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mehr als 1000 Beiträge seit 10.01.2003

Mangelwirtschaft

Man könnte meinen, man erlebe gerade die zweite Reinkarnation des DDR-Sozialismus: an Essentiellem fehlt es, die Infrastruktur vergammelt und die Elite redet sich die Welt schön.

Ist aber alles Unfug: die Symptome sind gleich, die Krankheitsursache ist eine andere.

Gerade wenn ich mir den Wohnungsmarkt anschaue, fällt auf, dass es durchaus Neubauten gibt, allerdings vornehmlich für den Luxusmarkt. Das kann sich keine normale Familie leisten, was da entsteht, das ist wirklich nur für die mit "zu viel Geld". Aus Sicht des Bauherren ist das durchaus verständlich: mit Luxus kann man auch viel Geld verdienen, mit normalem oder sozialen Wohungsbau dagegen nicht. Mit großzügig geschnittenen 4-Zimmer-Wohnungen lässt sich mehr Geld verdienen als mit den 1- bis 2-Zimmer-Wohnungen. Und: teilweise geht der Irrsinn so weit, dass man leichter eine 75qm-2-Zimmer findet, als eine mit 45qm. Sozial ist das nicht, wenn das Amt nur höchstens 45qm für einen Single nach "ortsüblicher Miete" stützt und selbst für ein Hartz-IV-Paar sind 75qm zu groß laut SGB II.
Gleichwohl brauchen Familien idealerweise eine 4-Zimmer-Wohnung, damit der Nachwuchs auch ein eigenes Zimmer hat und man ggf. noch ein Arbeitszimmer bzw. Büro haben kann. Als Mieter kann man nunmal weder Keller noch Dachgeschoss ausbauen.

Die Sozialwohnungen sollten idealerweise natürlich auch bevorzugt den sozial Schwächeren als Option offen stehen, also z.B. Alleinerziehende oder eben Langzeitarbeitslose. Das heißt, die Wohnungen müssen bezahlbar und vor allen Dingen so geschnitten sein, dass sie auch zu 100% durch die Zahlungen vom Amt abgesichert werden können. Das müssten dann 45qm für einen Single, 60qm für einen Zweipersonenhaushalt, 75qm für einen Dreipersonenhaushalt usw sein. Auch betreutes Wohnen sollte unter das Thema "Sozialwohnungen" fallen. Und: weder darf die Lage zu niedrig sein, noch dürfen es Wohnburgen aka "Plattenbauten" wie in der DDR sein, sondern sollten auch einigermaßen attraktiv ausfallen. Eierlegende Wollmilchsau also? Nein! Wenn die Lage eher schlecht und die Sozialwohnungen nach "Billigstandard" aussehen (und da tu' ich der ihrerzeits modernen Platte Unrecht), dann ziehen da keine Sozialfälle ein, sondern dann werden dort die Asozialen "endgelagert". Wer will dort als Alleinerziehende(r) leben, wenn in den Fluren die Fixer rumvegetieren?
Es braucht einen gewissen Grundstandard, damit das ganze nicht scheitert.

Und auch für die "Normalexistenzen" ist es immer schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu bekommen. Wobei es oft genug drauf ankommt, wo man leben will: in den Städten wird's teuer, auf dem Land ist's bezahlbar, dafür fehlt es an grundlegender Infrastruktur. In meiner 15.000 Einwohner schweren Stadt wurde erst vor kurzem die Geburtsklinik geschlossen und auch in die Kinderklinik muss ich in die nächstgrößere Stadt fahren, immerhin 20km. Das gleiche gilt dann auch für einen Elektronikfachmarkt oder auch nur so etwas wie ein vernünftiges Schuhgeschäft. Will ich all diese Selbstverständlichkeiten nutzen, muss ich entweder pendeln (Kosten- und Zeitfaktor) oder in die Stadt umziehen (Kostenfaktor). Und da graust es einem. Der Unterschied für eine vergleichbare Wohnung beträgt kalt locker 30% - 40%. Das spiegelt sich auch bei den Immobilienpreisen wieder, hier ist der Preisunterschied fast 50% bei vergleichbaren Immobilien. Das muss man sich mal geben: bezahlbar sind Mieten und Immobilien fast nur noch auf dem Land, während man in der Stadt fast schon noch nebenjobben muss, um die Miete zu bezahlen.

Grund ist der o.g.Mangel an Wohnungen in Städten bei gleichzeitig immer stärker um sich greifender Verstädterung und Entvölkerung des Landes. Ähnlich wie in der DDR gibt's einfach mehr Menschen als bereitstehende Wohnungen in den Städten, in die sie einziehen könnten, auf dem Land war das lange nicht so verschärft. Nur in der DDR war's die durch den Fünfjahresplan verursachte Mangelwirtschaft, die Unfähigkeit der Granden, Material in richtiger Menge zu berechnen und herstellen zu lassen, um Wohnungen zu bauen. Die "Platte" war quasi die logische Konsequenz daraus. Und heute sind wir wieder an dem Punkt, nur ist die Ursache nicht die mangelhafte Planwirtschaft, sondern die Gier des Menschen. Denn am Immobilienmarkt wird spekuliert, das Verhältnis von Angebot zu Nachfrage so verschoben, dass es deutlich weniger Angebote gibt - und dadurch der Preis getrieben wird. Wer nicht mitziehen kann, sitzt auf der Straße oder muss hoffen, dass der Staat eingreift - was aber schlichtweg nicht passiert. Natürlich könnte der Staat durchaus eingreifen, aber das würde ja den "Markt verzerren" bzw. den Wettbewerb - und das geht nicht. Es ist auch eine politische Entscheidung, dass hier die Leute auf der Straße landen und immer weniger bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stehen.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (15.11.2017 11:42).

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