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  • Bartolus

13 Beiträge seit 13.06.2015

Leider ungenau zitiert

Der Beitrag verschweigt, dass die zugrunde liegende Statistik des Statistischen Bundesamtes wörtlich die "Armutsgefährdungsquote in Deutschland" betrifft und nicht die "Armut" als solche benennt. Das ist schon begrifflich ein bedeutsamer Unterschied. Die Armutsgefährdungsquote ist ein Indikator relativer Einkommensverteilung und bezeichnet den Anteil der Personen mit einem Äquivalenzeinkommen von weniger als 60 Prozent des Bundesmedians der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung in Privathaushalten. Die konkreten Lebensverhältnisse werden damit nicht eingeordnet. Also: Armutsgefährdete Haushalte könnte einerseits durchaus nicht arm sein und umgekehrt können als nicht armutsgefährdet eingeordnet Haushalte nach den konkreten Lebensverhältnissen als arm anzusehen sein. Deswegen gibt es für die Beurteilung der Armut als solche andere Kriterien. Dies klar auseinanderzuhalten, würde eine sachliche Diskussion fördern.

Konsequent wird in dem in dem Beitrag zitierten Bericht (Quelle dort verlinkt) des Paritätischen Wohlfahrverbandes - allerdings erst auf Seite 27 - eingeräumt, die korrekte Bezeichnung "Armutsgefährdung" werde nicht verwendet, "da dieser Begriff ... eher als Euphemismus angesehen werden muss." Sicherlich: Man kann einen anderen Armutsbegriff verwenden, als er den Statistiken des Statistischen Bundesamtes zugrunde liegt. Eine solche abweichende Definition von Armut müsste man aber anhand konkreter Kriterien für jedermann nachvollziehbar begründen. Eine Statistik zur "Armutsgefährdung" zu verwenden und gleichzeitig diesen Begriff durch die Bezeichnung "Armut" zu ersetzen, könnte man als wenig hilfreich ansehen. Jedenfalls hilft das in der wichtigen und mit möglichst verlässlichen Kriterien zu führenden Diskussion nicht weiter.

Übrigens: Interessant zum selben Thema eine vor Kurzem veröffentlichte, recht umfangreiche Studie des durchaus kritischen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Berlin. Das DIW kommt auf Grundlage derselben statistischen Daten, die dem vorliegenden Beitrag zugrunde liegen, Stand zu dem Ergebnis:
"Einkommensungleichheit in Corona-Pandemie leicht rückläufig; vor allem Selbstständige von Einkommensverlusten betroffen" (Fundstelle: https://www.diw.de/de/diw_01.c.817486.de/publikationen/wochenberichte/2021_18_1/einkommensungleichheit_stagniert_langfristig__sinkt_aber_waehrend_der_corona-pandemie_leicht.html)
Im Einzelnen lautet es dort u.a.: "Zu Beginn des Jahres 2021 zeigt sich ein weiterer leichter Anstieg im unteren und mittleren Bereich der Verteilung, während die Einkommen am 90. Perzentil leicht rückläufig sind. Gemessen am Gini-Koeffizienten und dem 90:10-Perzentilverhältnis geht die Einkommensungleichheit zu Beginn des Jahres 2021 leicht zurück."
Also: Die unteren Einkommen sind leicht gestiegen, die hohen Einkommen sind leicht rückläufig.

Das alles spricht nicht gegen die politische Aufgabe, eine angemessene Gleichheit der Lebensverhältnisse zu schaffen. Aber: Es bringt die Diskussion nicht wirklich weiter, wenn mit ungenauen Begriffen und schiefen Interpretationen von Statistiken gearbeitet wird.

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