Erstmal danke an dich, dass du dir soviel Mühe gibst, deinen Standpunkt zu erklären, gegen die Flut an Einwänden.
Es treffen hier ganz verschiedene Gesichtspunkte aufeinander, die man sich wechselseitig erstmal verdeutlichen müsste. Darum sagst du zurecht: "Ihr versteht mich ein wenig falsch." Und die andern sagen es zu dir, du verstehst uns falsch (meinen es so).
Aber so einfach sind die ganz andern Gesichtspunkte des/der je andern eben nicht zu verstehen.
DEIN Gesichtspunkt ist im wesentlichen immer wieder: H4 ist ungerecht. So, wie du es betrachtest, kann man deinen Begründungen nur zustimmen.
Wenn, beispielsweise, ich dir nicht zustimme, dann darum, weil ich die Frage, ob gerecht oder nicht, nicht für die wichtigste halte. (Du hingegen schon.)
Eigentlich rede ich also über ein ganz andres Thema, was so unvermittelt, ganz ohne Erklärung, auch nicht in Ordnung ist. Mein Fehler.
Andererseits... könnte es sein, dass die "wichtigeren" Gesichtspunkte, die wir andern dir entgegenhalten, vielleicht tatsächlich mehr Aufmerksamkeit verdienen.
Etwa der: dass die Leute, die H4 einrichten, einen Dreck auf Gerechtigkeit geben, aber "die Blöden", die wollen, dass es gerecht zugeht, gerne als Verbündete ansprechen, um ihre (ganz anderen) Ziele durchzusetzen.
Nun bist du ja kein Blöder, du hast halt auch einen Standpunkt, du befürwortest etwas, und möchtest, dass es allgemein Anerkennung findet und durchgesetzt wird. Dafür argumentierst du hier.
Die Leute wiederum, die H4 einrichten, nämlich die Regierenden, "die Eliten", wie sie sich seit längerem gern (wieder) selbst bezeichnen - die sind, denke ich, ihrerseits keineswegs UNMORALISCH. Ihre Moral ist komplexer, und zum Teil leuchten ihre Gesichtspunkte dir ein: Man kann nicht einfach blindlings "gerechte" Forderungen stellen - manchmal ist es im Leben, vor allem in einer komplexen modernen Wirtschaft, so, dass "weniger gerecht" "mehr für alle" bedeutet. Diese Leute sind sich zB relativ sicher, dass die ungleiche Vermögensverteilung, die jetzt immer öfter beklagt wird, LETZTLICH allen zugute kommt: Weil Reiche, und noch besser Superreiche, selbst wenn sie ihre irrsten Wunschträume verwirklicht haben, meist noch genug Geld haben, um es zu investieren. Dieses Geld ist schon mal vor "Konsumiertwerden" sicher - es geht (zumindest im Idealfall; aber was ist schon ideal auf der Welt) in Forschung und Entwicklung neuer Technik (und Arbeitsplätzen, naja, die werden eher weniger). Am Ende profitiert doch die ganze (Welt)Gesellschaft davon - vom technischen Fortschritt. Bald schon werden die heute Armen und Zurückgebliebenen relativ mühelos Zugang zu Wohlstand haben, einfach weil wir entsprechende Fortschritte machen. War es nicht bislang immer so? Niemand in Industrieländern braucht, oder, nagut, wenn doch, BRÄUCHTE zu hungern. Internet ist dermassen billig... und ersetzt soviel Kostspieliges, das man sich sonst leisten müsste. usw (Dieses unschuldige "usw" , das "Kleingedruckte" in der Rechtfertigung, ist vielleicht nochmal näher anzusehen.) Genau SO reden sie über alle Nachteile, die man ihnen vorhält - alles ist immer gut für alle, auf Dauer; alle Nachteile vorübergehend, Härten, die inkaufzunehmen sind, und politisch ausgebügelt werden können. Alle müssen sich ja anstrengen, alle ihren Beitrag leisten, hart ist es für alle, aber es lohnt sich. - Jetzt nehmen wir mal an, dass das alles wirklich aufrichtig geredet ist von den Regierenden und allgemein Leuten, die das Sagen haben; dass sie tatsächlich, mehr oder weniger offen, ihr Fortschritts-Projekt darstellen, das sie auch wirklich verfolgen (mit ihren Mitteln).
