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  • Pippin der Mittelmäßige

85 Beiträge seit 18.08.2023

Gemischtes Durcheinander

Der Artikel ist so ein wildes Durcheinander, das ich ihn mir nur durch komische Ideologie erklären kann.

Bisher leidet die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands kaum bis gar nicht. Da es mit der Leistungsbilanz einen eindeutigen empirischen Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft gibt und wir das letzte Mal, als ich was gelesen habe, immer noch einen hohen Exportüberschuss hatten, ist die Behauptung die deutsche Wirtschaft ächzte unter den gegebenen Bedingungen und hätte gegenüber dem Ausland einen (nicht zu kompensierenden) Nachteil sachlich falsch.

Die deutschen Vermögen sind im Vergleich zu anderen Ländern niedrig, da Bewohner anderer Länder individuell vorsorgen müssen und es in den meisten Ländern keine unbegrenzte Arbeitslosenhilfe gibt. Addiert man zu den genannten Zahlen den gemittelten prinzipiellen Anspruch auf Bürgergeld zu den Privatvermögen (ca. 500.000 Euro p.p.) sieht es ganz anders aus mit den Vermögen. Das wird deshalb gerne vergessen, weil solcherlei Autoren gerne ALG2 abschaffen möchten.

Überhaupt ist diese Bemerkung zum Bürgergeld ideologische Soße. Wenn der Preis eines Guts zu niedrig ist, als dass sich genügend Anbieter finden, dann ist der Preis eines Guts zu niedrig. Ich verstehe nicht, warum plötzlich und ausschließlich am Arbeitsmarkt die Marktwirtschaft durch eine stalinistische Zwangswirtschaft ersetzt werden soll.

Die Steuer- UND Abgabenquote in Deutschland ist sehr hoch. Steuern alleine zahlen wir nicht wesentlich mehr als US Amerikaner. Die Abgabenquote ist das Problem. Und sie ist vor allem deswegen ein Problem, weil sie regressiv ist. Durch die Beitragsbemessunggrenze nimmt der prozentuale Anteil, den man zum Solidarsystem beiträgt, mit steigendem Einkommen ab. Im Effekt haben tendenziell niedrige und mittlere Einkommen die Hauptlast zu tragen.

KI ist keine Technologie, die besonders aufwändig wäre. Ein neuronales Netz ist eine Funktion: Dafür muss man kein BigTech Unternehmen haben. Außerdem mangelt es am Drumherum, nicht an der Expertise in Deutschland. Ein Unternehmen gründet hier keiner, weil Deutsche Investoren ungern in riskante Geschäfte investieren. Der Staat (der Hightech-Gründerfonds) ist so ziemlich der einzige Investor in Deutschland, der in KI investiert. Es besteht in Deutschland auch einfach kein Bedarf an irgendwelchen Innovationen, da die hiesigen Unternehmen - wegen Exportüberschuss und so - ohnehin eine gewaltige Sparquote haben. Wozu sollten die KI Anwendungen kaufen?

Wer sich 5 Minuten mit der Art der deutschen Regulierung beschäftigt, stellt fest, dass Deutschland kein Bürokratie-Monstrum ist. Im Gegenteil: Vergleicht man den amerikanischen mit dem deutschen Arbeitsschutz so lässt die hiesige Gesetzgebung den Arbeitgebern wesentlich mehr Spielraum und ist gerade deswegen viel effizienter. Dass man auf dem Amt ewig warten muss, liegt daran, dass die unterbesetzt sind, weil man - weil die Regulierung eigentlich ganz clever ist - mit Bürokratieabbau immer nur das Streichen von Stellen in der öffentlichen Verwaltung gemeint hat. Deswegen geht auch nichts voran: Wenn sinnvolle und nötige Genehmigungsverfahren von zu wenigen Angestellten abgearbeitet werden müssen, werden sie eben nicht abgearbeitet.

Einen Brain Drain haben wir schon immer. Deutschland überproduziert aber auch Qualifikation. In den USA haben 57% der Erwachsenen eine tertiäre Ausbildung (Studiert oder Ausbildung); in Deutschland 92%. Natürlich lassen sich etliche Deutsche ihr Studium in den USA und anderswo versilbern. Das ist aber erst dann ein Problem, wenn wir für den eigenen Bedarf zu wenig produzieren. Und sehr viele Mathematiker und Informatiker machen Quatschjobs, die eigentlich kaum volkswirtschaftlichen Mehrwert haben (Finanzmathematik und so).

Überhaupt dreht der Kommentar die Sachlage auf den Kopf. Die deutschen Einkommen sind durch zwei massive interne Abwertungen (Lohnzurückhaltung der 90er und Agenda 2010) verhältnismäßig niedrig (deswegen viel Export), dadurch gibt es wenig Steuern und Sozialabgaben und Konsum, bei hoher Belastung der Einkommen.

Daraus resultiert auch die Investitionslücke - und die Innovationslücke. Wer nicht investieren muss, um Geld zu verdienen, der investiert eben nicht. Warum sollte man viel Geld in neue Anlagen und Verfahren investieren, wenn man damit nicht mehr Geld macht, als bisher? Auf die hohe Sparquote der hiesigen Unternehmen hat Heiner Flassbeck bei TP schon hunderte Male aufmerksam gemacht.

Wenn die Unternehmen die von der Bewertung der Arbeitsproduktivität her angemessenen Löhne zahlen würden, ließen sich Steuern senken, die Sozialsysteme wären finanzierbar, die Mieten wären nicht zu hoch, die Auftragsbücher in der Bauindustrie wieder voll und der Fachkräfte-Mangel beseitigt, weil es nicht mehr so viele Zombiefirmen gebe, die nur dank verordnetem Lohndumping überhaupt profitabel wären und damit Arbeitskräfte binden. Deutschland ist das einzige westliche Land, in dem die Kaufkraft über den tatsächlichen Einkommen liegt, weil bei uns alles subventioniert ist, damit nicht das Lohndumping-Kartenhaus zusammenbricht.

Mittlerweile 30 Jahre blödsinnige Politik und der Autor erdreistet sich auch noch, die gegenwärtigen Probleme darauf zu schieben, dass wir von dem Quatsch noch nicht genug hatten.

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