Judaspriester schrieb am 20.11.2024 13:16:
Im Kontext der ATACMS ist mir einmal wieder aufgefallen, wie moralisch Flexibel doch unsere Medien sind, wenn es um die Beurteilung von Waffen geht. Aktuell die Tagesschau:
ATACMS können mit Streumunition bestückt werden, die sich am Zielort in einem weiten Radius verteilt. International ist Streumunition höchst umstritten, weil sie wegen ihres Streufaktors auch Jahre nach einem militärischen Konflikt zu zivilen Opfern führen kann. Im Ukraine-Krieg wurde sie auch deshalb ausgeliefert, um den großen Vorsprung Russlands bei der Munitionsproduktion auszugleichen. Zudem kann Streumunition besonders effektiv gegen Truppen und ungepanzerte Fahrzeuge im offenen Gelände eingesetzt werden.
Hier steht der entscheidende Abschnitt zur Wertung etwas tiefer im Text, den du hier nicht zitiert hast.
Wo können die ATACMS eingesetzt werden?
Diese heikle Frage wird gestellt, seit sich die USA entschieden haben, der Ukraine die Raketen für ihren Verteidigungskrieg zur Verfügung zu stellen. Denn die ATACMS wurden dafür konzipiert, feindliche Truppen und Gerät weit hinter den Frontlinien bekämpfen zu können. Im Ukraine-Krieg bedeutet das: Mit ihrer Reichweite von bis zu 300 Kilometern können sie Ziele auch im russischen Hinterland treffen.
Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/atacms-eigenschaften-100.html
Zum Vergleich dazu aus einem Bericht zum russischen Einsatz von Streumunition:
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat die russischen Streitkräfte zahlreicher Kriegsverbrechen in der ostukrainischen Stadt Charkiw beschuldigt. Demnach haben russische Truppen dort durch den Einsatz von Streumunition zahlreiche Zivilisten getötet. Diese Waffen sind durch internationale Verträge geächtet. Mehr als hundert Staaten gehören bereits einem 2010 in Kraft getretenen Übereinkommen gegen Streumunition an, darunter Deutschland. Russland und die Ukraine haben das Übereinkommen jedoch nicht unterzeichnet.
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/streubomben-ukraine-101.html
"Umstritten" oder "geächtet" ist zumindest Sprachlich ein nicht unerheblicher Unterschied. Darüber hinaus sehe ich ehrlich gesagt, insbesondere bei solchen Waffengattungen, nicht, warum dessen Nutzung mehr bzw weniger schlimm sein sollen, abhängig davon wer sie benutzt.
Der Unterschied steht ein bisschen weiter unten bei der Tagesschau von 2022.
"In Charkiw wurden Menschen in ihren Häusern und auf der Straße getötet, während sie mit ihren Kindern Spielplätze besuchten, auf Friedhöfen ihrer Angehörigen gedachten, beim Anstehen für Hilfslieferungen oder beim Einkaufen"
Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/streubomben-ukraine-101.html
Wobei auch dies nur ein verkürztes Zitat von Amnesty International ist, welches im Original etwas länger ist
"In Charkiw wurden Menschen in ihren Häusern und auf der Straße getötet, während sie mit ihren Kindern Spielplätze besuchten, auf Friedhöfen ihrer Angehörigen gedachten, beim Anstehen für Hilfslieferungen oder beim Einkaufen. Es ist schockierend, dass die russischen Truppen wiederholt Streumunition in Wohngebieten eingesetzt haben. Die Verantwortlichen für diese Angriffe müssen vor Gericht gestellt und die Verletzten sowie die Angehörigen der Opfer müssen entschädigt werden."
[..]
Spielplätze unter Beschuss
Die 1,5-Millionen-Stadt Charkiw wird seit dem 24. Februar, dem ersten Tag der russischen Invasion gegen die Ukraine, bombardiert.
Am Nachmittag des 15. April beschossen russische Truppen etwa die Gegend um die Myru-Straße im Bezirk Industrialnyi mit Streumunition. Mindestens neun Zivilpersonen wurden dabei getötet und mehr als 35 verletzt, darunter auch mehrere Kinder. Ärzt*innen der Stadtklinik Nr. 25 in Charkiw zeigten Amnesty International Metallsplitter, die sie aus dem Körper ihrer Patient*innen entfernt hatten; einige davon konnten eindeutig Streumunition vom Typ 9N210/9N235 zugeordnet werden. Researcher von Amnesty International haben auf einem Spielplatz in der Nähe zudem Metallteile und andere Bestandteile gefunden, die eindeutig von diesem Typ stammen.
Die 41-jährige Oksana Litvynyenko wurde auf dem Spielplatz in Begleitung ihres Mannes Ivan und ihrer vierjährigen Tochter durch explodierende Streumunition schwer verletzt.
Ihr Mann Ivan berichtete Amnesty International: "Plötzlich sah ich einen Lichtblitz. Ich riss meine Tochter an mich und drückte sie und mich an einen Baum, so dass sie zwischen dem Baum und mir geschützt war. Überall war Rauch, und ich konnte nichts sehen. Als der Rauch sich auflöste, sah ich Menschen am Boden liegen. Meine Frau Oksana lag am Boden. Als meine Tochter ihre Mutter in einer Blutlache am Boden liegen sah, sagte sie zu mir: 'Lass uns nach Hause gehen. Mama ist tot und die Leute sind tot.' Sie stand unter Schock, genau wie ich."
Granatsplitter waren in den Rücken, in die Brust und in den Bauch von Oksana Litvynyenko eingedrungen und hatten ihre Lunge und ihr Rückgrat durchbohrt. Sie starb am 11. Juni 2022 nach wochenlangem Überlebenskampf an den Folgen ihrer schweren Verletzungen im Krankenhaus.
Auch ungelenkte Raketen trafen zahlreiche Zivilist*innen. Am Nachmittag des 12. März verlor etwa die 30-jährige Veronica Cherevychko ihr rechtes Bein, als auf dem Spielplatz vor ihrem Haus im Stadtteil Saltivka eine sogenannte Grad-Rakete einschlug.
Ungelenkte Raketen, wie z. B. Grads und Uragans, die von russischen Truppen routinemäßig eingesetzt wurden, treffen ihre Ziele nur ungenau. Ungelenkte Artilleriegeschosse weisen eine Fehlerspanne von mehr als 100 Metern auf. In Wohngebieten, in denen die Gebäude nur wenige Meter voneinander entfernt stehen, führen derartige Zielverfehlungen fast unausweichlich zu Toten unter der Zivilbevölkerung sowie zur Beschädigung und Zerstörung ziviler Infrastruktur.
Umgekehrt führten ukrainische Truppen häufig Angriffe aus Wohngegenden heraus durch, was das Leben der dortigen Zivilpersonen aufs Spiel setzt. Dies verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht, rechtfertigt jedoch keineswegs die wiederholten unterschiedslosen Angriffe durch russische Truppen.
Quelle: https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/ukraine-einsatz-von-streumunition-durch-russische-truppen-in-charkiw