Der Psychater schrieb am 20.01.2024 12:36:
als Deutscher in Argentinien gehörst du offensichtlich der Partei der Macristas an. Dabei ist die Politik von Macri ein Teil des heutigen Problems.
Als Auslaender (Oesterreicher) kann ich in Argentinien zwar nicht bei nationalen Wahlen mitmachen, aber wenn ich es koennte, dann ginge meine Stimme an Macri. Bei den Wahlen des letzten Jahres, wo Macri nicht kanditierte, waere sie an Patricia Bullrich gegangen.
Milei hatte ich vor den PASO eigentlich schon abgeschrieben, so ruhig war es um ihn geworden. In der Stichwahl gegen Massa haette ich, trotz aller Zweifel, fuer Milei gewaehlt, denn von Massa haette ich nichts weniger als eine Schreckensherrschaft erwartet - die ich mir wohl aus sicherer Entfernung aus Europa ansehen wuerde.
Von Milei bin ich uebrigens positiv ueberrascht. Die meisten Extrempositionen hat er aufgegeben oder zumindest auf einen unbestimmten Termin in weiter Zukunft verschoben, wenn sie vielleicht sogar einen Sinn ergeben koennten. Sein Dialog ist uebertrieben, womit er wohl genau den Geschmack vieler Argentinier trifft - von denen viele Macri vorwarfen, nicht klar genug gewesen zu sein.
Die Wirkung der bisherigen Massnahmen seiner Regierung kann ich noch nicht abschaetzen. Bislang ist eigentlich kaum etwas passiert, was ich nicht von Bullrich oder Massa in identischer Form erwartet haette. Angesichts der von Massas "plan platita" verschaerften Krise ist der Handlungsspielraum vorerst sehr gering.
Mileis Dekret und das Gesetzespaket finde ich uebrigens erbaermlich strukturiert. Wobei das auch an Gepflogenheiten der Legislative liegen koennte. Bei den Inhalten ist viel Gutes dabei, dringend noetige Korrekturen und Reformen eingeschlossen. Und ueber den Rest laesst die Regierung mit sich reden. Auch da ist sie wesentlich aufgeschlossener als Mileis Aeusserungen noch vor einem Jahr befuerchten liessen.
Der 50 Mrd Dollar Kredit des IWFs von ca. 2017 wurde nicht so ökonomisch sinnvoll eingesetzt, wie du das hier erklärst. Er diente vor allem der Währungsflucht der reichen Argentinier,
Wie ich schon dargelegt habe, stand von dem Kredit nur ein relativ kleiner Teil ueberhaupt fuer allfaellige Fehler oder Missbrauch zur Verfuegung. Der Loewenanteil ging so oder so in das Ordnen der "geerbten" Schulden.
Dass es auf dem Finanzmarkt zu Fehlkonstruktionen kam, wird wohl niemand leugnen. Allerdings muss man auch bedenken, dass ein Staat nicht bei jeder Fehlentwicklung sofort eingreifen kann - wenn ein finanzielles Instrument erst mal geschaffen ist, und die Leute es rechtskonform erwerben, dann kann man es ihnen in einem Rechtsstaat nicht einfach wieder wegnehmen. Deshalb wurden auch die offensichtlich missbraeuchlichen Dollar-Futures (vom Kirchner-Regime ausgestellt) zaehneknirschend ausbezahlt. Seltsamerweise werden die Verluste unter Macri heftig kritisiert, aber von den Dollar-Futures, die einen aehnlich grossen Schaden verursachten, redet keiner.
und Macri lieferte Argentinien erneut dem Diktat des IWFs aus.
Das Diktat des IWFs war v.a. 2001 und dann fuer Nestor Kirchner ein Problem. 2001, weil damals wirklich harte Forderungen kamen, und der IWF damit einen Teil der Schuld am damaligen Kollaps der argentinischen Wirtschaft trug. Das Problem fuer Nestor Kirchner war, dass der IWF die Buchhaltung ueberprueft. Damit waere sein Korruptionsimperium aufgeflogen. Um das konstruieren zu koennen, musste er erst mal den IWF loswerden. Natuerlich nannte er das dann "Entschuldung" (was nur teilweise stimmte) und ein Wiederherstellen der Souveraenitaet (ja, aber ...)
Seither ist der IWF recht zahm. Und wo sonst haette Macri das Geld herbekommen sollen, das er dringend brauchte, um den von Cristina hinterlassenen Scherbenhaufen zu reparieren ? Ein Ausverkauf an China waere wohl moeglich gewesen, waere in Argentinien aber wohl schlecht aufgenommen worden.
Dass der IWF kaum Druck ausuebt, sieht man auch daran, dass Massa 2023 ungehemmt saemtliche Abmachungen mit dem IWF brechen konnte (v.a. um seinen Wahlkampf zu finanzieren, siehe auch "plan platita"), ohne dass aus Washington mehr als ein verhaltenes Grummeln zu hoeren war.
Die Wirkung des hohen Kredits verpuffte vollständig.
Dank den Krediten kam Argentinien aus dem Default, kam - voruebergehend - aus dem "cepo", hatte wieder eine funktionierende Infrastruktur, konnte ein ganzes Buendel von schlechten Krediten (hohe Zinsen, stark benachteiligende Konditionen - siehe ARA Libertad), ... wenn das eine Verpuffung ist, dann saehe ich gerne mehr davon :-)
Ich bin kein Peronista, aber den radikalen Neoliberalismus lehne ich ab. Das ultra neoliberale Chile halte ich nicht für ein Land mit Vorbildcharakter, die Probleme dort sind gravierend.
Ja, Chile zeigt, wie das andere Extrem aussehen kann. Die USA uebrigens auch. Die Extreme sind nie gut. Wobei Argentinien endlich dem Feudalismus entkommen muss. Dass der Staat als Schatztruhe angesehen wird, zu der man sich durch Wahlen oder Erpressung den Schluessel verschafft, um dann mit der Beute anzustellen, was einem beliebt, Machterhalt eingeschlossen, und die Strukturen, die eben dies ermoeglichen, sind m.E. der wesentliche Grund fuer das staendige Versagen des argentinischen Systems.
Argentinien ist kein strukturell armes Land, auch wenn es sich in diese Richtung entwickelt hat. Mit etwas mehr Vernunft und etwas weniger Egoismus koennte es allen gut gehen, ohne dafuer grosse Opfer leisten zu muessen. Die werden allerdings auf dem Weg aus den bisherigen Fehlentwicklungen faellig, was Milei in seiner Antrittsrede auch klar zur Sprache brachte.
Mileis extremere Ideen bereiten mir vorerst keine Sorgen. Trotz aller Macht, die in Argentinien ein Praesident hat, kann er nicht einfach alles auf einen Schlag umstellen. Ausserdem weiss auch er, dass er nicht einfach Strukturen zerstoeren kann, von denen die Existenzen von Millionen abhaengen, ohne vorher Alternativen oder zumindest eine Notversorgung zu schaffen. Egal zu welchem Extrem er also zerren mag, fuer ein Weilchen werden sich die Sachen wohl so oder so erst mal in die richtige Richtung bewegen. Ohnehin sind Gesellschaft und Politik derzeit zu stark polarisiert fuer einen vernuenftigen und v.a. ehrlichen Dialog darueber, wo denn die Mitte liegen sollte. Hoffen wir also mal, dass Milei Erfolg hat, und in ein paar Jahren etwas Ruhe einkehrt. Der Weg wird nicht einfach, aber so ziemlich alle Alternativen wurden schon durchprobiert, und scheiterten.
- Werner