioniert, wenn er nicht einsieht, nach der Ingenieurskarriere als Lagerist zum Mindestlohn eingesetzt zu werden?

Nochmal: ich rede grundsätzlich IMMER über Menschen, die arbeiten wollen, aber die auch rechnen können. Würdest du für 9,19 Euro aufstehen und den Buckel krumm machen, wenn du weißt, du lebst keinen Meter besser wie einer, der im Bett liegen kann? Ich nicht. Bevor ich zum Mindestlohn buckeln gehe, bleibe ich liegen. Da fängt aber die Sauerei eigentlich an: wir Arbeitenden verdienen viel, viel zu wenig. ALG II ist NICHT zu hoch, wenn man bedenkt, wo die Lebenshaltungskosten anzusetzen sind. Also verdienen wir Arbeitnehmer schlichtweg zu wenig.

Gerade weil du Feuerwehr & co ansprichst: FW lebt nur noch von den "Freiwilligen", weil man sich die Beamten sparen will. Ergo: Kostensenkung. Zwar finde ich die ehrenamtlich tätigen Freiwilligen als sinnvolle Ergänzung, ALLEIN tragen sollten sie aber die Sache nicht. Und genau das ist immer öfter der Fall, dass nur noch der Einsatzleiter Hauptamtlicher ist, der Rest aber Freiwillige. Hier könnten aber auch 3 - 5 zusätzliche Arbeitskräfte angestellt sein, die regulär verdienen.

Oder die Pflegebranche: hast du eine Ahnung, wie bescheiden das bezahlt wird bei den Anforderungen? Bereitschaftsdienst, Dienste am Wochenende, an Sonn- und Feiertagen, körperlich anspruchsvolle Arbeit, dazu die psychologische Komponente, untauglicher, weil auf Akkord getrimmter Pflegeschlüssel usw usf - und dann geht die Pflegekraft mit 2500,- brutto heim, inkl. aller Zulagen. Finde ich nicht richtig, das ist zu wenig.
Oder die LKW-Fahrer: um die Kosten zu drücken, wird auf osteuropäische Fahrer in osteuropäischen LKW gesetzt, die ausschließlich Inlandsfahrten machen - Ersparnis 50% und mehr beim Lohn. Toll, Arbeit, die gemacht werden muss, aber an den Billigsten geht, statt an die faire Bezahlung einheimischer Kräfte im Auge zu behalten. Oder auch nur "faire Bedingungen" am Arbeitsplatz: 24/7 wird auf dem Bock verbraucht und natürlich muss 2 Tage vor Weihnachten noch eine Tour fern der Familie angesetzt sein, so dass der Brummifahrer keinesfalls mehr zurückkommen kann und in der Fremde ausharren darf. Selbiges Ostern oder zu sonstigen Feiertagen ...
Auch die von dir genannten Kassierer bzw. Einzelhandelskaufleute sind alles andere als fair bezahlt dafür, dass sie 6 Tage die Woche ran dürfen bei geteilten Schichten und Rufbereitschaft - und das ganze für den Mindestlohn.

Daelach, verzeih mir mein leicht aufgeheiztes Gemüt: aber gerade die o.g. Berufszweige, die du genannt hast, leiden erheblich unter einer hundsmieserablen Bezahlung, furchtbaren Arbeitsbedingungen und einer fehlenden Interessenvertretung. Ich wünsch mir für die Brummifahrer ein GDL-artige Gewerkschaft, egal, wo sie herkommen.

Nächstes Argument: "Langzeitarbeitslose arbeiten schlechter". Lehrlinge produzieren auch bloß Kosten im 1. und 2. Lehrjahr und sind erst ab dem 3. vielleicht halbwegs effektiv, weil sie dann keinen Lehrmeister binden. Stimmt schon. Deshalb bildet wohl kaum ein Unternehmen mehr aus und hofft, dass die Fachkräfte wie Manna vom Himmel fallen (oder aus Afrika angeschippert kommen) Aber Arbeiten muss man eben lernen - und zur Arbeit muss man auch motiviert sein. Motivation gibt's aber nicht, wenn man nicht einmal den staatlich vorgeschriebenen Mindestlohn erhält, weil "langzeitarbeitslos". Wo soll da die Arbeitsleistung auch herkommen, wenn man so viel schlechter bezahlt wird?
Zumal ein AG ja durchaus das Recht hat, die Probezeit zur Kündigung ungeeigneter Arbeitskräfte zu nutzen. Ergo: wenn der Langzeitarbeitslose keine Motivation zeigt, kann er sofort und ohne Nennung von Gründen entlassen werden.
Warum nochmal muss also der eben eingestellte Langzeitarbeitslose erheblich schlechter behandelt werden, als dessen länger arbeitende Kollege?

Es geht ja gar nicht unbedingt um den "gleichen Lohn", sondern erstmal um dem Mindestlohn. Wenn du natürlich garstigerweise ein Geschäftsmodell fährst, wo alle deine Mitarbeiter zum Mindestlohn arbeiten, dann ist das natürlich doof. Aber dann nenn' ich dich eben einen Ausbeuter.

Argument "Zeitarbeit". Nein, Arbeit ist nicht "menschenunwürdig". Es geht um die Entlohnung. Ich geh' nicht arbeiten, wenn ich davon nicht menschenwürdig leben kann - ist das so schwierig zu verstehen? Von ALG II kann ich nicht menschenwürdig leben. Vom Mindestlohn auch nicht. Damit man menschenwürdig in Deutschland leben kann, müsste der Mindestlohn auf 14 - 15,- Euro ansteigen. Dafür müsste ein Erdbeererntehelfer, wenn nach wie vor 50,- Cent das Kilo gezahlt werden, lächerliche 30 Kilo in der Stunde ernten.

Wir haben ein Sanktionssystem, was den Menschen ein menschwürdiges Leben verwehrt, und zwar doppelt: ALG II wird sanktioniert, wenn man Arbeit verweigert - auch dann, wenn die Arbeit kein Einkommen generiert, was eine menschenwürdige Existenz zulässt. Ergo: der Betroffene hat die Wahl zwischen menschenunwürdiger Existenz ohne Arbeit und menschenwürdige Existenz trotz Arbeit. Nun mach dir mal Gedanken, warum ich hier von "Zwangsarbeit" spreche in dem Zusammenhang. Es geht NICHT um die Arbeit. Es geht um die Entlohnung - und so wie damals eben das "Überleben" als Belohnung angesehen wurde, so ist das heute offenbar wieder so. Der einzige Unterschied zu damals dürfte sein, dass der Tod der Arbeiter bewusst einkalkuliert worden ist (Vernichtung durch Arbeit). Heute ist es eben zynischerweise "Existenzvernichtung, egal, was du machst".

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Nix gegen dich persönlich Daelach, wirklich nicht. Aber bei der Argumentationsweise geht mir die Hutschnur.

Falls du dich fragst, ob mein Feindbild der Unternehmer ist: durchaus. Wenn er bewusst auf Kosten der Gesellschaft Arbeitskraft schmarotzt. Und solche gibt es zuhauf - da gehört durchgekärchert, nicht zu knapp. Erst wenn der letzte Mindestlohn durch eine vernünftige tarifliche Bezahlung ersetzt ist, erst, wenn Arbeit eine menschenwürdige Existenz ermöglicht, egal ob Kassiererin, Zusteller, LKW-Fahrer, Maurer, Klempner, Elektriker, ... erst dann bin ich zufrieden.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (06.01.2019 17:36).

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