Am 02.04.99 veröffentlichte das GRENZ-ECHO in Eupen / Belgien
folgenden Leserbrief :
Anschauungsunterricht
Nun hat Europe der heranwachsenden Jugend, insbesondere den jungen
Menschen, die zur Zeit an den Universitäten studieren um
zukünftig die Geschicke auch unseres Landes zu leiten, anschaulich
vorgemacht, wie internationale Friedenspolitik praktisch gestaltet wird
:
Man unterstütze tatkräftig ein relativ kleines Land beim
Aufbau einer über 100.000 Mann starken Armee und rüste diese
mit modernstem Kriegsgerät aus, damit es sich gegen seine vielen
vielen gefährlichen Feinde und potentiellen Agressoren verteidigen
kann. Diese fürsorgliche humanitäre Maßnahme sorgt
zudem im eigenen Land für Arbeitsplätze in der
hochgeschätzten Rüstungsindustrie und somit für Lohn und
Brot für viele zufriedene, dankbare und glückliche Familien.
Man stelle sich völlig verwundert und erstaunt darüber,
daß diese Armee dann gegen Menschen eingesetzt wird, die von
ihrem Oberbefehlshaber als Feinde betrachtet werden, obwohl sie im
selben Land leben. Darüber empöre man sich vehement
öffentlich und verbiete unter Androhung friedensförnderder
Maßnahmen, jenes teilweise auch von uns gelieferte Kriegsmaterial
weiterhin gegen diese Menschen, die nach unserem Verständnis gar
keine "richtigen" Feinde sein können, einzusetzen.
Man stelle im Falle der Nichtbefolgung dieses Verbots völlig
überrascht und so entrüstet wie eben irgend möglich
fest, daß es sich bei dem ehemaligen Waffenkunden um einen
Verbrecher handelt (das konnte ja vorher niemand ahnen !) und
legitimiere sich dann kurzerhand selbst, dessen Land mit Bomben zu
zerstören und Menschen zu töten, kurz : man werde auf der
Grundlage der Menschenrechte selbst zum Agressor.
Man richte eindringliche Spendenaufrufe an die eigene Bevölkerung
und veröffentliche umgehends entsprechende humanitäre
Kontonummern zur Linderung der ausgelösten Flüchtlingsmisere
(Könnte es gar sein, daß Menschen selbst vor Friedensbomben
flüchten ?). 25 Millionen Mark stellt z.B. Deutschland spontan zur
Verfügung (Wie grosszügig !) - laut Carnegie Institut kostet
die Aliierten jede Bombennacht etwa 230 Millionen Mark.
Man erkläre derweil so überzeugend es eben geht, es habe sich
um die allerletzte, um die einzig verbliebene Möglichkeit
gehandelt, den Gebrauch des vorher gelieferten Kriegsmaterials zu
beenden und verschweige dabei tunlichst, daß es mit Hilfe von so
enormen Geldsummen, wie sie inzwischen der Angriffskrieg verschlingt,
doch eventuell möglich gewesen wäre, auf noch friedlichere
Art und Weise als durch unsere "Friedensrakenten", eine von allen
Seiten akzeptable Lösung zu erreichen.
Man klopfe sich selbstgefällig auf die Brust und
beglückwünsche sich dazu, all den unbelehrbaren "Spinnern"
(auch Pazifisten genannt), die von Abrüstung reden und seit jeher
behaupten, Frieden sei mit Waffen und Abschreckung nicht zu erreichen,
sondern nur Krieg und Verheerung, erfolgreich widerstanden zu haben und
beglückwünsche sich im Klub der 15 beteiligten
"Friedensminister" gegenseitig, stets viel Steuergelder in Soldaten und
Militärgerät investiert zu haben und nun endlich die
Früchte dieser sinnvollen und segensreichen Investitionen ernten
zu dürfen.
All jenen, die bei diesem kleinen Anschauungsunterricht irgendwie von
Zweifeln an der Friedenspolitik unserer Staatoberhäupter
heimgesucht wurden, kann man aufgrund offensichtlicher Naivität,
Unfähigkeit und gravierender Weltfremdheit wohl nur raten, sich
vom politischen Geschäft fernzuhalten und derart
verantwortungsvolle Aufgaben weiterhin gestandenen und diplomatisch
geschulten Persönlichkeiten zu überlassen !
Joseph Lehnen / B-Welkenraedt