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  • Emrymer

mehr als 1000 Beiträge seit 28.08.2020

Mit wem führt "die Kommunikation" Selbstgespräche?

Mit welchen Themen befaßt sich ChatGPT, wenn gerade keine Anfrage von einem Menschen anliegt?
(Gut, bei der derzeitigen Auslastung kommt das praktisch gewiß nicht vor. Aber nehmen wir an, ChatGPT ist von Internet abgeklemmt und "wartet".)

Die technische Antwort dürfte doch lauten: mit keinem. Es kommt keine Kommunikation "von selbst" in Gang. Gerade bei ChatGPT sieht man sehr deutlich, daß Kommunikation auf einen äußeren "Trigger" angewiesen ist. Einen Menschen, der etwas "von ChatGPT will". Oder wenigstens eine Katze, die über die Tastatur läuft ;-).

Wir gehen davon aus, dass es wesentlich die kommunikative Komplexität der modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft ist, der sich Chatbots wie ChatGPT als Umwelt ihres Funktionierens bedienen.

Zurdnungsfehler, würde ich sagen. ChatGPT "bedient" sich nicht.
ChatGPT ist ein Werkzeug: ein Werkzeug von OpenAI, um Geld zu verdienen, und in zweiter Linie ein Werkzeug von Nutzern, um einen Zweck zu erreichen. ChatGPT selbst hat keine Ambitionen, keinen "Willen", kein "Vorhaben". Es ist ein reines Reiz-Reaktions-System: kommt Input, gibt es Output. ChatGPT "weiß" nichts von seinem "Funktionieren" - das legt OpenAI fest, mitsamt aller Grenzen (z.B. Fragen, die nicht beantwortet werden dürfen) und Möglichkeiten (z.B. durch die Auswahl des Trainingsmaterials).

In dieser Formulierung steckt bereits das, was bei dem Google-Mitarbeiter im Grunde nur quantitativ stärker ausgeprägt war: Anthropomorphisierung. Die ist als solche nicht "böse" oder "schlecht" - aber man sollte in theoretischen Texten besser darauf aufpassen, daß man sich nicht unversehens von ihr in die Irre führen läßt. Und hier ist das wichtig, weil es die Theorie leicht kaputtmachen kann, wenn auffällt, daß bestimmte Teile von ihr strikt auf eine solche Anthropomorphisierung angewiesen sind und sich ohne sie unversehens in Luft auflösen.

Kommunikation dient der mehr oder minder erfolgreichen Übertragung von Informationen von Mensch zu Mensch.
[...]
In sich lediglich mündlich reproduzierenden Gesellschaften, wie Stammesgesellschaften bzw. wesentlich auch noch hierarchisch strukturierten (Feudal-)Gesellschaften, musste Kommunikation mit dem Auftauchen und Verschwinden von Menschen gleichgesetzt werden.

In dieser Form ist das schon falsch, weil zu verkürzt: Kommunikation im nicht-systemtheoretischen Sprachgebrauch gibt es ebenso im Tierreich (Vögel warnen sich, Erdmännchen haben sogar ein ausgefeilt differenzierendes Warnlautsystem, Ameisen legen sich "Straßen" an) und sogar im Pflanzenreich (Pheromone synchronisieren Prozesse). Und zumindest manche Wiedergabe der Systemtheorie erlaubt es durchaus, auch nichtmenschliche Kommunikation mitzubedenken, solange man Tieren und Pflanzen zugesteht, "soziale Systeme" sein zu können. Aber auch im Tier- und Pflanzenreich geschieht Kommunikation immer mit Zweck, und dieser Zweck kommt sozusagen "von außen" in die Kommunikation.

Personalität, Subjektivität, ein Mensch-Sein oder eine Identifizierung von Bewusstsein sind als kommunikativ ermöglichte Zuschreibungen zu verstehen.

Ich würde empfehlen, an dieser Stelle strikt zu unterscheiden zwischen einem Sachverhalt "an und für sich" und dessen "sprachlicher Repräsentation". Der Sachverhalt "an und für sich" besteht auch ohne Kommunikation, aber er kann sich natürlich begrifflich nur innerhalb der Sprache befinden. Mit anderen Worten: "Personalität" ist natürlich ein Begriff innerhalb bestimmter Sprachen. Es ist also eine sprachliche "Zuschreibung" der Sache, die "an und für sich" existiert, aber (noch) nicht benannt ist. In die Sprache (und Kommunikation per Sprache) kommt der Begriff tatsächlich nur als "Zuschreibung" - was aber nicht hindert, daß die Sache "an und für sich" bereits vor- und auch außersprachlich da ist. Um sich zu unterhalten, muß irgendwie vereinbart werden, was von dem "an und für sich existenten" wir nun eben "Personalität" nennen (und was nicht).
In die Sprache wiederum kommt der Begriff nur, weil Menschen ein Interesse daran haben, über so etwas zu reden. Wenn niemand "etwas zu sagen hat", ereignet sich keine sprachliche Kommunikation, sehr wohl aber noch nichtsprachliche (per Körper"sprache" etwa). Und das "an und für sich existente" Vorgegebene besteht auch, wenn man nicht darüber redet, vielleicht noch nicht einmal darüber reden kann, weil die Vereinbarungen noch nicht getroffen sind.

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