Das erste, was einzuwenden wäre, ist dann: Die Leute, die das mitzutragen und zT eben "auszubaden" haben - die sind garnicht VORHER gefragt worden. Die sind auch nicht gefragt worden, wieviel Opfer sie für welche Gewinnaussicht (bei welchen Risiken) zu tragen bereit wären. Gewiss - was die Politik im eigentlichen Sinn angeht, haben sie ja wenigstens wählen dürfen. Aber die Politik aller Parteien ohne Ausnahme sagt ihren Wählern: An der Wirtschaft - da kommt keiner vorbei! Von der hängen ja nun mal alle auf Gedeih und Verderb ab. Und damit es allen gut und überhaupt für alle vorangeht, muss dort WETTBEWERB herrschen - natürlich legal, nur mit Kaufen und Verkaufen, also ganz freiwillig, da wird ja keiner gezwungen; und... mit ein bisschen Lobbyarbeit im Hindergrund. Ok. Wenn es wirklich so ist, und es für alle gut ist, wenn jeder für sich selber sorgt - warum wird dann URPLÖTZLICH ein ganz anderer Masstab angelegt, wenn die nicht so Wohlhabenden (Ungleichheit: gut für alle, s.o,.) mal für sich selber sorgen? DANN wird so getan, als gäbe es diese riesige Wettbewerbszone garnicht. DANN wird so getan, als wäre das Wirtschaften komplett und direkt von politischen "Allgemeinwohl"-Gesichtspunkten bestimmt - wie in einem sozialistischen System - und die Politik komplett und direkt von moralischen und Gerechtigkeits-Gesichtspunkten geleitet. Oder zumindest... von Gesichtspunkten (da heben wir sie wieder, s.o.), die damit zu tun haben, dass der ganze Laden uns hier nicht auseinanderfliegt (soll stabil bleiben, keine unruhen, kein öffentliches Elend usw)
Wann aber moralisch, und wann wettbewerbs-mässig zu argumentieren ist - wann der eine, und wann der andre Masstab anzulegen ist - das lasst ihr brokenlinks (denn du bist nicht allein, weisst du ja) euch immer von den Politikern sagen. Einen Grund, wann warum das eine oder das andre, sagen die nicht dazu. Dabei GIBT es solch einen Grund sehr wohl. Das Ungerechte und Unmoralische (bis hin zur kompletten Steuer-Entlastung) gilt immer für die Unternehmen, besonders gern auch für die Grossunternehmen. Der Wettbewerbs-Standpunkt, umgekehrt, und dass man eben AUCH ein MarktTeilnehmer ist, der am allgemeinen Kaufen und Verkaufen teilnimmt - sogar einer, der mit allen seinesgleichen grosse MarktMACHT ausüben kann - das wird vergessen, aber ganz schnell, wenns um die Leute mit weniger Vermögen geht.
Und genau das war der Gesichtspunkt, den dir Schmolli oben mit seiner kühlen "Kalkulation" nahebringen wollte. Und ich... habs verallgemeinert zur Frage: Wo leben wir denn? Und: Wie WOLLEN wir leben? Wo soll der Wettbewerb wirklich und definitiv aufhören, wo IST er eigentlich von Nutzen? (Andre Frage, neuer Gesichtspunkt, neues Thema: Ist MORAL tatsächlich die einzige Alternative? Aber soweit... frag ich garnicht.)
Der grösste Wettbewerbsfan, den ich ja oben angeführt hab, Milton Friedman, einer von denen, auf die die heutige "neoliberale" Denkweise wesentlich zurückgeht - der sagt: Eine moderne Gesellschaft hat IMMER die Mittel, um so ein Minimalauskommen BGE für alle zu schaffen. Sonst müsste sie ihnen, was wir nicht können, Produktionsmittel und/oder Grund und Boden zur Verfügung stellen, dass sie sich mit eigner Hände Arbeit ernähren. Grund und Boden und alles andre sind aber schon vergeben für Produktiveres. Nur dass mal der Gesichtspunkt von echten Liberalen, ohne Neo, deutlich wird. Die Frage der Vermögensungleichheit tasten diese Eigentumsfans derzeit noch nicht an. Wer kriegt BGE? Die mit Haus...? Oder nur ohne? Da gehts schon wieder los...
Und der Gesichtspunkt von Linksradikalen wie mir? Der sagt: so eine moderne Gesellschaft "wettbewerbsmässig" aufziehen, ist ein einziger, fürchterlicher WAHNSINN. Markt, Wettbewerb - das passt für Leute, die sich selbst versorgen, und ansonsten ihre überschüssigen Produkte aneinander verkaufen - wo alle was davon haben. Da gehts immer irgendwo um Luxus. Aber doch nicht um lebensbedrohliche Abhängigkeit voneinander wie bei der heutigen modernen Riesenarbeitsteilung.
Zugegeben - die Riesenarbeitsteilung wirft auch vom linksradikalen Standpunkt aus Fragen auf. Aber die waren hier ganz gewiss nicht Thema. Ob moralische Gesichtspunkte bei der Riesenarbeitsteilung hilfreicher sind, kann man so natürlich auch nicht erörtern.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (29.12.2016 14:05).