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Interregnum (2019-2023)

Eigentlich sollte hier "Loesungsansaetze" stehen, doch sowas wurde unter der letzten Regierung nicht mal versucht.

Alberto Fernandez, 2019-2023, Peronist. Seine Praesidentschaft begann bereits etwas seltsam lange bevor sie begann: Christina Fernandez de Kirchner verkuendete, dass sie als Vizepraesidentin kandidieren wuerde, und stellte dann den Praesidentschaftskandidaten vor. Der arbeitete einst als Kabinettschef fuer die Kirchners, und war eigentlich sonst kaum in Erscheinung getreten.

Das war ein genialer Schachzug von Cristina: zwar ist etwa ein Drittel der Waehlerschaft ihr bedingungslos ergeben, wie auch Macri etwa ein Drittel der Stimmen sicher hat, aber das Drittel in der Mitte haette sie, v.a. nachdem viele Korruptionsaffaeren bekannt wurden, kaum gewaehlt. Der kaum bekannte Alberto war dagegen ein unbeschriebenes Blatt, und mit etwas "suspension of disbelief" [1] konnte man von ihm eine eigenstaendige, gute Politik erwarten.

Cristina stellte sich dabei lediglich als Begleiterin dar, die eigentlich der Politik muede war. Wer 2011 aufgepasst hatte, kannte sie zwar schon in dieser Rolle (nach dem Tod von Nestor Kirchner gab die trauernde Witwe vor, unentschlossen zu sein, ob sie ueberhaupt kandidieren sollte, konnte sich im letzten Moment dann doch dazu durchringen, am naechsten Tag hingen im ganzen Land ihre Wahlplakate, usw.), aber man vergisst schnell ...

So gewann das Team Fernandez-Fernandez (sind nicht verwandt) gegen Macri, von dem viele wegen des ausgebliebenen Aufschwungs enttaeuscht waren. Von Alberto erwartete man nicht nur, dass er es besser machen wuerde, sondern auch, dass er vom Kirchnernismus unabhaengig regieren wuerde, und, als Peronist, keinen Aerger mit den Gewerkschaften und sozialen Organisationen haben wuerde, die der Regierung Macris tagtaeglich Knueppel zwischen die Beine warfen. Zumindest letztere Erwartung sollte nicht enttaeuscht werden, alle anderen dafuer um so mehr.

Das Covid-Jahr 2020 war natuerlich ein Ausnahmefall. Leider hatte Argentinien trotz eines an sich sehr guten Gesundheitssystems, reichlicher Vorwarnzeit (in China begann es im Dezember 2019, in Italien Ende Januar 2020, in Argentinien erst im Maerz 2020.), und eines der laengsten und umfassendsten Lockdowns der Welt (234 Tage, ironisch "cuareterna" genannt, aus "cuarentena" und "eterna", also "endlose Quarantaene") eine Sterbeziffer, die weit ueber der des ansonsten vergleichbaren Uruguay (-22%), und in der Naehe der Brasiliens (+13%) lag, das lange keinerlei Massnahmen ergriff. So gelang das Kunststueck, sowohl Leben als auch Wirtschaft (sowie Ausbildung, usw., denn die Schulen blieben auch geschlossen), zu opfern. (Ich lasse hier "vacunacion VIP", "Olivosgate", und den Skandal um die Pfizer-Impfungen aus.)

Leider ging es auch 2021 und 2022 nur weiter bergab. Die Regierungspolitik aehnelte stark der von Cristina Kircher, die weiter die Zuegel fest in der Hand hielt. Im Juli 2022 trat der damalige Wirtschaftsminister Martin Guzman ueberraschend zurueck, nachdem er vergeblich um mehr Einfluss auf die Zentralbank angesucht hatte (die ist nominell zwar unabhaengig, in der Praxis aber ein Instrument der Regierung), um der zunehmend ausser Kontrolle geratenden Inflation zu begegnen.

