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  • Jens Niestroj

131 Beiträge seit 23.07.2023

worum geht es?

Da man mich immer wieder fragt: "Was ist zu tun?", fange ich mit einigen Negativvorschlägen an. Als erstes darf man dem "Sollte", "Müsste", und "Sich an die Stirnschlagen" nicht in die Falle gehen. Anzunehmen, man bräuchte eine Veränderung nur zu erklären, damit sie angenommen werde, weil sie schließlich zu Gerechtigkeit, Gleichheit und Frieden beitrüge, ist die traurigste und ärgerlichste Form der Naivität. Viele gute und ansonsten intelligente Menschen scheinen zu glauben, wenn mächtige Leute und Institutionen den Ernst einer Krise und die Notwendigkeit der Abhilfe erst einmal richtig verstanden hätten, würden sie sich an die Stirn schlagen und zugeben, sich die ganze Zeit geirrt zu haben, und wie durch eine plötzliche Offenbarung sofort eine Kehrtwende in ihrem Verhalten einleiten.
Einiges ist zwar Ignoranz und Dummheit zuzuschreiben, aber das meiste geschieht, weil die Mächtigen es genau so wollen.

Susan George

Betrachtet man alle verfügbaren Daten, so lautet der verblüffende Befund, dass nie zuvor in Europa das Nationalvermögen so hoch war [wie heute]. … Die Vorstellung, wir stünden in Begriff, unseren Kindern und Enkelkindern beschämend hohe [Staats]schulden zu hinterlassen, … entbehrt jeder Logik. …
Wahr, und diesesmal in der Tat beschämend, ist dagegen wie ungleich das Kapital verteilt ist – mit einem privaten Reichtum, der sich auf öffentliche Armut stützt.

Thomas Piketty

Wie der Markt unsere Denkweise veränderte, zeigt unsere Einstellung zum Leistungslohn. Was für eine Gesellschaft ist das, in der ein Vorstandsvorsitzender sagen kann, wenn ich nur 5 Mio. Dollar bekomme, werde ich nicht mein Bestes geben. Damit ich mich mit aller Kraft einsetze, müsst ihr mich am Gewinn beteiligen?

Joseph Stiglitz

3 Zitate zu Beginn, die zeigen sollen: Betrachte ich Armut ohne die seit 40 Jahren andauernde Verschiebung von Vermögens- und Einkommensverhältnissen zu betrachten, ist dies sinnfrei. Armut und der wachsende Anteil der oberen 1% / der oberen 0,1% können durchaus zusammenhängen. Meines Erachtens erleben wir seit einigen Jahrzehnten eine entschädigungslose Enteignung unserer Arbeitskraft zu Gunsten der großen Vermögen und Einkommen. Will ich nicht sehen, dass mindestens seit 1990 die Managergehälter exorbitant gestiegen sind, während die der unteren Einkommensgruppen bestenfalls stagnierten (vor allem mit Blick auf die stark gestiegenen Mieten), dann sollte ich mich nicht mit Armutsforschung beschäftigen.
Denn wie sagte schon Don Marquis:

Wenn ein Mensch dir sagt, er sei durch harte Arbeit reich geworden, frag ihn, durch wessen Arbeit.

Zum Schluss noch eine Anmerkung, die ich mit einem Gedicht von Erich Fried untermauern möchte: Die Tatsache, dass in den Massenmedien fast nichts zu dem wachsenden Anteil der oberen 1% am Volksvermögen und dem Einkommen zu finden ist, bedeutet nicht, dass dies kein Problem ist. Sondern es kann bedeuten, dass die Medien eben diesem 1% gehören... Nur so als Gedanke.

Vorbild in uns oder Nachbild das uns noch etwas bedeutet
Hilf uns, dass wir nicht vorbeten oder nachbeten
die falschen Lehren der Elektronengehirne und ihrer Herren und Knechte

Wo das Unrecht größer wird als wir
Wo das Unrecht schneller wird als wir
Wo das Unrecht kräftiger wird als wir
Hilf uns nicht zu ermüden
Wo das Unrecht uns übertrifft an Kenntnissen und Mitteln
Wo das Unrecht uns übertrifft an Ausdauer und Erfolgen
Wo das Unrecht so groß wird, dass wir klein werden
Bei diesem Anblick hilf uns nicht zu verzagen

Wo das Unrecht eindringt in uns, in unsere Tage und Nächte
In unser Aufschrecken und unsere Träume
In unsere Hoffnungen und unsre Flüche
Hilf uns, uns nicht zu vergessen

Wo das Unrecht spricht mit den Stimmen des Rechts und der Macht
Wo das Unrecht spricht mit den Stimmen des Wohlwollens und der Vernunft
Wo das Unrecht spricht mit den Stimmen der Mäßigung und Erfahrung
Hilf uns, nicht bitter zu werden

Und wenn wir doch verzagen
hilf uns erkennen, dass wir verzagen
Und wenn wir doch bitter werden
hilf uns erkennen, dass wir bitter werden
Und wenn wir uns krümmen vor Angst
hilf uns wissen, dass es die Angst ist
das Verzagen, die Bitterkeit und die Angst

Damit wir nicht verfallen dem Irrtum
wir hätten eine neue Erleuchtung erfahren
Und den großen Ausweg gefunden oder den Weg nach innen
Und nur der hätte uns so verwandelt

Erich Fried

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