Es folgte ein kurzes Intermezzo mit Silvina Batakis als Wirtschaftsministerin, deren wichtigste Qualifikation wohl war, nicht schnell genug davongelaufen zu sein, als man nach einem Ersatz fuer Guzman suchte. Nach einem Monat kam dann Sergio Massa.

Der regierte anschliessend bis zum Ende des Mandats von Alberto nicht nur als Wirtschaftsminister, sondern uebernahm auch weitgehend dessen Rolle als Staatschef. Das war immer schon sein Traum, und nun war es endlich soweit. Er hatte sich einen Ruf als "panqueque" (Pfannkuchen, weil er mit Leichtigkeit die Seiten wechselt) erworben, und konnte auf eine lange Karriere als kompromissloser Opportunist zurueckblicken.

Massa, Peronist, konnte man durchaus zutrauen, das schwierige politische Gefuege Argentiniens zu kontrollieren, und tatsaechlich Verbesserungen umzusetzen. Doch er hatte ein viel wichtigeres Ziel, naemlich die Praesidentschaft.

So arbeitete der Staatsapparat 2023 in erster Linie fuer seinen Wahlkampf. Zwar log man nicht mehr ueber die Inflation, wie das noch unter Cristina de Kirchner bis 2015 ueblich war, um den Anschein eines gewissen Masses von Stabilitaet zu wahren, wurden aber der offizielle Wechselkurs kaum mehr angepasst, Verbraucherpreise eingefroren, und der Zugang zu Devisen weiter erschwert. All das waehrend etwa eines halben Jahres.

Die Regierung machte dafuer grosszuegige Geschenke, z.B. wurde ueberraschend die Einkommenssteuer fast abgeschafft. All das ist ironisch unter "plan platita" (Plan des leichten Geldes) bekannt. Hier befindet sich eine Uebersicht: [2]. Finanziert, wenn man das so nennen will, wurde all das v.a. durch das Drucken von Pesos. Weil weder Argentinien noch das gerne behilfliche Brasilien in der Lage waren, so viele Geldscheine herzustellen (um den Schein zu wahren, verzichtete die Regierung darauf, groessere Banknoten als 1000 und erst spaet 2000 Pesos, wobei letztere etwa einer Kaufkraft von 2-3 USD entsprach, auszugeben), musste man die in China in Auftrag geben, und per Luftfracht um den Globus befoerdern.

Es sollte nichts nuetzen. Bei den Vorwahlen (PASO) im August 2023 schnitt Javier Milei ueberraschend mit dem besten Einzelergebnis ab. Bei den Hauptwahlen im Oktober fuehrte dann Massa (37%), gefolgt von Milei (30%) und Patricia Bullrich (24%), letztere einst Sicherheitsministerin unter Macri. Im November trafen sich dann Massa und Milei erst zu einem Rededuell, in dem Massa zeigt, wer Herr im Haus war [3], und schliesslich zur Stichwahl, die Milei mit satten 56% gewann. (Gerundet auf ganze Prozentpunkte.)

Eigentlich hatte ich befuerchtet, dass Massa die Stichwahl gewinnen wuerde. Ein Geniestreich Macris verhinderte das aber: als Bullrich als Dritte der Hauptwahlen ausschied, faedelte er sofort, und ohne das mit dem - von Macri geschaffenen und nun von Bullrich geleiteten - zerstrittenen Wahlbuendnis zu debattieren, eine Allianz von Milei und Bullrich ein, was wohl entscheidend dazu beitrug, die meisten Stimmen von Bullrich zu Milei zu bringen. Bullrich ist nun uebrigens wieder in ihrer alten Rolle als Sicherheitsministerin taetig, in der sie sich sichtlich wohlfuehlt.

- Werner

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Willentliche_Aussetzung_der_Ungl%C3%A4ubigkeit
[2] https://www.clarin.com/economia/15-medidas-plan-platita-impacto-inflacion_0_WW68lsME1x.html
[3] youtube.com/watch?v=DVt_mzCOGtA&t=540s

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